Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Demokratie in Europa I

∞  15 September 2014, 23:08

Europa ist bestimmt einer der politisch faszinierendsten Flecken Erde dieser Welt. Denn nirgends sonst auf der Welt nennen sich dicht aneinander gedrängt so viele unterschiedliche Staaten Demokratien, nirgends sehen sich Menschen grundverschiedener Mentalitäten und Sprachen so sehr vom Anspruch bestimmt, in einem Staatenbund zusammengefasst zu werden.

Das politische Mantra ist dafür die Demokratie – also, in den einzelnen Gliedstaaten, nicht unbedingt auf der Ebene der EU. In der EU machen dann die von ihren Völkern demokratisch legitimierten Regierungen das, was sie für gut halten, und die Stärkeren bestimmen über die Schwächeren. Alles andere ist Theorie, gerade weil die EU auf die wirtschaftliche Funktionalität ihres Modells noch mehr angewiesen ist als jeder andere Bund. Denn eine andere tiefere Identität ist nicht vorhanden.

Mir ist auf diesem Weg in den letzten Jahren bewusst geworden, wie unterschiedlich wir Europäer den Begriff der Demokratie verstehen – und wie klar dies angesichts der Geschichte der Länder doch auch ist. Gerade deswegen sollten wir eine Art europäischen Respekt erfinden, in dem wir den einzelnen Staaten zubilligen, gemäss ihrer politischen Tradition und ihrer Funktionalität Mitbestimmung so zu definieren, dass sie vom Volk auch wahr genommen wird – das ist die Argumentationsweise der Politik, die uns schnell mal überfordert sieht – es ist aber oft auch die politisch historische Erfahrung – und die schüttelt man nicht einfach so aus den Beinen.

Heute gehen wir als das Volk nicht mehr auf die Strasse, um zu demonstrieren. Wir wählen den Protest. Die Piraten. Oder die Alternative für Deutschland AfD. Oder, für viele schlimmer, rechtspopulistische Parteien. Frust entlädt sich nicht in gestaltender Politik mit dem Druck der Strasse. Wir wählen Widerspenstige, denen wir dann vom Sofa aus zusehen, wie sie Druck machen. Oder machen sollen. Mobilisierung geht anders. Und bleibt doch gar jenen ungeheuerlich, die ihre politische Karriere dadurch gestartet haben: Ausgerechnet Bundespräsident Gauck, durch die Nutzung der Montagsproteste in der DDR erst zur Politgrösse geworden, misstraut dem Anspruch auf mehr direkte Demokratie.

Dabei würden wir wohl besser regiert, wenn wir den etablierten Parteien durch den aktiven Protest kund tun würden, was uns Unbehagen beschert, als wenn wir per neuer Wahl eine Blackbox fett werden lassen – egal, welches Etikett sie sich umgehängt hat.

Basisdemokratie kann man nicht aufpfropfen. Sie muss sich genau so die Kanten schleifen lassen wie die Politiker, die sich plötzlich viel mehr Sachfragen gefallen lassen sollen. Aber es führt kein Weg daran vorbei. Denn verwaltet werden wollen wir alle eigentlich nicht wirklich. Zumindest dann nicht mehr, wenn die Chips vor dem Fernseher alle sind und im Vorratsschrank der Nachschub fehlt, und das nicht nur zufällig. Dann plötzlich könnte die Politik sich wundern, wer so alles auf die Strasse findet. Oder in die Lokale von Bürgerkomitees.

Europa hat wirtschaftlich grosse Probleme und sitzt auf einem Sprengsatz. An der Grenze schwelt nun plötzlich ein anderes Problem. Wie praktisch, diese Ablenkung. Zynisch? Unzutreffend?
Wann wurde zuletzt ein Krieg ohne wirtschaftliche Interessen geführt?