Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Blocher - man kann auch mal hinhören

∞  4 November 2014, 21:52

Ich habe mich in diesem Blog schon sehr oft sehr entschieden gegen die Politik und die einzelnen Aktionen von Christoph Blocher gewandt. Und dabei geht es mir ein Stück weit wohl gleich wie den meisten politisch interessierten Menschen in unserem Land, und wie den Medienvertretern und Polit-Kollegen auch:

Wir haben den Mann einfach nicht richtig angenommen – und sind entsprechend schlecht mit ihm umgegangen.

Der Wahlkämpfer Blocher war immer ein Taschenspieler, der im Kampf um Wählerstimmen stets einen Schritt voraus war, wenn es darum ging, härter zu politisieren, ein Tabu im politischen Streit zu brechen und damit zu polarisieren. Mit sehr viel Geld in der Tasche und mit dem unbändigen Wunsch beseelt, als politische Führungsfigur auch allgemeine Anerkennung zu erhalten, ohne je diese Bissigkeit eines Terriers abzulegen, der lieber den Passanten ins Bein beisst, bevor er von ihm getreten werden kann – hat Blocher eine beispiellose Karriere als Unternehmer und Parteichef hingelegt. Er wird bis ans Ende seiner Tage ein Widerborst bleiben und immer ein Thema finden, das er aufgreifen muss, um die Schweiz vor Schaden zu bewahren.

So weit reden wir vom Populisten Blocher, der Wähler fängt – und wir reden dabei sehr schnell auch von den Medien und politischen Gegnern, die ihm bis heute viel mehr Bühnenpräsenz geben, als nötig wäre: Er mobilisiert – und damit ist auch den Kritikern Aufmerksamkeit gewiss. Populismus ist also ein Wert, der Beachtung schenkt, auch wenn man dabei in den eigenen Wortmeldungen diesen Populismus geisselt – mit entsprechend wenig Erfolg. Denn bis heute hat es keine Partei verstanden, die richtigen politischen Analysen eines Blochers in eine Politik zu münzen, die umsetzbar wäre. Man müsste dem Mann ja dann in einer Weise recht geben, die einfach nicht sein darf.

Nun war Blocher zum vierten Mal Gast im Schawinski-Talk – und während ich ihm tatsächlich wieder mal zuhöre, erlebe ich Erstaunliches: In den ersten, erstaunlich langen Minuten gebe ich Blocher häufig recht: Ja, die Volksrechte der Schweizer Politik sind bedroht, die direkte Demokratie wird gerne in Frage gestellt. Sie ist lästig, sie berührt uns peinlich, wenn wir als Feingeister dann die “falschen” Entscheide im Ausland wieder erklären müssen. Und es IST ein Problem, wenn Volksinitiativen mit den Normen der europäischen Menschenrechte nicht vereinbar sind. Wer versteht denn Völkerrecht wirklich, und wer setzt welches Recht durch, wer anerkennt es für sich auch wirklich verbindlich an? Wer hat welche Resolutionen wirklich ratifiziert? Tun sich da wirklich alle Staaten so mit Vorbildcharakter hervor und gehen immer voran?

Es mag schwer zu verstehen sein, aber es ist ein wesentlicher Unterschied, eine deutsche Verfassung als Grundlage für die politische Gemeinschaft zu kennen – oder die schweizerische. Das deutsche Grundgesetz beginnt mit Grundrechten, die ausdrücklich von keiner Regierung, egal mit welcher Überlegenheit gewählt, antastbar sein sollen. Das Grundgesetz soll dadurch vor Entwicklungen schützen, welche Deutschland zwischen den Weltkriegen mit seinem parlamentarischen System erleben musste: Die Grunderfahrung ist: Keine Parlamentsdemokratie verhindert die Entstehung totalitärer Strukturen und damit den Verlust jener Art von Gerechtigkeit, die durch Menschenrechte garantiert werden soll.

In der Schweiz ist das anders: Die Bundesverfassung von 1848 begründet die Volksrechte in einer Grundsätzlichkeit, die den Willen des Volkes mit allen Mitteln der direkten Demokratie vor jedes Gesetz stellt: Das Volk und damit die Mehrheit der Bürger nimmt Gesetze an, gestaltet sie über Initiativen oder verwirft in Volksreferenden die Vorschläge der Parteien und Parlamente. Das System ist mit lauter Minderheitsparteien so austariert, dass die Kultur einer gewissen wirklichen und nicht nur gespielten Rücksichtnahme auf die jeweilige Minderheit zum Gestaltungswillen gehört. Unser System hat fast zweihundert Jahre auf dem Buckel – und es sind Jahre ohne Krieg. Mit einer Gestaltung der Gesellschaft, die wohl nirgends so vielen Menschen verschiedenster Herkunft und unterschiedlicher Vermögensverhältnisse ein sicheres Leben ermöglicht – als aktiv teilnehmender Teil an eben dieser Gesellschaft. Und darum sind tatsächlich auch für mich keinerlei politische Absichten denkbar, welche die Volksrechte der direkten Demokratie einschränken sollen. Ich weigere mich, hier auch nur einen Zentimeter abzuweichen.

Die aktuellen Prozesse in der EU sind mir dazu Bestätigung. Es findet eine schleichende Entwicklung hin zu einer Gesellschaft statt, die verwaltet und regiert wird, wobei der Einzelne je länger je weniger zu sagen weiss, wo denn nun die Macht wirklich sitzt? Wird er noch von den gewählten Vertretern seines Landes regiert oder von einer europäischen Verwaltung, welche unter dem Eindruck von Sachzwängen sich zu einem Handeln bekennt, bei dem der einzelne Bürger schlicht stört, sobald er fragt: Warum?

EZB, IWF – Die Geldpolitik ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich die Macht der Staaten ätherisiert – selbst längst in die Falle getappt, wirklich mit nichts so wenig fertig werden zu können, wie wenn denn jetzt die Zinsen auch nur moderat steigen würden… Wer macht Politik? Und welche? Kann man vom Bürger einfach voraussetzen, dass er in jedem Fall weiter konsumieren will und ganz sicher keine Belastbarkeitsprobe erleiden will? Wer nur alle vier Jahre das Akzept fürs weitere Regieren abholen wollen muss, der wird das immer fürchten – und sich lieber falscher Wahlversprechen überführen lassen. Nach und nach, nach der Wahl, im Kreis aller andern, die es auch so machen.