Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


5 Stunden geblockte Freizeit pro Tag?

∞  27 September 2010, 21:42

Haben Sie auch ein Gefühl von Zeitnot? Sind Sie Getriebene der eigenen Pflichten und To-Do-Listen? Susanne Gaschke mutmasst in der Zeit [Print No 39: Mitmachen, warum nicht?] über die Gründe, warum wir uns politisch nicht engagieren mögen. Der Artikel enthält viele sehr feine Beobachtungen und mögliche Motivationen für ein verstärktes Engagement in der Gesellschaft, welche unsere Gemeinschaft ist, sie führt aber auch auf, warum wir wohl allen Ernstes meinen, wir hätten keine Zeit. Das dürfte, verglichen mit einem Industriearbeiter des 19. Jahrhunderts eine lächerliche Aussage sein, aber eben, vielleicht sind Sie ja Teil dieser Statistik – zumindest in Teilen:

Das Fernsehen raubt dem durchschnittlichen Erwachsenen 3 Stunden pro Tag, das Internet mehr als zwei Stunden.

Weiter bemerkt sie treffend:

Die Geissel der elektronischen Allerreichbarkeit hat die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen lassen, und der flexible Kapitalismus erwartet auch den jederzeit flexiblen (und hingebungsvollen) Mitarbeiter.

Ist dieser real erfahrene Kapitalismus denn wirklich flexibel? Man kann hier entgegen setzen, dass er in seinen Ansprüchen gegenüber dem Arbeitnehmer eben gerade überhaupt nicht flexibel ist. Diese Mobilität der Kommunikation ist doch vielmehr ein Zwang, jederzeit gestört werden zu können.

Und wenn wir dann wirlich privat sind, was machen wir dann? Wir vernetzen uns weiter und verschicken virtuelle Torten und anderen Quatsch mehr. Was für ein unverbindlich hirnloses und damit unverfängliches Mittel, anderen zu sagen: “Ich bin dabei und hoffe, Du bemerkst mich.”

Wir kommen uns kaum je näher. Die wenigsten benützen Netzwerke für richtige Kommunikation (also für so was Abenteuerliches wie ein richtiges Gespräch), und unter dem Strich bleiben alle allein mit sich selbst, wobei die Entfernung zur eigenen Mitte, die Ahnung von Ruhe, der Frieden mit sich selbst immer unwahrscheinlicher wird.

Es ist, in der Tat, unglaublich, wie stumpf und dumpf die Zeit vergeht. Dabei ist sie ein Gut, von dem noch keine Generation vor uns so viel zur Verfügung hatte. An nichts zeigt sich als Gesellschaft, aber auch in der Nutzung durch jeden Einzelnen besser, ob die sich laufend weiter entwickelnde Technik, die Möglichkeit zu mehr Freiheit, sich in ihr Gegenteil verkehrt: In eine Art Zwang zur Unfreiheit. Wir binden und ständig neue Pendenzen und Schein-Notwendigkeiten um.
Was wir dabei verlieren, ist regelmässig eine weitere Chance zu einer vertieften Sinneswahrnehmung. Am Ende haben wir noch nicht mal mehr Stimmungen. Wir haben gar keine eigene Präsenz mehr.