Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.


Die Leser sind die Gefragten

∞  13 Oktober 2013, 21:36

Der Finale Gedanke allen Fragens ist, dass der Gefragte doch selbst die Wahrheit haben und durch sich selbst bekommen muss.

Philosophische Brosamen, Sören Kierkegaard


Die Einsicht, dass jede Wahrheit selbst entdeckt, erkannt, jede philosphische Antwort selbst angenommen und erarbeitet werden muss, ist einer meiner wichtigsten Grundsätze überhaupt.

Ich nenne mich und mein Blog hier Thinkabout. Und ich habe lange darüber nachgedacht, wie das wohl ankommen wird. Es kann als Imperativ verstanden werden, aber es meint genau dies:

Ich habe persönliche Einsichten, die für andere erst mal nur Meinungen sind. Oder Gedanken zu Lebensfragen. Die Art, wie Sie damit umgehen, bleibt völlig Ihnen überlassen. Mir ist dabei die vorschnelle Zustimmung genau se wenig angenehm wie das blosse Schulterzucken. Und doch habe ich auf all dies keinen Einfluss – und will es auch gar nicht beanspruchen. Natürlich möchte ich überzeugen – in politischen Debatten. In Lebensfragen liegt mir aber mehr am Herzen:

Ich möchte Mut machen, mehr vom Leben zu erwarten als sorgenfreies Auskommen und etwas Zerstreuung – und weniger als die Erfüllung aller Träume. Wenn mir jemand sagt, dass ihn ein Satz zum Nachdenken gebracht hat, dann macht mich das glücklich. Denn es bedeutet, dass sich Schreiber und Leser in der Suche nach Inhalt und Weg des Lebens unterstützt haben, dass sie einander helfen, einen Standpunkt zu erarbeiten. Auch und gerade beim Schreiben ist es so, dass der Moment der Sammlung, im Bewusstsein, dass meine (fehlende) Konklusion danach eine öffentliche ist, mir hilft, über den spontanen Gedanken einen ernsthaften zweiten zu legen – und erst danach zu schreiben. Meistens wenigstens. Dass ich die Wahrheit gepachtet habe, will ich aber nie behaupten oder glauben machen. Ich versuche, jedem Leser Respekt zu erweisen, indem ich mein eigenes Denken als Momentaufnahme begreife, die sich durch entdeckte Irrtümer genau so verändern mag wie sie sich durch gefestigte Erkenntnisse schärfen kann.

Schön, sind Sie mit dabei!

Ein bisschen mehr Abschied

∞  19 September 2013, 10:30

Besuch beim Pflegepersonal, das meine Mutter im Sterben pflegte. Ein weiterer Schritt in der Trauerarbeit – und die Erneuerung des Dankes für den Trost der guten Pflege.

Ich weiss nicht, ob der Abschied von Angehörigen Etappen enthält auf einer Reise, die ein Ende findet – oder ob dieser Prozess niemals abgeschlossen ist – unabhängig davon, wie der Verlauf und das Erlebnis war. Eines aber ist ganz sicher: Wer Abschied nimmt, muss in letzter Konsequenz die Hinwendung und Konzentration auf sich selbst schaffen.

Wenn man als Sohn im Laufe der Zeit und in jedem Fall im Erwachsenenalter seine Eltern verliert, sie also überlebt, dann ist das der normale Lauf des Lebens. Die meisten machen das durch – und ist es umgekehrt, so ist das wohl eine ganz besondere Tragik. Es ging und geht also bei mir den geregelten Gang des Lebens und Sterbens, so, wie es “seine Ordnung” hat. Und doch macht mir der Abschied von meiner Mutter noch immer zu schaffen, und ich habe Phasen, da frage ich mich, ob das je aufhören wird?

Wahrscheinlich nicht. Es wird seltener werden, dass ich daran denke, dass mir Bilder hochkommen von der Pflege, von der Bewusstwerdung der Endgültigkeit, für die es verschiedene Bilder gibt, die wohl bleiben werden. Immer. Dabei scheint es gar nicht so sehr eine Rolle zu spielen, wie gut das Verhältnis zu den Eltern war – wahrscheinlich deswegen, weil diese ganze Frage im Grunde nur mit mir selbst zu tun hat.

Gestern ist Marcel Reich-Ranicki gestorben. Von ihm überliefert ist die Aussage des zutiefst ungläubigen Menschen, der Tod sei für ihn ein Skandal. Die Tatsache, dass er sterben würde, vergänglich wäre, schien ihm eine Ungeheuerlichkeit zu sein – eine Haltung, die ich immer häufiger zu hören bekomme. Sie ist konsequent in einer sinnentleerten Welt, die am Punkt der Ungewissheit lieber mutmasst als glaubt, gar nicht anders kann, weil heute spirituelle Erfahrungen mit eletkrischen Impulsen im Gehirn erklärt werden – und die Liebe als biochemischer Prozess. Wir sind bereit, jede Antwort nach dem Sinn des Lebens, die Spiritualität mit einschliesst, lächerlich zu machen, sehen aber niemals in der scheinbar wissenschaftlich erklärbaren individuellen Wahrnehmung des Einzelnen die Lächerlichkeit des momentanen Unwissens. Und vor allem fragen wir uns nicht:

Warum ist ein Sonnenaufgang nicht länger eine emotional berückende Erfahrung, nur weil ich die Entstehung und Wahrnehmung der Farben scheinbar befriedigend erklären kann?

Wenn aber alles Wissen, das wir generieren, schlussendlich auch nicht anders kann, als schon im Fundament der Erkenntnisse auf einer Annahme zu beruhen – wie kann denn unsere Aufgabe eine andere sein, als angesichts der Endlichkeit unseres Vorstellungsvermögens und dem Zerfall von Leben die Frage zu stellen, woher denn dieser Skandal kommen mag, der einfach den Verlust einer Existenz bedeutet. Und wenn wir eines schon sehr früh in unserem Leben wirklich “wissen” könnten, dann ist es, dass genau dieser Moment kommen wird.

Auch ich wusste, dass der Moment des Abschieds von meiner Mutter kommen würde. Ob mich das besser vorbereitet hat? Vielleicht nicht. Aber es mag die Auseinandersetzung in der Erinnerung beeinflussen – denn ich mag nicht verdrängen, was zu meinem endlichen Leben gehört.

Ich bin in diesem Jahr ganz bestimmt nicht sozial verträglicher, nicht umgänglicher geworden. Ich habe mit mir selbst zu tun. Und womöglich geschieht das mit uns allen stückweise, gerade mit solchen Erfahrungen. Und doch muss und soll das Leben keine Farbe verlieren, und ich kann mich und meinen Stand der Verarbeitung prüfen, indem ich beobachte, wie ich beobachte: Sehe ich eben diesen Sonnenauf- oder -untergang? Ist er mir mehr oder weniger Trost oder Wunder als vor dem Abschied?
Bin ich ihnen näher als zuvor, oder betrachte ich sie, als sässe ich im Kino?

Ich möchte leben. Mit Aufmerksamkeit und Achtsamkeit für meine Nächsten. Aber auch mit Zeit für mich selbst. Denn nur wenn der Kamin brennt, mag ich die Tür für Besuch öffnen.

Welche Sicherheit haben und brauchen wir?

∞  22 Juli 2013, 14:21

Begleitet man einen Menschen an die Schwelle zum Tod, so liegt immer auch die Hoffnung darin, ein Stück Sicherheit im Umgang mit der eigenen Endlichkeit finden zu können, eine Ahnung zu erhalten von der Wahrheit über das Leben UND den Tod.

Doch nicht mal darin, in dieser ganz speziell intensiven Erfahrung gibt es wohl die EINE Wahrheit, das immer gleiche Erleben dieses Prozesses. Wir bleiben in unseren Wahrnehmungen – und damit in unserem Zugang zu Wahrheiten subjektiv, was mich darüber nachdenken lässt, wie relativ unser Verlass auf die Sicherheiten unseres Lebens gehandhabt werden sollte – denn, was ist denn schon sicher, was nehmen wir in seiner Tragweite wie wahr und wie vielen Irrtümern sind wir dabei ausgesetzt?

Beim Abschied von meiner Mutter hat mich folgender Spruch von Laotse eng begleitet:

Was die Raupe Ende der Welt nennt,
nennt der Rest der Welt Schmetterling.


Meine Sicht reicht nur bis zu meinem Horizont. Die innere Sicht meiner Seele aber braucht wohl gar keinen, womöglich noch nicht mal ein Firmament. Womöglich lachen wir “drüben” einmal über unsere Nöte – und den Drang, uns einen sicheren Rahmen zu schaffen, der uns freier atmen, lachen und sorgloser leben lässt.

Aber wir dürfen – unsere gegenwärtige Zeit ist ein gutes Beispiel dafür – im Grunde gar nicht darüber nachdenken, wie es denn eigentlich um unsere Sicherheiten bestellt ist? Können Sie mir eine einzige nennen, die unantastbar wäre, wirklich sicher? Und so kommen wir gerade beim Versuch, dank Vernunft, Voraussicht und Vorsorge dank Realitätssinn Sicherheit zu schaffen, zum Ergebnis, dass wohl keine Sicherheit beständiger sein kann als die des Gläubigen: Er vertraut in jeder Lebenslage – wäre da nicht sein Zweifel, der zum Glauben mit dazu gehört oder ihn unvermittelt prüft.

Der Schlüssel dabei ist wohl, diesen Zweifel aushalten zu können, ihn begrüssen zu können wie einen Lehrmeister, genau so, wie wir die Unsicherheit in jeder Sicherheit hinnehmen müssen. Schlussendlich ist alles nur Rüstzeug für unseren Umgang mit unserem Geheimnis unseres Werdens und Vergehens, das uns Fragen in jeder Lebenslage stellen kann und ohne uns ausmacht, welcher Art die – wahrnehmbaren – Herausforderungen sein werden, die sich uns noch stellen.

Je überzeugender ein Mensch vorgelebt bekommt, wie wenig es braucht, um ein ausgeglichenes und ausgleichendes Leben zu führen, wie hinderlich dabei gar das Streben nach Sicherheit – oder das Ausschliessen der Zweifel – sein kann, um so reicher und aus-reich-ender wird sein Fähigkeit sein, seiner Gegenwart mit gütigem Blick zu begegnen.

Vielleicht ist dazu gerade das ein Schlüssel und keine verstörende Erkennntis: Unsere Wahrnehmung ist viel zu eng, und unser Lebensweg ist darauf ausgelegt, diese Fesseln nach und nach zu sprengen – oder uns darauf vorzubereiten.

Das Leben ist schön. Damit sollte das alles, was wir an Arbeit für die Erweiterung unserer Wahrnehmungen leisten, beginnen. Vielleicht ist es nur ein Anstrich, vielleicht aber ist es der Beginn eines genaueren Hinsehens, eines weiteren Blickfeldes: Das Leben enthält immer eine nächste Lehre, das Angebot eines nächsten, bewussteren Schrittes. Was, wenn wir DAS zu unserer Mut machenden Sicherheit machen könnten?

Abschied in den Frieden -V-

∞  8 Juli 2013, 21:39

Es ist nichts wie im Kino: Mutter ist gestorben, aber es regnet nicht. Es ist ein wunderbarer, milder, aber herzenswarmer Sommertag, und wir sitzen unter Platanen am See und essen was Leichtes zu Mittag. Mein Bruder und ich, uns in der Begleitung unserer Mutter näher gekommen als je, versuchen zu fassen, was wir erlebt haben und verarbeiten müssen.

Oder soll ich sagen: Dürfen? Ja. Denn ich weiss nicht, ob es möglich ist, jemanden friedlicher zu verabschieden, und in einem kontinuierlichen Prozess zu begleiten, als es uns hier geschenkt war. Wir haben auch Beide früh genug einen Weg gefunden, Mutters Willen zu diesem Prozess anzunehmen. Die Irritation, in die Entscheidung, eine Behandlung abzulehnen, nicht einbezogen worden zu sein, ist frühzeitig der Erkenntnis gewichen, dass sie uns damit ausdrücklich auch die Möglichkeit liess, gegen alles Pflichtgefühl zum Beistand Abstand zu nehmen, wäre es zu viel für uns geworden. Das Gegenteil war der Fall, vielleicht auch gerade deswegen, weil sie uns jedes Mitentscheiden nahm – das wir ja gar nicht hätten leisten können – und nun sind wir es, die sehr viel mit aus diesem Erleben nehmen.

Verwirrend und auch schön: Das Sterben, und vor allem der Tod bleibt ein Mysterium. Wir wissen nicht, was uns selbst erwartet, auch jetzt nicht. Aber wir wissen, dass man auch diesen letzten Weg sehr bewusst gehen kann. Mutter hat uns in Haltung und Durchleben aller Phasen einer Bewusstseinserweiterung und -trübung eine Ahnung geschenkt, und einen Zugang ermöglicht, der uns helfen wird, das Leben bewusster und freier im Augenblick zu geniessen – und dem Sterben, das auch uns erwartet, gleichwohl Beachtung zu schenken, Respekt zu zollen, ohne Angst haben zu müssen. Und vor allem hat die Verbindung zwischen Sterbender, Begleitern und Pflegepersonal so viel Segen gebracht, dass das gegenseitige Dankesagen heute gar nicht mehr enden wollte. Was für eine wunderbare Begleitung durch das Personal!

Derweil haben wir Dich ein letztes Mal besucht, Mutter, aber dieser Besuch heute am Totenbett war gar nicht mehr so wichtig: Als Abschluss, ja, Bewusstseinsvertiefung, dass Du gegangen bist, als wächsern entspanntes friedvolles Zeugnis Deines Übertritts in die Schmetterlingswelt:

Was die Raupe Ende der Welt nennt,
nennt der Rest der Welt Schmetterling.
Laotse

Wir sitzen also am See, die Sonne scheint uns warm auf die Nasenspitze, und wir lächeln selbst so entspannt, wie schon lange nicht mehr. Es gibt keinen endgültigeren Abschied, der hier doch auch etwas Leichtes hat, und das Ziel der Reise ist jenes, von dem uns wenig erzählt werden kann. Und doch ist es der Ort, an den wir alle hin müssen. Und vielleicht im Grunde auch wollen. Dürfen.

Wir haben unsere Zeit. Als Raupe und als Schmetterling.

Es ist Sommer. Endlich. Und gerade wir werden ihn noch geniessen können, worüber sich ein bestimmter Schmetterling mit uns ganz besonders freuen und entsprechend lebendig übermütig über die Blütenkelche tanzen wird.

Abschied in den Frieden -IV-

∞  7 Juli 2013, 23:55

Du hast es geschafft. Ich bin sehr traurig – und glücklich zugleich.

Du warst zeit Deines Lebens sehr bedacht darauf, niemandem zur Last zu fallen. Du wolltest Deine Angelegenheiten selbst besorgen und hast uns entsprechend oft vor vollendete Tatsachen gestellt, so dass wir uns vor den Kopf gestossen fühlten. Das hat uns aber auch manche peinliche Situation, in die Kinder geraten können, wenn sie ihre Eltern darauf aufmerksam machen, dass sie überfordert sind und Hife brauchen, bewahrt. Schritt für Schritt bist du deinem Kopf und wohl auch deinem Herzen gefolgt, und das durfte bis zum Schluss so bleiben. Das ist wahre Gnade, die auch wir so empfinden.

Du bist gestorben, nachdem wir gegangen sind – und so leise und sanft, dass wir nur mehr den Bescheid bekommen haben, nachdem wir zu Hause waren. Keine Aufregung mehr, kein Rasen ins Heim. Wir konnten dich verabschieden, haben dir ganz bewusst auch den Raum geben wollen, und begrüssen dich nun in der Früh nicht mehr in dieser Welt, aber ich hoffe sehr, dass wir auch deinem letzten Wunsch von Anfang an nachkommen können:

Das Leben zu leben und gerade dadurch diesem Abschied Würde, Sinn und Erfüllung zu geben. Es soll eine fortlebende Form eines Dankeschöns sein, wann immer ich mir und anderen im Leben Freude schenken kann. Den Frieden, der über Deinem Lager spürbar war und ist, will ich mit durch mein Leben tragen.

Abschied in den Frieden - III -

∞  7 Juli 2013, 14:26

Es ist ja nicht so, dass nur du deine Reise machst. Auch ich mache Entwicklungsschritte durch, und ich kann noch so bewusst ja sagen zu deinem Abschied – ihn zu vollziehen ist eine noch von mir zu fordernde Konsequenz.

Bisher dachte ich, es würde genügen, wäre nobel genug von mir, wenn ich dir in jeder Phase bekunde, dass es völlig in Ordnung ist für mich, dass du mich verlassen, dass du gehen willst. Und ich habe mich gut gefühlt dabei und mir dazu gratuliert, dass ich es dir einfach mache. Aber: Gilt das noch? Hält dich meine Zuneigung, mein Zuspruch nicht vielleicht am Ende länger auf der Diesseite möglicher Schmerzen? Würde dir nicht alles leichter fallen, wir, ich würden uns bewusst von dir verabschieden? Oder ist die Hilfe höher zu werten, dich möglichst selten bis nie in Aufwachphasen allein zu lassen?

Wo bist du genau auf deinem Weg? Es ist nicht mehr so leicht, deine Zeichen hierin zu deuten – und die Gefahr wird grösser, dass ich sie so deute, wie ich sie eben deuten mag, es meinem Gefühlshaushalt Sicherheit schenkt. Niemand wird mir diese Entscheidung abnehmen können – und doch wird sich die Frage irgendwie lösen. Dass ich sie mir stellen kann, dass ich mir den bewussten vorzeitigen Abschied als Hilfe für dich vorstellen kann, ist ein Schritt vorwärts, den ich gerade vollziehe.

Wir alle, die wir um dich sind, wünschen uns nur das eine: Dass du in Frieden gehen kannst. Ach, sag mir, wie ich Zuneigung schenken kann, die dich leichter gehen lässt. Wie soll das überhaupt gehen?

Abschied in den Frieden - II -

∞  6 Juli 2013, 18:22

Seit Stunden suchst du deine Ruhe. Trotz unterstützender Spritze suchst du die Stellung, die dir Ruhe schenkt. Ich suche mit dir. Mit viel Kissen? Ganz ohne scheint viiiel besser zu sein. 

Ein Kampf? Ich habe zum Glück nicht so viel Mühe und sehe es mehr so, dass deine alte und deine neue Welt noch ein wenig in dir rangeln. Und im Geist spielt sich vielleicht Ähnliches ab, wie wenn wir einen unruhigen Traum haben, in den wir immer wieder zurückfallen, sobald wir wieder wegdösen.

Was ist für dichnoch oder schon real, was hält, was lockt?
Angst? Scheinst du nicht zu haben.

Bin ich dir mit meinen Hilfestellungen wirklich eine Hilfe, oder mache ich dir gerade mit diesen Gesten den Abschied schwerer? Wer lässt da wen allein? Dass du da drüben allein sein wirst – der Gedanke kommt mir einfach nicht. Und mich lässt du nicht zurück. Du hast mich auf die Füsse gestellt und ich wandere längst durch mein eigenes Leben.

Du gehst einen Weg voraus, auf dem wir alle folgen werden, und ich will dich gehen lassen, will, dass du den Grat erreichst, an dem dir keine Schwerkraft mehr Angst machen könnte und du einfach weiter gehen willst, ohne weiteren Blick zurück.

Du siehst häufiger zur Decke. Sie ist weiss und hell und dein Gesicht bekommt dann einen staunenden Ausdruck. Wie schön das wäre, wenn bald eine Art Neugier dich hinüber gleiten lässt, und unsere Traurigkeit noch mehr hinter diesem Wunsch zurück bleiben und sich wandeln kann in die geteilte Erlösung eines neuen, einmaligen Ankommens.

Jetzt liegst du ganz ruhig. Wie unglaublich schön und friedlich das ist. Ich sehe kaum aufs Tablet durch meinen Tränenschleier. Aber vor mein eigenes Ego, das den Verlust in den Vordergrund stellen möchte, stellt sich das tiefe Wissen und Fühlen, wie gütig die Freude ist, die ich gleichzeitig empfinde.

Abschied in den Frieden - I -

∞  5 Juli 2013, 14:20

Du hast die Augen offen, doch du siehst mich wohl nicht mehr.

Dein Blick richtet sich gegen innen, muss nichts mehr suchen.

Du weisst, dass wir da sind und deine Dankbarkeit rührt mich.

Ich bin es auch, denn diese Tage sind zwar traurig, aber sie haben so viel Würde und Frieden und Trost. So möchte auch ich einmal Abschied nehmen und mich dem Unbekannten zuwenden, loslassen können und keine Angst mit in die Nacht nehmen.

Du wirkst jeden Tag ein wenig kleiner in deinem Bett. Und trotzdem erscheint es dir immer enger, weil du zu neuen Weiten aufbrechen willst.

Du dauerst mich, und doch ist da kein Mitleid. Dieser Ausdruck ist viel zu eng und er wird deinem Platz nicht gerecht. Du gehst voraus, hast all die Dinge hinter dir gelassen, die mich doch tatsächlich noch weiter und noch lange beschäftigen werden, mögen sie noch so banal sein. Ich will dich nicht leiden sehen, doch wenn da Leiden ist, will ich es bei dir aushalten, denn es wird ein Ende haben: Keine Maschine hält dich zurück, kein Medikament verlängert den Kampf, kein Angehöriger drängt dich, länger zu kämpfen, als es für dich selbst Sinn macht – oder gemacht hat.

Und so warten wir bei dir und mit dir, was mit dir und uns geschieht. Dein Leben rundet sich, und unseres bekommt ein paar weiche Ecken.

An der Bettkante

∞  3 Juli 2013, 17:39

Wir reden schon von einer – allerdings sehr speziellen – WG. Was mein Bruder und ich erleben, ist in jedem Fall auch eine Annäherung. Eine, die wir beide erst einmal ganz persönlich am Sterbebett unserer Mutter vollziehen – wir nähern uns nicht nur bildlich immer freier der Bettkante, lassen uns ein und alles hinter uns, was bitter schmecken würde. Und Mutter macht es uns einfach mit ihrer Dankbarkeit, die auf unseren Respekt trifft: Sie ist bereit, und ich denke, wir sind es jetzt auch. Die Brüder beginnen sich freier im Zimmer zu unterhalten, die Situation wird nicht gewöhnlich, aber vertrauter, Zärtlichkeit wird gesucht und gefunden. So viel kann sich lösen. Für immer. Und verbinden auch.

Es ist viel Stille im Zimmer, in welcher der Brunnen draussen viel lauter plätschert als jemals zuvor. Und wie segne ich den Schlaf, diesen gütigen Gesellen, der jetzt hoffentlich immer häufiger Entspannung bringt!

Wenn Unsicherheit gelassen angenommen werden kann

∞  11 Juni 2013, 23:23

Gehen wir zum Arzt, nehmen wir dahin alle unsere Ansprüche mit. Wir haben ein Problem, und das muss weg. Wir lassen uns untersuchen, Testreihen beweisen und verdeutlichen, wie wichtig man uns nimmt und wofür wir die Krankenkassenprämien all die Jahre gezahlt haben. Nicht wenige unter uns gehen davon aus, dass es für jedes Problem eine Lösung gibt, ja, und selbstverständlich auch, dass man den Grund für das Problem erkennt.

Nun ist es aber so, dass nicht jede Unpässlichkeit, jede Einschränkung in der Bewegungsfreiheit ergründet werden kann. Nicht jede Ursache für wiederkehrenden Schwindel, zum Beispiel, lässt sich zweifelsfrei eruieren und schon gar nicht mit Sicherheit ausmerzen. Unsicherheit des Gleichgewichts – etwas, mit dem viele Menschen mit zunehmendem Alter häufiger zu kämpfen haben. Da heisst es dann: Freizeitprogramme zurück fahren, Geduld haben, Tests machen – eben – und vielleicht auch einfach, zu akzeptieren, dass das eigene Betätigungsfeld ein bisschen kleiner wird.

Ich hatte heute ein sehr beeindruckendes Gespräch mit einem älteren Kollegen im Sportclub, in dem es genau darum ging: Um den Umgang mit diesem Phänomen, ohne die Ursache zu kennen, ohne zu wissen, wie schnell und wie gut sich dies beheben lässt. Um die Auseinandersetzung mit einem Verdikt, das ohne Namen bleibt, nicht benennbar als Krankheit – der Kollege ist gesund – nach allen Massgaben aller Tests. Wie damit umgehen, dass es keine Antworten gibt? Keine Sicherheit?

Ganz wunderbar, was er dazu sagen konnte:
Es ist doch gut und wichtig, dass wir aktzeptieren, dass wir nicht alles wissen können – ja, dass wir nie alles wissen werden und nie genug, um diesen Lauf aufzuhalten. Was möglich ist, wird je länger je mehr ein Geschenk sein. Und so soll und will er das auch nehmen können. Das hat so etwas wunderbar Entwaffnendes, zeugt von einer Gelassenheit, und als ich an diesem Gespräch teilnehmen durfte, fühlte ich mich frei und froh. Menschen, die ihr Dasein als Geschenk betrachten können, so, wie es ihnen angeboten wird, sind Friedensstifter für andere Seelen.

So ein Abend mit Tennis hat oft einen Erlebnis-Höhepunkt abseits des Platzes.

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