Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Das Opfergefängnis

∞  12 April 2010, 17:12

Wie begegne ich einem Opfer? Es ist im Grunde unmöglich. Dazu würde gehören, die Welt des anderen zu kennen. Wie soll das gehen, wenn die Dinge nicht ausgesprochen werden können? Erst geht es nicht, weil das Ding in einem festhockt, ganz tief. Später geht es auch nicht, weil man weiss, so wie es in einem hockte, genau so bockig wird es wo anders sich nicht enthüllen wollen. Das Ding gehört zu einem selbst. Es gibt nichts Persönlicheres, obwohl es etwas so Fremdes ist. Und dabei das einzige bleibt, was zu einem gehört. Man ist man. Und dieses Ding. Was sonst?
Herta Müller gibt in der Atemschaukel einem Opfer eine Stimme, und es ist eine unglaubliche Leistung, dass sie da eine Tür aufzwängt, durch die sich hindurch lugen lässt, ohne dass man sofort die Jacke über der Brust zusammen zieht. Man kann mit weinen – und kommt gar nicht in Versuchung, einmal zu sagen: “Ich verstehe.”
Aber es gibt da eine Ahnung – und die Beschämung, dieses nach innen gerichtete Heimweh nach der einzigen Orientierung, der man nur physisch entflohen ist, zu verstehen – weil man selbst auch immer mal wieder einem eigenen Kummer über Gebühr nachhängen mag:

Warum will ich nachts das Recht auf mein Elend haben. Warum kann ich nicht frei sein. Wieso zwinge ich das Lager, mir zu gehören. Heimweh. Als ob ich es bräuchte.