Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Auf dich, Bernie!

∞  13 Juli 2010, 22:05

Der Himmel ist klar, der rosa Hoizont färbt sich langsam blau. Diese Nacht kommt angenehm daher, denn es wird leichter, zu atmen. Die Luft frischt auf, ist kühl und nicht länger trocken. Es ist herrlich, auf der Terrasse zu sitzen und im T-Shirt diesen Beitrag schreiben.

Ich komme aus dem Tennisclub. Drei Plätze sind vom Sturm ramponiert. Herrichten, Benützen, Ausbessern, Erneuern. Umbrüche überall. Auch unter uns. Wir haben einen Kollegen verloren. Seit der Krankheitsdiagnose ist kein halbes Jahr vergangen. Es wird eine Flasche Rotwein bestellt: Auf Bernie, auf sein Wohl. Bernie war jünger als manche Person in diesem schönen Garten, in dem jede Krankheit unvorstellbar weit weg scheint. Aber Bernies Schicksal ist für viele von uns immer wieder ein Thema. Und es ist gut, dass es angesprochen wird. Jemand meint zwar, es würde ein Geburtstag gefeiert. Der Irrtum ist schnell berichtigt, und es muss nicht peinlich sein. Geburtstag? Vielleicht ist es ja gar nicht so falsch.

Bernies Geschichte wird nicht totgeschwiegen. Es beschäftigt uns. Wir reden darüber.
Mir einigermassen fremde Clubkollegen erzählen in der Garderobe plötzlich von ihrem Berufsalltag, von der relativ fragwürdigen Bedeutung hoher Arbeitsbelastungen. Für was eigentlich? Für wen ist der nächste Erfolg? Was ist mit den Kämpfen, die man nicht gewinnen kann und die früher oder später verloren werden?
Einer meint, man verliere auch im Tennis immer häufiger, aber man lerne dafür, das immer besser zu tun – auf dem Weg zu ein bisschen Grossmut mit sich selbst.

Bernie war wunderbar. Ohne jede Verklärung war er einer jener, die es mir sehr, sehr leicht gemacht haben, mich im Club wohl zu fühlen. Unaufdringlich, leise gar, ist er aufgetreten. Er wollte nicht im Mittelpunkt stehen, aber in seiner Nähe war stets eine Art Mitte.
Wenn jetzt nett über ihn gesprochen wird, so ist das schön. Es wird abnehmen. Ja. Es wird manche Tage geben, immer mehr davon, an denen ich nicht an Bernie denke. Aber es wird auch immer etwas bleiben von einer Form der Gegenwart, die mit Bernie verbunden werden kann.
Und was Bernie wichtig war, ist es wert, auch uns wichtig zu sein. Bernie ist den Weg gegangen, den wir alle gehen werden. Es ging schnell. Viel zu schnell. Aber nie ist ein Tod quälender, als wenn er herbei gesehnt wird. Darum gilt auch: Bernie ist voraus gegangen. Er hat seine Krankheit nicht vor sich her getragen wie ein Papp-Schild. Seht her, mir geht es nicht gut. Aber er hat sich auch nicht versteckt, und wer wissen wollte, wie es ihm ging und wie er begleitet werden wollte, konnte es von ihm erfahren oder spüren. Dafür bin ich ihm dankbar. Genau so wie für viele lebendige Bilder, die mir bleiben werden. Danke, Bernie.

Als ich aufbrach, heute, im Club, wurde das Essen serviert. Es wurde gelacht. Die Weingläser waren leer. Aber das ist gut so. Wir ehren den Tod und die Toten nicht, indem wir starr werden vor Scham vor dem Unvermeidlichen, das wir verleugnen. Aber wir ehren das Leben, wenn wir es als Geschenk begreifen, und wenn wir von dem lernen, was uns andere hinterlassen. Und das ist nicht nichts. Kein einziges Wort, das gesprochen wird, bleibt wirkungslos, nur weil wir nicht ermessen können, was es auslöst. Unser Bewusstsein der eigenen Lebendigkeit ist die grösste Ehre für jeden, der uns begegnet – und für jene, die es uns früher lehrten und es für uns nicht mehr wiederholen können: Das Leben ist Begegnung. Mit sich selbst. Und mit Menschen, die einem dabei helfen. Auch durch den eigenen Weg.