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Zurück im Rennen, aber in welchem Starthäuschen?

∞  4 Januar 2010, 21:13

Daniel Albrecht war schon immer ein eher ruhiger Typ. Mit seinem Kumpel Berthod hatte er allerdings recht häufig einen ziemlichen “Saich im Grind”.
Ein TV-Tipp.


Und wenn Albrecht Skis an den Füssen hatte, dann war er plötzlich schnell, sehr schnell. Wer ihn fahren sah und davon etwas versteht, wusste, dass da vielleicht der beste Allrounder seiner Generation heranwächst. Vor einem Jahr etwa war’s, da kam Daniel Albrecht nach hervorragenden Resultaten nach Kitzbühl, und niemand musste sich einen Löli schimpfen lassen, wenn er meinte, dass auch auf der schwersten Abfahrt des Winters Daniel Albrecht erst einmal geschlagen werden müsse.

Und Albrecht gab Gas, war schon im ersten Training schnell unterwegs, sehr schnell – bis es ihn im Zielschuss mit über 130 Stundenkilometern in die Luft katapultierte – einen Hauch zu wenig Vorspringen vor dem Zielsprung – und nun hob es ihn in die Luft. Albrecht hatte keine Chance, die Skis unter dem Körper zu halten. Er krachte mit Rücken und Kopf auf die Piste und blieb bewusstlos liegen. Ein Schädel-Hirn-Trauma, ein künstliches Koma für quälend lange Tage. Lange fragte man sich: Würde Albrecht überleben, und vor allem, würde er geistige Schäden davon tragen? Sein Zustand wurde zwar stets mit “stabil” angegeben, aber die Aufwachphase einzuleiten wurde immer wieder verschoben. Dann endlich die erste Entwarnung. Daniel Albrecht wurde ins Bewusstsein zurück geleitet. Es folgten lange Monate der Rehabilitation, in denen der junge Hochleistungssportler eine ganze Menge banaler Dinge wieder wie neu lernen musste.
Koordination, Sprache, geordnetes Denken – und Reaktionsvermögen.

Das Schweizer Fernsehen hat in 2009 Daniel Albrecht immer wieder besucht und die Phasen seiner Genesung dokumentiert, begleitet ihn beim ersten Ausflug in die Stadt an den Ticketautomaten, auf den Radtouren mit den Mannschaftskollegen, wo er sich auch noch den Arm bricht, beim ersten Skifahren. Besonders in Erinnerung ist mir geblieben, wie er beschreibt, dass es Phasen gab, da sass er einfach da, ohne etwas zu denken. Er sagte, da war einfach kein Gedanke, nichts. Und es scheint, als hätte er sich dabei einfach verwundert zugeschaut.

Es ist überhaupt interessant, Daniel Albrecht zuzuhören. Er spricht langsam. Man nimmt unweigerlich an, zu langsam, weil man seine Geschichte kennt. Aber es ist mehr ein genau Hinhören von ihm selbst beim Sprechen. Und er macht einen ausserordentlich offenen, ehrlichen Eindruck, ohne falschen Stolz: Er weiss genau, dass er gar nicht versuchen darf, etwas zu erzwingen. Oder zu beweisen. Schritt für Schritt tastet er sich heran. Die Trainer lassen ihn mit den Kollegen trainieren. Albrecht soll Fortschritte machen, heisst es, und immer schneller werden. Aber er sagt selbst: Ob er die letzte Schwelle schafft, das unbedingte Vertrauen aufbauen kann, weiss er nicht. Und so verzögern er und die Trainer das Comeback, denn Daniel Albrecht weiss: Wenn er es zu früh probiert, und es gelingt nicht, wird er das Vertrauen wohl nie mehr finden.

Bei allem aber schaut man dem jungen Mann ins Gesicht und weiss: Es ist toll, was Du überstanden hast, und wo Du wieder hingekommen bist. Gut, dass es Dich gibt. Viele Menschen werden sich noch mit Dir freuen. Über was alles? Nun, das wird sich zeigen. Daniel Albrecht muss es im Grunde nicht mehr eilig haben. Er war schon mal da, wo die Zeit und die Gedanken still stehen – zumindest so, wie wir sie uns normalerweise denken.

Heute Abend, SF2, 22h20

Für jene, die sich dafür interessieren, aber nicht fernsehen können: Die Sendung dürfte später im Videoportal von SF zu sehen sein. Ich werde den Link dann hier rein setzen, wenn ich dran denke.


Update 5. Jan. 2009:
Link zum Video


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