Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Das Kurden-Team

∞  6 August 2014, 23:22

Wie kommt es wirklich zu Begegnungen mit anderen Kulturen im eigenen Land? Richtig: Man hat eine Arbeit zu vergeben, die von niemandem mehr gern getan wird, man sucht eventuell jemanden, der etwas Altes tatsächlich noch repariert, oder man hat kräftige Arme nötig, die gleichsam im Akkord Gewicht schleppen.

Eine solche Truppe hat uns heute bei unseren Arbeiten einen guten Schritt weiter gebracht. Sechs Männer, ein Chef. Auch ein Team? Es war interessant, die Hierarchien heraus zu spüren, und auch die Autorität. Der Chef hat den Auftrag herein geholt, der verteilt die Arbeit, denn er zahlt ja auch den Lohn. Ganz simple Hierarchien spielen hier noch viel stärker, und es gibt viele Vorbehalte einfach nicht, die wir längst mal schnell so anbringen würden. Der Chef ist smart, die Arbeiter sehe ich zu Beginn zum Teil fast nicht. Sie verkrümeln sich recht schnell in die einzelnen Räume und packen an. Wir “wissen”, dasss es Türken sind, schauen, dass wir nicht im Weg stehen, merken bald mal, dass die Automatismen greifen und verkrümeln uns zur ausgesparten Gartenarbeit.

Im Laufe des Tages kommt es zu einer Situation, in der plötzlich alle allen helfen müssen, wir sind mitten drin, die Augen werden warm, die Gesichter offen – und wovon beginnen die Leute zu erzählen? Vom Krieg, von ihrer Heimat, von Fanatikern des Glaubens, von den Frauen, die Ansprüche haben, von den Familien daheim, die geblieben sind und keine Arbeit haben. Und schnell wird mir klar, wo das Geld hin gehen wird, das hier verdient wird. Hingehen soll. Die Erwartungen an diese Männer in ihrem eigenen sozialen Umfeld nennen sich vielleicht Hoffnungen, aber es gibt da vor allem unendlich viel Druck. Sie sind stolz, Geld verdienen zu können, aber es ist ja nie genug – für zwölf Geschwister ohne Ausbildung. Zurück in die Heimat will niemand… Also frage ich: Wo ist Heimat? Und nun erzählt jeder schnell seinen Hintergrund: Es sind Kurden, die im Irak oder in der Türkei aufgewachsen sind. Nur der Fahrer “ist ein normaler Türke”, sagt einer grinsend. Und die Iraker erzählen davon, dass sie zuhause nichts anderes gesehen haben als Krieg, sie staunen darüber, wie verschieden hier bei uns die Menschen sein dürften, “auch wenn ich für sie Türke bleibe”, wie einer lächelnd sagt. Und der Hintergrund der Gruppe scheint auch religiös ganz unterschiedlich zu sein. Es gibt ja in der Tat Kurden mit muslimischem, christlichem oder auch jüdischem Hintergrund. Und dann höre ich, was mir wirklich Sorgen macht: Unter dem Einfluss der strenggläubigen Muslime wird der Druck auf andere Religonen auch im kurdischen Norden des Irak grösser. So wird es erzählt, und die Männer, die meisten um die vierzig fragen ganz unpolemisch, aber aus tiefem Herzen: Warum können Menschen nicht an ihren Gott glauben und anderen das gleiche zugestehen. Und es wird erzählt von Barbarei und abgeschlagenen Köpfen, Erlebtes und selbst bange in Medien Verfolgtes oder zuhause Erzähltes vermischt sich…

Und einer zeigt mir Bilder seiner Familie auf dem iPhone mit dem zersprungenen Display. Natürlich von seiner Mutter. Und von seinem jüngsten Bruder. Sie möchten, dass er zurück kommt. Aber noch wichtiger ist, dass er Geld schicken kann. Und dass er daher nur auf Urlaub vorbei schaut, alle paar Jahre, ist so Elend und Erleichterung für ihn in einem.

Menschen können einfach Schweine sein. Und darum haben wir allen Grund, jene Kräfte in uns zu stärken, welche verhindern, dass wir je auch dazu gehören und die es erleichtern, die Schweine nicht wichtiger zu nehmen als die Engel, die wir genau so in uns haben. Egal, für welchen Gott sie ihre Arbeit tun: Sie gilt immer den Menschen.