Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Bombastisch tot

∞  31 August 2010, 20:29

So ein Tankstellenshop ist ja eine wirkliche Begegnungsstätte geworden. Zumindest treffen sich da all jene, welche nicht mehr kochen wollen, jene, die es nie gelernt haben und alle, die es nie lernen werden. Convenience Food für die Eiligen. Da ist der Schoggi-Gipfel im Frischhaltepapiertütchen schon fast mit Körnchenpickercharme geschmückt. Es kommt eben immer auf die Alternativen an. Aber es ist ja in der Tat praktisch, so bis elf Uhr in der Nacht auch in unserem kleinen Käfflein fast alles kaufen zu können, was man eben so noch auf die Schnelle braucht.

Ich kann mir vorstellen, dass man als Verkäuferin in so einem Shop über den Tag verteilt so viel kuriose Kundschaft zu sehen bekommt, dass man sich tatsächlich besser länger mit seinen Fingernägeln beschäftigt, als dass ich das an meinem Schreibtisch tue. Aber das, ist ja, ich gebe es zu, nicht wirklich der gültige Vergleich, denn ich bin ein Mann und verstehe von Fingernägeln nur so viel, dass man sie nicht kauen sollte. Und auch, dass sie durchaus hübsch anzusehen sind. Ich liebe schöne Fingernägel. Vor allem, wenn sie natürlich gewachsen sind und vorn nicht so absurd abgerundet geschnitten sind, dass mich die Dinger an den Stechspaten erinnern, mit dem ich zu Hause im Gemüsebeet wirken musste.
Warum komme ich überhaupt auf solche Gedanken, die Sie ja nun wirklich nicht interessieren müssen? (Nicht weiterdenken, bitte, auch ich weiss, dass man dies zu allem fragen kann, was ich so den lieben langen Tag denke und womöglich auch noch schreibe).

Ach ja, richtig. Ich war also tanken. Und machte mich auf in den Shop, um zu bezahlen.

Die Bedienung an der Kasse hantierte am Auszug der digitalen Registrierkasse rum und prüfte dazwischen immer wieder kritisch ihre Fingernägel, als wartete sie nur, bis die Katastrohe eintreten würde: Dass eine der glatt lakierten Fingerkopfschaufeln abbrechen möge. Während sie vergeblich versuchte, mit der Tastatur zu reden, hatte ich Zeit zu warten. Und zu starren. Die junge Frau trug unter der offenen Jacke mit dem Logo der Ladenkette eine Art Tracht mit Korsettchen, das die praktische Eigenschaft hatte, das Dekolleté nach oben zu drücken. Mein Auge ruhte also ganz natürlich auf dem Unnatürlichen. Denn solche perfekt geformten Busenausstattungen scheint es mittlerweile ab Stange zu kaufen zu geben. Jedes zweite junge Ding scheint sie zu haben, und ich denke wehmütig an die Zeit zurück, als mir so ein Anblick noch wie die Schönheit der Natur erschien – ein unverhoffter Moment für Frühlingsgefühle, mit dem man dann aus dem Laden laufen konnte, wie wenn man einen Sonnenstrahl eingefangen hätte. So, wie wenn Thinkabouts Wife mir ganz natürlich auseinandersetzt, dass der Kerl da vorne rechts wirklich verd… gut aussieht.

Die junge Frau an der Kasse tat das auch (Gut aussehen, meine ich). Aber sie schien dem nicht zu trauen und im permanenten Stress zu leben, sich überall irgendwie nachhelfen zu müssen. Wahrscheinlich gehört da das Desinteresse an den Kunden mit zum Problem. So abgelöscht und abwesend sein zu können, braucht schon was und verströmt in etwa so viel Leben wie das Silikon im Implantat (ohne Hülle). Dann aber naht Hilfe. Eine Kollegin stürmt herbei, grüsst mich mit fröhlichen Augen, und eine wache, helle Stimme erklärt dem schönen Wachsgesicht vor mir das Geheimnis der richtigen Tastenkombination. Dann rumpelt das nette Mädchen wieder von dannen und nimmt die Sonne mit. Ich blicke ihr nach und den breiten Hüften, auf denen allein etwa zwanzig Kilo Übergewicht haften mögen. Ich stelle mir vor, welches Leuchten an der Kasse herrschte, wenn das Barbie auch nur andeutend so zufrieden mit sich wäre, wie sie es sein könnte – bevor sie sich am Morgen die Rüstung anlegt… Stattdessen streckt sie mir nun das Wechselgeld hin und bringt dabei das Kunststück fertig, ohne Unterbruch aus dem Fenster zu sehen.

Ich bin sicher, sie hat bereits wieder vergessen, wie die Kasse sich beim gleichen Problem nächstes Mal öffnen lässt. Da liegen noch viele ungeknackte Codes am Strassenrand des Lebens. Aber vorläufig wird es genügend Gaffer geben, welche sich, den Daumen hoch, nach ihr verrenken und den Hals verstauchen. Ob der Prinz, der wirklich unverhoffte, darunter sein kann?