Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Andenken ja. Aber allein.

∞  10 November 2013, 20:53

Einladung zur Gedenkfeier im Altersheim für die Angehörigen der Verstorbenen in diesem Jahr. Ich habe den Flyer wohl ein paar Mal gelesen, ohne dass er zu mir durchgedrungen wäre.

Mutter hat über Jahre fein säuberlich in einer Liste die aktuell verstorbenen Bewohner eingetragen. Es ist nicht das einzige, was mich an ihrer Art, das Leben zu ordnen und in Listen zu bündeln, verwundert und immer wieder erstaunt hat: Ich muss meinen Hang zur Chaotik als eine Art Gegenprogramm zu ihrem Lebensstil entwickelt haben. Die Sauberkeit im Haus, die Ordnung, mit der die Dinge an ihrem Platz zu kleben schienen, das Tagebuch, das einem Kassabuch nicht unähnlich auch Einträge darüber enthielt, was man denn letztes Mal zum Besuch bei Elsie mitgebracht hätte – oder vom Besuch entgegen nahm.

Ich denke gerade spontan an den Eintrag im Kassabuch: “Zwei lieben Lehrlingen zur Lehrabschlussprüfung Fr. 10.—.”

Kleinlich ordentlich erscheint da ein Leben voller guter Absichten und gut gemeinter Taten. Ich entnehme der erwähnten Liste nur eines: Mehr als 20% der Bewohner erleben das Ende des nächsten Jahres nicht. Dennoch weiss ich nicht, ob die Gedenkfeier nicht doch eine sehr intime Veranstaltung im sehr kleinen Kreis werden wird. Ich auf jeden Fall werde kaum hingehen:

Meine Trauerarbeit sieht anders aus, und es ist für mich die Zeit für ganz andere Dinge. Ich werde also den Tag anders begehen, aber wohl doch auch sehr bewusst. Irgendwo am See vielleicht, denn er gehört einfach zu meiner Kindheit, auch wenn ich nicht gerade die Wasserratte bin. Aber schweifen lassen habe ich meine Gedanken schon als Kind gerne an der Mole, über die erste Wellenkuppe hinweg hinaus ins Abendlicht, oder ich habe unbeschwert flache Kieselsteine übers Wasser hüpfen lassen, Eins, zwo, drei – und weg waren sie.

Weg bist du auch, Mutter. Und ich vermag nicht zu sagen, ob du da, wo du jetzt bist, einsamer bist als ich, als wir hier auf Erden. Und auch nicht vermag ich zu sagen, wie du das spürst, wahrnimmst, ob du Ruhe hast oder nicht. Was ich aber weiss: Du warst mir mit deinem bewusst gewollten und durchlebten Sterben in deinem Gehen näher als oft zuvor, als du mich gefragt hast: Warum kommst du erst jetzt?