Bericht vom letzten Vorposten (Reloaded)
Ich weiss, dass meine Mutter viele meiner Texte gemocht hat – obwohl sie meistens alles wieder weggeworfen hat, wenn es gelesen war. Heute nun musste ich schmunzeln: Inmitten der monatlichen Abrechnungen vom Altersheim, fein säuberlich gelocht und abgelegt im Bundesordner, finde ich folgenden von mir verfassten Text – und das ist mir Grund genug, ihn hier nochmals wiederzugeben.
Bis zuletzt fand sie immer wieder Grund, herzhaft zu lachen, und sie hat es geliebt, Witze erzählt zu bekommen und sie weiter zu geben. Und es fiel ihr auch bemerkenswert leicht, über ihre eigene Situation und ihre Umgebung mit zu schmunzeln, wenn diese jeman ein wenig auf die Schippe nahm. Überhaupt hat sie wohl meine leichteren, flockigeren Texte, von denen es, ich weiss, nicht so viele gibt, ganz besonders gemocht. Nun denn, ich kann einleitend noch beifügen, dass mir heute bei der Durchsicht ihrer Schriftstücke auch sonst leichter zumute war, als gedacht. Es ist schön, diese Aufarbeitung nun langsam an die Hand zu nehmen, und auch mal bei einem Dokument verweilen zu können. Aber ich schweife ab. Das hier ist ja nun nicht unbedingt gerade ein Dokument…:
Bericht vom letzten Vorposten
∞ 30 APRIL 2007, 18:35
Mein heutiger Beitrag ist die Potenzierung des Unattraktiven: Geht es hier sonst schon oft genug um vermeintlich „schwere Themen“ (auch wenn sie der Seele eigentlich zu freierem Durchatmen verhelfen sollen), so rapportiere ich heute zusätzlich noch von einem Ort, der wirklich absolut zum In-Report taugt mit Hit-Klick-Besuchsrekordpotential:
Vom Altersheim nämlich.
Vom Alten-Heim.
Vom alten Heim.
Denn eine solche Institution altert irgendwie schneller als ein normales Gebäude. Sozusagen im Zeitraffer-Eiltempo altern hier die Geschichten bis zur letzten Zeile, die immer gleich endet. Menschen kommen aus der Welt, bevor sie endgültig aus der Welt gehen…
Aber noch schreiben sie an ihren Geschichten weiter, und es ist an uns, wie wir diese hören und sehen und verstehen wollen.
Zum Beispiel die Geschichte vom Kerrn Koputschka, der durch den Park schlurft und mit seinem Stock die Blätter auf dem Weg hin und her schiebt, scheinbar ruhelos und doch bedächtig, hartnäckig. Und plötzlich steht er da, an der Theke der Cafeteria, mit einem Schnittblumenstrauss in der Hand für die werte Bedienung, und während Gott weiss, woher die Blumen kommen, können wir es zumindest befürchten…
Nun stehen sie da, im Glas auf der Theke, und erfreuen dank dem Herrn Koputschka die vermutlich falschen Leute, aber was ist schon falsch an einem Blumenstrauss, der die schöpferische Schönheit an einem Ort des welkenden aber manchmal durchaus heiteren Alterns verkündet?
Oder ich könnte von der Frau Thomalla erzählen, die an keiner Garderobe vorbei gehen kann, ohne in den Handtaschen zu wühlen. Fehlt irgend ein Seidenschal, so weiss das Personal, wo dieser zu suchen ist. Allerdings ist das Reich der Schubladen der Frau Thomalla fast unergründlich und kann Zeit beanspruchen…
Oder da wäre das Augenzwinkern, das uns der Herr Schibsky anbietet, der nach dem Frühstück sich vorsichtig aus seinem Stuhl stemmt und trocken bemerkt, damit wäre ein Drittel der Arbeit des heutigen Tages getan…
Diese Geschichten erfahre ich von meiner Mutter, während ich neben ihr auf einer Bank an einem kleinen Teich sitze. Wir blättern dazwischen ein Fotoalbum durch, das ich auf ihren Wunsch mitgebracht habe, und das die ersten zwanzig Jahre meines glorreichen Lebens dokumentiert. Dabei sehe ich auf so manchem Bild einen Herrn mittleren Alters, der mein Vater ist, und ich stelle plötzlich fest: Er hat mein Alter. Und während ich mich mit meiner Mutter über den Umgang mit der eigenen Endlichkeit unterhalten kann, fühle ich das Glück, das darin liegt. Denn sie lebt mir etwas vor, dem ich mich auch zuwenden kann, muss oder darf: Dem Blick auf die zweite Lebenshälfte, auf der sie mir weit voraus geht und durchaus auch eine Lehrerin ist. Wer weiss, was mir mal Trost sein darf, weil ich mich an diese Momente erinnern werde?
Es war mir zuvor schon keine schwierige Aufgabe, den Menschen, von denen ich oben erzähle, Respekt zu zollen. Aber jetzt weiss ich, warum. Und ich hoffe, dass dies auch oder gerade in den humorigen Zeilen zum Ausdruck kommt.
Thinkabout erweitert sein Archiv
Der Wunsch, alle Texte, die durch die Thinkaobut-Präsenz entstanden sind, hier gesammelt zu archivieren, ist endlich stark genug, dass ich die Arbeit anpacke.
Ich habe vor einigen Tagen damit begonnen, die Inhalte meines ersten Blogs ins Archiv hier bei thinkabout.ch zu integrieren. Es sind nur ein paar wenige Artikel pro Tag, die ich übertrage (zu finden ganz unten im Archiv). Denn neben den Anpassungen in den Formaten lese ich bei dieser Gelegenheit Wort für Wort selbst nach, was ich damals geschrieben habe – auch weil es darum geht, Material für ein Projekt zu sichten.
Ich kann mich noch sehr, sehr gut an diese Anfangswochen im Herbst 2004 erinnern und an die innere Freude, die diese Möglichkeit des Schreibens in mir weckte. Und ich ertappe mich bei einem Gedanken, der mir immer wieder durch den Kopf geht:
Verflixt nochmal, viele dieser allerersten Artikel gehören zu den sehr guten, wie ich finde. Bis heute. Überspitzt formuliert kann ich mich selber foppen und feststellen: Ich könnte hier aufhören. Ganz offensichtlich hatte ich damals mindestens so viel Durchblick wie heute, und formuliert habe ich es auch noch poetischer, runder, oft auch klarer – so scheint es mir. Man hockt sich eben selbst in seiner unmittelbaren Gegenwart viel zu sehr auf der Pelle, um über sich selbst urteilen zu können. Und warum auch nicht zu diesem Schluss kommen? Ist das Leben nicht zuletzt das immer wieder neue Ringen mit den gleichen Fragen? Die langsame Vertiefung der Antworten in neuen Lebenssituationen?
Zudem kann ich spüren, wie damals viele Dinge in mir geradezu danach riefen, endlich einmal formuliert zu werden. Das Blog war wie eine Schleuse, mit der ich geordnet und mit Bedacht die Pegelstände meiner inneren Empfindungen mit dem äusseren Leben austarieren bzw. dafür Sicherheit und Gewissheit gewinnen konnte.
Und was ich auch feststelle:
Einige dieser ersten Texte habe ich schon einmal in den letzten Jahren hier integriert. Wenn ich es jetzt, terminiert mit den jeweiligen Erstveröffentlichungsdaten nochmals tue, dann der Ordnung halber – ich möchte am Ende alle Texte hier chornologisch geordnet vorliegen haben – auch in der Urfassung.
Sisyphus – in diesem Fall muss dich niemand bedauern!
Die Zuneigung fühlen - und ihr auch eine Sprache geben!
Zum Siebenjährigen Bestehen dieses Blogs erlaube ich mir mal einen Griff in die Mottenkiste. Manchmal stöbere ich selbst gerne in alten Beiträgen an altem Ort – so langsam sollte ich die Inhalte allerdings alle mal hier bündeln – und die alten Sachen still und leise chronologisch am Ende, das in einem Blog ja der Anfang ist, hier einfügen. Ist allerdings eine Heidenarbeit – und liegt darum noch auf einer gaaaanz langen Bank.
Also: Text vom 17. Oktober 2006 (ich kann mich ganz knapp beherrschen, stilistische Verbesserungen anzubringen; der Text soll hier unverändert stehen):
Wie oft denke ich Gutes über einen Menschen und sage es ihm nicht?
Man solle nicht zuviel loben, nicht zu viel der Worte machen, Menschen nicht mit Zuneigung erdrücken, höre ich immer wieder.
Wir haben Angst, zurück gewiesen zu werden und in der Tat können wir oft mit Lob oder Liebe, auch freundschaftlicher Art, sehr schlecht umgehen, auch und gerade dann, wenn wir sie unverhofft erfahren.
Nicht zuviel reden, weil dies – inflationär gebraucht – den Zauber entwertet, das Aussergewöhnliche alltäglich macht, ist ein anderer Einwand.
Alltäglich und abgenutzt kann aber nichts werden, was wir wirklich denken. Und tatsächlich scheint es doch so, dass wir sehr viel öfters einen liebevollen oder zumindest achtsam-respektvollen Gedanken für jemanden haben, ohne dass wir ihm oder ihr diesen aber auch mitteilen, wirklich sagen würden.
Schauen wir uns doch um. Nicht mal in unseren engsten Beziehungen pflegen wir die nur scheinbare alltägliche Geste des zärtlichen Wortes. Dabei ist dieses, so ganz nebenher gesagt und doch direkt aus dem Bauch auf die Lippen kommend, die wirkliche Essenz einer Geborgenheit schenkenden Vertrautheit, eines Zusammengehörens, einer Umarmung der Seele.
Niemand fühlt sich mit einem Menschen jederzeit und überall restlos wohl. Da stehen wir uns schon selbst zu sehr im Wege. Aber die Summe aller erlebten und immer wiederkehrenden Feiern jener Augenblicke, in denen dem eben doch so ist und ich, Du dies auch bemerkst, und sagst, macht das Wissen aus, aufgehoben zu sein. Ein einzelner Blick, eine Berührung, ein Kosewort, ein Hauch für Nachhaltigkeit, niemals wirklich ohne Bedeutung. Tragen wir uns Sorge!
Die Sache mit der Ordnung
oder: Egons Unordnungssinn…
“Warum nur fällt es mir so verd… schwer, Ordnung zu halten?” murmelte Egon, während er ruhelos und mit leicht fahrig schlenkernden Armen im Büro hin und her schlich.
Sein Gesprächspartner fühlte sich nicht zu einer Antwort gedrängt. Die Frage war uralt und längst mehr Rhetorik, und das war es, was Nirvan wirklich ärgerte: Die fehlende Ernsthaftigkeit, Unredlichkeit, die darin lag, gar nicht ernsthaft eine Antwort zu erwarten – geschweige denn, sie selbst zu suchen. Aber da war doch eine Veränderung im Tonfall heraus zu hören: Es klang nicht mehr wie der pathetische Aufruf zur Anteilnahme. Die Worte kamen leise daher, und Nirvan glaubte gar, ein bisschen Verzweiflung oder zumindest ehrliche Resignation heraus zu hören.
Nirvan verschränkte auf der Ruheliege in der Ecke entspannt seine Hände hinter dem Kopf, bevor er sich endgültig zu einer Antwort durchrang:
“Weil du dir die Zeit dafür nicht nimmst und dir einbildest, sie wäre eh nur vergeudet. Ziemlich anmassend, wenn ich mir ansehe, was du dann stattdessen tust…
Du schaust dir die Ordnung an, wenn sie denn geschaffen worden ist, und fändest es ganz praktisch, darin zu leben, würde sie ganz ohne Aufwand angeboten.”
“Ja, Ordnung zu halten ist wirklich erstrebenswert.”
Nun wurde Nirvan ungehalten. “Einer, der so wenig dafür zu tun bereit ist, sollte das Wort “erstrebenswert” hier gar nicht brauchen.”
Egon verdrehte die Augen. Für ihn waren dies oft Wortklaubereien. Zumindest zu Anfang. “Ich gebe mir doch Mühe!”
“Nun, ganz offensichtlich ist es zumindest so, dass du Mühe damit hast”, spottete Nirvan, fuhr dann aber weiter:
“Mach deine Arbeit fertig. Beginne keine neue, bevor du die alte nicht abgeschlossen und abgelegt hast. Zuvor denke gar nicht erst an die nächste.
Überprüfe deine generelle Haltung. So falle auch niemandem ins Wort, sondern höre geduldig zu. Auch dabei kannst du für die Ordnung üben.
Je ruhiger deine Gedanken werden, um so geordneter stehen sie selbst in einer Reihe, und um so eher kannst du dich darauf verlassen, dass die spontane Eingebung, wo denn etwas Bestimmtes abzulegen oder zu verstauen wäre, auch die richtige ist, die du später wieder erinnern kannst. Wenn du dann ohne Hektik richtig was weg arbeiten kannst, dann wird die Ordnung zum Freund.”
Ihm war nicht wohl, wenn er solche schulmeisterlichen Vorträge hielt, aber er mochte den Jungen, wie er Egon bei sich oft nannte, eben doch so gern, und wenn er dann die Chance sah, ihm zu einem Aha-Erlebnis zu verhelfen, redete er sich schon mal ins Feuer, auch wenn er wusste, dass es oft vergebens war. Egons Blicke waren nicht da, wo sie sein sollten, und so seufzte Nirvan leise und wiederholte nur das, was er glaubte, würde sich heute doch noch bei Egon setzen können:
“Strebe hartnäckig, aber auch mit Geduld nach Ordnung, und du wirst früh merken, dass es sich mit ihr leichter leben lässt.”
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Überarbeitung eines Artikels aus dem alten blauen Blog vom 16.09.06 womit ich auch die entsprechende Kategorie Egon und Nirvan hier eröffne. Auch abgelegt unter Reloaded
Bleibende Liebe: Die Kunst zum Staunen bewahren
Nichts ist vergleichbar mit dem Gefühl, jemanden noch immer so zu lieben – wie vor zwanzig Jahren.
Damals mag ich in deinem Beisein den Himmel berührt haben. Heute spüre ich neben dir den Boden unter meinen Füssen immer wieder neu.
Der Liebe eigen ist das wunderbar Subjektive: Sie sieht sich grenzenlos, lässt sich mit nichts Bisherigem vergleichen, glaubt an die Einmaligkeit, verschwendet keine Gedanken an morgen, fürchtet auch nichts, was kommen mag. Was nicht voraussehbar ist, bleibt weit weg. Es zählt nur der Augenblick.
Junge Liebe will ihn festhalten, diesen Augenblick, ihn auskosten, ja ausschlürfen, als gäbe es kein Danach. Sie ist ohne Geduld, obwohl sie das ganze Leben vor sich hat.
Eine alte Liebe – ach nein, das gibt es nicht. Eine lange Liebe schon. Sie hat vielleicht die kürzere Zeit vor sich als hinter sich. Und doch ist sie gelassener, beseelt von Ruhe, Ausgleich, Bejahung, weiss sich bestätigt, braucht längst keine Beteuerungen mehr.
Die lange Liebe schlägt immer wieder die Augen auf, um neu über ihre Entdeckungen zu staunen. Im Vertrauten sieht sie den Trost und Reichtum der Reife, die nichts zu bedauern hat:
Sieh an, ich kann mit dir lachen, immer wieder.
Ich kenne dich gut, aber nie ganz.
Ich bleibe neugierig auf dich.
Und staune weiter.
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Neufassung eines Textes vom 27. Januar 2008 – jetzt gefällt er mir (besser).
Fundstück: caro-art.ch
Es wird Nacht
3 Years agoBild: Caro Nadler