Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Allein. Sein. Mit Liebe

∞  13 November 2009, 20:46

Alte Menschen sind bestimmt sehr oft allein. Je mehr das Leben fortschreitet, um so deutlicher wird das Unausweichliche: Es wird ein Ende haben. Freunde, Bekannte, Nachbarn sind vielleicht schon gestorben – oder körperlich oder geistig nicht mehr in der Lage,einen Kontakt zu pflegen. Die Jungen kümmern sich mehr oder weniger, ganz intensiv oder gar nicht. Das Leben im Haus oder in der Wohnung wird beschwerlich, oder das Nachfragen nach Hilfe im Altersheim immer häufiger unausweichlich. Diesen Kampf tragen wir alle einmal alleine aus. Wir können Trost von Mitmenschen erfahren oder Gleichgültigkeit fühlen. Je nach dem eigenen Charakter beeinflusst das unsere Stimmung im Guten wie im Schlechten sehr stark oder nur wenig. Ich glaube, dass das Alter ein harter Nachhilfelehrer der einen Lektion ist, die wir eigentlich auf Schritt und Tritt im Leben immer wieder hätten lernen können:

Wir sind allein.

Wir glauben gerne mal, dass wir einzigartig sind. Das schliesst aber auch ein Alleinsein ein. Wir sind allein auf die Welt gekommen – und wir gehen allein aus dieser Zeit. Aber wir gehen nicht nur diesen letzten Weg allein: Auf jedem Schritt in unserem Leben, ob wir viele Freunde um uns haben oder niemand sich um uns schert: Wir bleiben mit uns allein. Wir selbst müssen mit uns auskommen. Wenn wir nicht wollen, erreicht uns kein tröstendes Wort. Wenn wir es nicht zulassen, zerstört aber auch keine Häme das Vertrauen in unser Selbst.
Und wer uns bedrängt, belagert oder beschimpft – hat den gleichen Weg vor sich. Ebenfalls allein. Das ist alles trostlos, finden Sie? Ich glaube nicht. Eine Liebe kann sehr kraftvoll, innig und tief sein. Dennoch hat sie keinen Anspruch darauf, den liebsten Menschen wirklich zu erreichen. Dies liegt bei diesem Menschen allein, bei seiner Geschichte und seinem Seelengleichgewicht. Deswegen sollte auch unsere tiefste Liebe nie den Anspruch erheben, heilen oder Glück schenken zu können. Es braucht dazu immer den Menschen selbst, dem sie gilt.

Geben und Nehmen geschieht immer im Dialog mit sich selbst. Und darin behält es dauerhaft seinen Wert. Wenn wir neben einander gehen, Wanderkameraden im Leben sind, so sehen wir manchmal zur gleichen Zeit die gleichen Schönheiten, dann wieder mag der eine gar nicht hinsehen, dabei bin ich doch der gleiche Mensch wie eben noch, und die Welt ist auch nicht grauer geworden. Aber mein Blick ist nie derjenige meines Nächsten. Wir haben nur mehr oder weniger gemeinsame Projektionen. Und wir können eine Form der Liebe entwickeln, die tragfähig ist wie ein Fundament aus Beton: Wir können Begleiter sein. Wir können uns treffen. Immer wieder. Eine gut funktionierende Ehe, eine tiefe Beziehung ist wie ein Leben, indem es immer wieder ein Date gibt. Ohne dass man dieses vereinbaren würde. Sei es, dass man plötzlich ein Gespräch hat. Ein wirkliches Gespräch, meine ich. Oder einen befreienden Lacher, weil sich genau in diesem Moment die Gedanken decken oder eine Erinnerung erneut und gerade jetzt gemeinsam wird. Es ist übrigens faszinierend, einen Menschen zu haben, der einen auch nach dreissig Jahren noch zum Lachen bringen kann.

Vor allem aber muss man eine Sprache haben, um sich einander erzählen zu können. Ein bisschen mehr, als die innere Scheu es zulassen möchte.
Und wenn das fehlt? Wenn dieser Mensch nicht mehr lachen mag? Wenn Depressionen an ihm nagen, dunkle Gedanken meiner Liebe den Zugang verwehren, Gefühle unerwidert bleiben?

Niemand kann von irgendwem verlangen, eine Lebenssituation auszuhalten. Was stimmen muss, und was verzichtbar ist, muss ebenfalls jeder Mensch für sich erkennen. Aber ganz wichtig scheint mir, dass er sich eines bewusst ist: Er bleibt ein gutes Stück weit, in seinem Kern, mit sich allein. Und er mag das am besten aushalten, wenn er darüber reden kann. Mit einem Nächsten. Vor allem aber auch mit sich selbst. Allein dies wird ihm helfen und ihn befähigen, ohne jede Bitterkeit Abschiede zuzulassen. Und manches Mal mag diese Art Weisheit auch verhindern, dass man nicht länger Wegbegleiter bleibt
.
Es gibt keine rührendere, kräftigere, naivere und realitätsnähere Liebe als diese:

Du bist, wie du bist, und ich lebe mit dir. Mit dir halte ich mich gut aus. Neben dir komme ich immer wieder viel leichter zu mir zurück.

Und im Alter werde ich dann voller Dankbarkeit denken: Neben dir macht mir mein Sterben weniger Angst. Auch, weil ich weiss, dass du die Grösse haben wirst, mich gehen zu lassen. Und allein zu sein. Mögest du dich darin nie quälend einsam fühlen. Auch, weil es mein Beispiel gab. Einfach für ein anderes Leben, in das du gern ein wenig hinein schauen durftest, während ich Dir lächelnd bedeutete:
Siehst du? Ich finde den Weg auch steil.


Bild: Rast am Strassenrand in Hoi An © Thinkabout’s Wife 2009