Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.


TV-Konsum

∞  11 Oktober 2014, 22:54

Wir sind – für unsere Generation – kein typisches Paar, was unseren Verzehr an freier Zeit betrifft, also, zumindest habe ich die darin nicht typische Frau. Während Thinkabout’s Wife selbst auf Zuruf hin kaum mehr dazu zu bringen ist, überhaupt fern zu sehen, schaue ich vor allem Sportsendungen – und bilde mir ein, dies bewusst zu tun und also strukturiert fern zu sehen. Die letzte Zeit vor dem Schlafengehen gehört dann allerdings oft nochmals der Kiste, und das oft länger, als ich es eigentlich vorhatte, obwohl ich dabei meist aufgenommene Serien schaue. Während junge Menschen scheinbar in ihrer Freizeit immer weniger vor dem TV-Gerät sitzen, ist es in unserer und allen älteren Semestern eigentlich fast flächendeckend verbreitet, dass der Kasten einfach läuft.

Unser Zappen, eine Art sich verselbständigender Schnappatmung des rechten Daumens, hat immerhin Michael Mittermaier den Raketenstart in eine beispiellose Comedy-Karriere erlaubt – zwei Stunden Klamauk über unseren TV-Konsum. Er hätte wohl auch sechs Stunden zusammen gebracht.

Und nun sitzen wir also mit unseren Freunden zusammen abends in den Ferien in der guten Stube – und der Kasten läuft. Er läuft oft. Bis sich da vier Personen gefunden haben, um zu entscheiden, was läuft, kann es schon ziemlich schwierig werden. Wir lösen das eigentlich fast immer so, dass mindestens drei Personen sagen, es wäre ihnen egal, was geschaut wird. Ein Beobachter könnte auch einwerfen, manchmal wäre es vier Personen egal, jeder aber wäre froh, dass er läuft, weil die vier so davon ausgehen können, dass mindestens ein Bedürftiger nicht unruhig in sich hinein zu scharren beginnt.

Sie haben es wohl schon geahnt: Das klappt vorzüglich, weil wir alle mindestens teilweise daneben auch mit anderem beschäftigt sind. Im Zeitalter der Handys, Tablets und Laptops ist das nur eine Frage der Übung. Mittlerweile sind wir im fortgeschrittenen Stadium, in dem die Souveränität so ausgebildet ist, dass wir den Kasten manchmal ganz BEWUSST ausschalten.

Aber Halt! Genau so wichtig ist die folgende Feststellung:

Ich habe hier nun schon mehr als eine Sendung oder Filme gesehen, die mir richtig gut gefallen haben, und die ich ohne die zusätzlichen Sitzgenossen mir nie angeschaut hätte. Und das würde sogar Thinkabout’s Wife unterschreiben. Es ist mit diesem Ding wie mit diesem anderen Kasten, in dem das Internet drin hockt: Richtig nutzen muss man es, auf dass es zwar Zeit fressen mag, man am Ende aber das Gefühl hat, diese Zeit wäre nun gut verdaut und man sei dabei einigermassen souverän geblieben… und manchmal gewinnt man dabei wertvolle Erkenntnisse, gerade so, als hätte man eine schöne Begegnung gehabt. Manchmal…

Jede Trainerentlassung auf Schalke ist auch ein Medienlehrstück

∞  7 Oktober 2014, 23:01

Schalke 04 hat seinen Trainer entlassen. Eine Fussballmeldung. Aber im Grunde ist es auch eine Einladung, noch genauer hinzusehen, wie Medien funktionieren. Wie informieren sie, was lassen sie gelten, was nicht?

Schalke 04 ist ein Kultklub. Dazu macht ihn erst einmal die enorme Anziehungskraft im gesamten Ruhrpott. Das führte immer dazu, dass in der Führungsetage auch Menschen zu Gast waren, die nicht nur von Fussball wenig Ahnung hatten, sondern auch von Management. Geschweige denn von Unternehmertum. Schalke war immer Emotion. Verliert man zwei Spiele, sieht man sich in der Hölle, gewinnt man danach zwei, träumt man von Titeln in Europa. So ist das auf Schalke. Und so wollen es die Medien. Denn nichts verkauft sich so gut wie Emotion.

Die Emotion, welche die Medien schüren, ist dem Management abträglich. Einverstanden. Wenn aber die gleichen Medien die von Emotionen geleitete Führung kritisieren, dann wird es bereits ein wenig absurd, denkt man sich die Sache richtig zu Ende.

Hier soll es aber ganz bewusst nicht um Revolvermedien gehen, sondern schlicht um die Berichterstattung und die Reporterreflexe einer eher renommierten Sendeanstalt in Sachen Sport, dem ZDF Sportstudio nämlich. Denn Jens Keller, der nun entlassene Trainer von Schalke 04 war auch dort Dauerthema. Und mindestens so schnell, wie der Rest der Medienwelt wurde da jeweils danach gefragt, wie sicher denn der Trainer im Sattel sitze.

Man stelle sich vor, des Trainers Mannschaft gewinnt ein Spiel. Jetzt könnte man das Spiel analysieren, ein Fazit ziehen und auf die nächste Aufgabe verweisen. Für einen Reporter auf Schalke kann es damit nicht genug sein. Er muss den Sportchef vors Mikrofon holen und ihn, wie schon vor einigen Wochen, fragen, ob denn nun der Trainer sicherer im Sattel sitzen würde? Stereotype Antwort: Wir diskutieren gar nicht über den Trainer. Es wird nachgehakt. Es wird nochmals darauf verwiesen, dass keine Diskussion über den Trainer geführt würde.

Es tritt ab der Sportchef. Stimme aus dem Off des Reporters: “Ein klares Bekenntnis zum Trainer sieht anders aus.”
Hä?

Hier trifft die innere Unruhe auf Schalke auf eine Reportagementalität, welche die Unruhe geisselt, selbst aber alles tut, dass gar keine Ruhe aufkommen kann. Das mag journalistischer Kniff sein. Am Ende aber werden nicht nur die Verantwortlichen bei Schalke 04 unglaubwürdig. Für viele Zuschauer sind auch die Reporter längst nicht mehr ernst zu nehmen. Was nicht nur das ZDF nicht daran hindern wird, die Entscheidung der Trainerentlassung nun in Frage zu stellen und mehr oder weniger unerträglich mahnend den Zeigefinger zu heben…

Stammt der folgende Satz von Beckenbauer?

“Leute, spielt’s Fussball.”

Nicht nur er hat dabei immer besser ausgesehen als in der verbalen Interaktion…

Kreative Wohnideen - das wäre private Altersvorsorge

∞  6 Oktober 2014, 22:19

Die Babyboomer werden in gut zehn Jahren das heutige Rentenalter erreichen.

Ich gehöre zwar nicht zu jenen, die glauben, dass bis dahin Rentenansprüche illusorisch werden – denn noch scheint mir das unvorstellbar, und vor allem von solcher politischen Tragweite im Verhältnis des Bürgers zu seinem Staat, dass ich mir das lieber gar nicht vorstellen will Und es ist auch noch genügend Zeit, dass die Politiker die Verpflichtung des Staates gegenüber seinen Bürgern in dieser Frage erkennen und moderate Lösungen finden.

Wenn ich also bezüglich der Rentenansprüche nichts davon halte, dass man nun den Bürger einfach zu mehr “Selbstverantwortung” und damit Selbstvorsorge ermahnt, zumal wenn die möglichen Sparvariationen dem Anspruch des Staates auf Konsum als Triebfeder des Wachstums so diametral entgegen stehen, so denke ich doch, dass wir gar nicht genügend private Kreativität an den Tag legen können, wenn es darum geht, wie wir denn im Alter zusammenleben wollen? Denn nicht nur die Finanzierung unserer Rente wird schwierig werden – es wird auch immer weniger sozialen Rückhalt durch Familienstukturen geben: Schon heute lebt mehr als die Hälfte der Menschen allein, und auch wenn sie nicht unbedingt möchten, dass das so bleibt, so werden uns in jedem Fall in vielen Fällen die sozialen Auffangnetze fehlen – und Pflegeheime, wie wir sie kennen, sind ja nicht unbedingt das, was wir uns selbst wünschen würden, oder?

Darum finde ich jeden Ansatz interessant, bei dem Wohnformen diskutiert werden, auf privater Initiative beruhend, in der sich Gemeinschaften von Menschen in ähnlicher Lebenssituation bilden können, in denen aktive Lebensgestaltung und Unterstützung möglich ist – und der Verbleib im sozialen Umfeld, auch wenn die Gesundheit nachlässt. Die Tatsache, dass solche Modelle vielleicht schon zehn Jahre vor der Pension geplant und projektiert werden könnten, für alle offenen Fragen entsprechend Raum, Zeit und Knowhow gefunden werden könnte – es könnte dazu führen, dass die Energie aus dem Berufsalltag in eine aktive und pro-aktive Alters-Lebensgestaltung mündete. Phantasterei in unserer individualisierten Gesellschaft? Womöglich noch. Aber die Zukunft wird zeigen, ob Modelle von Stadtsiedlungen, in denen familiengerechte Strukturen in Überbauungen sich mit Single-Haushalten vertragen und ihnen umgekehrt Nähe, soziale Kontakte und Gemeinschaftsempfinden erleichtern sollen, sind eventuell Erfahrungsschatz am andern Ende der Alterspyramide – mit gleicher Zielsetzung.

Der Gedanke, sich einer gewissen Trostlosigkeit am Ende des eigenen Lebens nicht zwangsläufig ergeben zu müssen, macht doch eigentlich für sich schon Mumm, oder? Was wir nun brauchen, sind Modelle, die Mut machen, Erfahrungsaustausch und konkrete Beschäftigung mit dem Thema – nicht erst, wenn der Postbote zum ersten Mal mit der AHV an die Tür klopft.

Überfremdung als überstrapaziertes Dauerthema

∞  5 Oktober 2014, 21:58

Ich bin mal gespannt, wie lange es geht, bis auch die Frage, ob es im örtlichen Kaff eine Tempo-30-Limite geben soll, mit Ausländerfragen verknüpft wird. Irgend einer Partei werden bestimmt Argumente einfallen, mit denen die Angst vor einem unkontrollierbaren Anstieg des Ausländeranteils genutzt werden kann – jede Wahl wird mittlerweile von diesem Thema bestimmt – und das Verhältnis zur EU ist natürlich erst recht davon bestimmt.

Was die SVP los getreten hat, haben alle anderen Parteien längst sich auch zu eigen gemacht. Und während sie sich gegenseitig Fremdenfeindlichkeit bzw. Populismus vorwerfen, bleiben die tatsächlichen Probleme nicht nur ungelöst – im Grunde werden sie gar nicht in Angriff genommen. Es sei denn, wir Bürger würden die Parteien und Politker daran messen, was sie denn dafür tun wollen, dass die Ausländer, die wir brauchen, gerne kommen und die Menschen, die hier schon leben, dies nicht als Problem empfinden:

Wir benötigen als Land, das aus sich heraus gar nicht so viel Leistung personalisieren kann, wie das Land und seine Wirtschafts- und Forschungssysteme laufend generieren, Konzepte für ein Zusammenleben, das mit den in der Tat knappen Ressourcen verantwortungsvoll umgeht. Die Barriere an der Grenze ist keine Lösung, das Verschliessen der Augen auch nicht. Aber faire Lösungen brauchen Differenzierung – auch in der politischen Diskussion.

Die Welt

∞  2 Oktober 2014, 23:25

Du siehst die Welt nicht so wie sie ist, du siehst die Welt so wie du bist.

Mooji

Und wir sollten endlich wieder ein wenig auf den Boden finden:

Das Leben ist lebensgefährlich.
Krankheiten gibt es nicht nur in Afrika.
Ein bisschen bomben reicht nicht, um den Krieg fern zu halten.

Das Leben ist doch so schön, weil es nicht selbstverständlich ist.
Und es verdient, dankbar gelebt zu werden.
Und manchmal muss man auch den Kopf hin halten.
Und den Stolz zeigen, etwas zu verteidigen.

Die Welt ist nicht schlecht, weil sie grausam sein kann.
Sie kann nicht schlecht sein, wenn wir bei dem bleiben, an das wir glauben.
Wir bauen die Welt mit.
Wir müssen uns ihr nur stellen und bereits ein, unser Bild überprüfen zu lassen –
und es zu verteidigen.
Damit bestimmen wir das Bild der Welt mit.

Genussmenschen? Marktteilnehmer, auf jeden Fall.

∞  30 September 2014, 23:19

Wir sitzen im Wohnzimmer und sehen uns “so nebenbei” eine dieser Koch-Ess-Shows an – bei denen eine Runde sich gegenseitig vor Kameras zum Essen einlädt, um dann das Genossene zu bewerten.

Was ich daran ja sehr schön finde, ist, dass die Kunst des Kochens Beachtung findet – in Zeiten, in denen dies immer mehr verloren geht.

Was ich aber feststelle: Ich kann kaum mehr hinsehen, wenn die riesigen Portionen an Fleisch aufgefahren werden. Es ist als Vegetarier nicht die Wahl der Speisen, es sind vielmehr die Mengen!

Und ich stelle dabei fest, dass wenn ich mir vorstelle, wie so ein Filet schmeckt, ich mich erinnern kann, wie sehr ich das bis vor dreizehn Jahren selbst gemocht habe.

Und niemals hätte ich damals gedacht, dass mir die Vorstellung, das genau gleiche Fleisch zu essen, einmal so widerstreben würde. Ich würde das heute gar nicht mehr vertragen und ich spüre rein gar kein Verlangen danach. Und ich könnte auch diese Mengen nicht mehr essen.

Interessant, wie wir unsere Gewohnheiten ändern können – und dies bei einem Grundverhalten. Und irgendwie stimmt es zuversichtlich, aber auch nachdenklich – denn wenn ich aus Überlegungen einer gesünderen Ernährung und einer besseren ökologischen Verträglichkeit meiner Existenz einen solchen Schritt wage, werde ich sehr schnell auch da von Propaganda begleitet, von Überzeugungstätern mit verschiedensten Motivationen – und wie überprüfen, als Lernender, welche Informationen objektiv gültig sind. Und der Markt, den ich zurück lasse? Was wird dafür getan, dass wir “unser” Fleisch ganz bestimmt weiter konsumieren und überzeugt sind, dass ein Essen frei von Fleisch minderwertig ist?

Wir bewegen uns in all unseren Bedürfnissen in einem Markt, der seine Produkte an uns verkaufen und sich unser Verhalten zu eigen machen will.

Erfolg ist alles?

∞  20 September 2014, 22:05

Akzeptieren wir überhaupt noch Autoritäten? Welche Grenzen hat unser Streben nach Erfolg? Wofür akzeptieren wir Sanktionen? Wie unterscheiden wir zwischen Recht und Unrecht? Was bedeutet es für uns, vom Schicksal ungerecht behandelt zu werden?

Spitzenfussball ist zur Konsumdroge geworden. Wochenende für Wochenende, bald Abend für Abend sitzen wir vor der Glotze und ziehen uns irgend ein ultimatives Spiel “rein”. Schon meine eigene Formulierung sagt eigentlich alles aus. Aber ich schaue weiter. Wenn auch – gemessen am Angebot, das ständig zunimmt – nicht mehr ganz so häufig. Die Gedanken, die mir dabei mache, zeigen mir auf, wie verstört ich zunehmend auf das reagiere, was mir da vorgesetzt wird…

Sie können sich an dieser Stelle schon ausklinken und feststellen: Fussball ist so wichtig wie ein Sack Reis, der in China umfällt oder auch nicht. Richtig. Aber der Fussball liefert mittlerweile ein Gesellschaftsbild, und die Menschen in diesem Sport funktionieren nach den Regeln, die für die Gesellschaft gelten. Wenn Sport gesellschaftlich so akzeptiert wird, wie es der Spitzenfussball heute ist, dann bilden sich in ihm und in den Wertungen, die wir dabei vornehmen, tatsächliche Werte und Grundlagen unseres Verhaltens ab. Ich bin überzeugt, dass die Art, wie Fussball heute gespielt, erlebt und verarbeitet wird, von allen Protagonisten, das Abbild hergibt, das auch für jeden Wettbewerb gilt, dem wir uns beruflich stellen müssen, ja, womöglich auch privat, wenn wir uns fragen, wo wir wie dazu gehören wollen oder was wir aus welchen Gründen wie für uns und unsere Familie beanspruchen wollen.

Der Fussball verändert sich genau so, wie es die Gesellschaft auch tut. Die Leistungsgesellschaft bildet sich nirgends so krass ab, wie im bezahlten Fussball. Die Parameter, die festlegen, welche Mittel zulässig sind, um Erfolg zu haben, verschieben sich laufend. Und Fussball ist deswegen so ein wunderbares Spiegelbild dafür, weil er einerseits meist gar klarere Regeln kennt, als sie uns gesellschaftlich, politisch und rechtlich vorgegeben sind – und anderseits offen zutage tritt, wie wir mit der Anwendung dieser Regeln umgehen: Fussball ist ein scheinbar einfaches Spiel. Doch es kreiert durch seine Dynamik und Schnelligkeit laufend Situationen, die kontrovers diskutiert werden. Die Abseitsregel ist ein klassiker für ein Reglement, das nie so klar formuliert ist, dass wir es wirklcih verstehen könnten – aber auch ein Hand-Vergehen ist längst nicht immer eindeutig. Entsprechend wird über Auslegungen gestritten, und die Autorität, die das entscheidet, laufend auf dem Platz angegangen. Und hier trifft die immer grössere gesellschaftliche Akzeptanz für jene, die dem Erfolg alles unterordnen, auf das Ideal, dass der Schiedsrichter immer recht hat. Die an sich fatale, für die Gesellschaftsbetrachtung aber geniale Prämisse, dass der Entscheid des Schiedsrichters immer gültig bleibt, fordert die Leistungsgesellschafter heraus, den eigenen Misserfolg zu aktzeptieren, auch wenn er ungerechtfertigt erscheint: Du tust alles für den Erfolg, machst alles richtig, bist besser, und am Schluss geht der Ball nur an den Pfosten, oder, noch schlimmer, ins Tor, ohne dass das anerkannt wird. Ein Fehlentscheid kann den Erfolg verunmöglichen. In der letzten Konsequenz ist nie ausgeschlossen, dass mich das Schicksal um den Lohn meiner Anstrengung “betrügt”.

Wer immer sich mit Fussball beschäftigt, muss das akzeptieren, und damit auch die Rolle des Schiedsichters annehmen. Doch wir haben es nicht so mit Autoritäten…. Wenn wir ihnen überhaupt noch einen Bonus zubilligen, wenn unser Kind am ersten Tag zum Lehrer in die Schule geht, die Behandlung durch den Arzt beginnt, dann ist dieser Bonus schnell hinfällig, wenn die ersten Entscheidungen anfallen oder mir eine Verhaltensänderung nahe gelegt wird… Wir akzeptieren Sanktionen immer widerwilliger, wir bedenken Kritik erst dann, wenn wir die blutige Nase schon haben. Davor sind wir “geradlinig”, “ordnen wir dem Erfolg alles unter” und wollen genau so zu den Siegertypen gehören. Wir fragen kaum nach der Grundidee des Spiels und den philosophischen Aspekten seiner Anlage, als danach, wie wir in diesem Spiel gewinnen können. Der Erfolg ist auch wirtschaftlich notwendig, und da ich ein Gehalt bekomme, bin ich niemandem so sehr verpflichtet wie meinem Arbeitgeber, der will, dass ich mit meiner Mannschaft das Spiel gewinne. Das führt bei den Trainern zur Offenlegung von Charaktereigenschaften, dass einem angst und bange werden kann. Wie sehr die Protagonisten dabei ihr Gesicht verlieren, betrachtet man deren Verhalten mit nur ein wenig Distanz, ist für mich immer wieder erschreckend.

Doch diese Distanz zu wahren, ist angesichts der Tatsache, wie gross die Gesellschaft das Spiel macht – natürlich – eine Herausforderung:

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Jürgen Klopp in einer Talkshow erleben, seine Reflexionen über Lebenswerte zu hören, ist sehr spannend. Da hat ein Mensch eine tolle Ausstrahlung und scheinbar eine Gelassenheit in sich, die es sehr angenehm machen, ihm zuzuhören. Da ist Raum für Zwischentöne und man kann sich sehr gut vorstellen, wie dieser Mensch andere, jüngere Menschen führen kann.
Dann ist Spieltag, Bundesliga, und Jürgen Klopp wird als Trainer von Borussia Dortmund zur Furie. Er tigert der Seitenlinie entlang, steht ständig unter Strom und blafft, wenn es gegen seine Mannschaft läuft, bei jedem Schiedsrichterpfiff den vierten Offiziellen, den Ersatzschiedsrichter an – und zwar mit einer Verve und Körpersprache und in einer Lautstärke, die vermuten lassen, dass da einer von Sinnen ist. Peinlich daran, ja körperlich schmerzhaft ist für mich die Beobachtung, weil Klopp dabei nichts anderes mehr ist als ein Fan – er sieht keine Entscheidung auch nur mehr bedingt objektiv und zweifelt alles an. Die Bilder vom Spielfeld belegen dann auch, dass er regelmässig falsch liegt – was es sehr schwer macht, den Mann dann noch ernst zu nehmen. Die Männer, die das trotzdem versuchen müssen, sind ausgerechnet die Schiedsrichter, die sich in der nächsten Situation weiter darum bemühen müssen, objektiv zu urteilen. Sie blenden notgedrungen ein gutes Stück weit aus, was sie da an Druck bekommen – hoffentlich. Denn neben der Emotion gibt es natürlich den gesellschaftlich in diesem Spiel tolerierten Reflex, mit der Reklamation zu erreichen, dass das “das nächste Mal nicht mehr passiert”. Bzw. in die andere Richtung, wenn schon falsch entschieden…

Wenn ich dieses Phänomen nun mit Fussballkollegen bespreche, dann werde ich zum Teil verständnislos angesehen. Emotion würde doch zum Fussball gehören, heisst es dann. Wirklich? Toben wir so durch unseren Alltag? Natürlich nicht. Aber genau so, wie sich Klopp an der Linie enerviert, schreien heute Eltern den Schiedsrichter an, wenn ihre Zöglinge auf dem Platz stehen. Es ist verheerend.

Übrigens gibt es eine Sportart, die, weil sie mehr Aufwand erfordert, um überhaupt gespielt werden zu können, nicht so weit verbreitet ist, die aber ähnlich viel Popularitätspotential hat und in der auch viel Geld verdient wird: Eishockey. Ein Sport mit Schiedsrichtern. Die sprechen Zeitstrafen aus, die für den Spielausgang laufend sehr bedeutsam sind und die auch nicht immer nachvollziehbar sein müssen. Doch diskutiert wird kaum. Es gibt einen Kodex, und der Fernsehzuschauer erlebt in erster Linie mit, wie Spieler sich fügen – müssen. Es gibt pro Mannschaft einen Captain und zwei Assistenzcaptains. Wenn es Diskussionsbedarf gibt, dann geht das über den Coach oder über diese Spieler, und wenn die Schiedsrichter ihre Sicht erklärt haben, wird nicht weiter diskutiert. Punkt. Ein harter Sport mit klarem Kodex. Wie wohltuend. Das Rad im Fussball wird wohl niemand zurück drehen. Aber man stelle sich mal vor, es gelänge. Wie toll wäre denn das! Mit Emotionen, die aufs Spiel fokussiert bleiben würden – und mit Kids auf dem Feld, die sich in erster Linie mit dem Spiel beschäftigen könnten und mit dem Lernprozess, wie man Entscheidungen gegen sich akzeptieren lernt – unbehindert von Eltern, die das zumindest für die Dauer des Spiels selbst vergessen zu haben scheinen – oder haben sie es gar nie gelernt? Muss es ihnen schlicht vom Leben beigebracht werden? Mit hohem Einsatz an Lehrgeld?

Studienanfang

∞  19 September 2014, 22:43

Gespräch mit einem jungen Studenten. Sein Studium hat gerade angefangen, und er ist schon nach wenigen Tagen randvoll mit den neuen Eindrücken. Dazu gehört der Eindruck, in der Vorlesung nur Bahnhof zu verstehen… – und ich kann es nachfühlen!

Es ist ein sehr grosser Schritt aus dem Gymnasiumsbetrieb an eine Uni, wobei heute wohl schon mehr mit Zwischenprüfungen und Klausuren dafür gesorgt wird, dass sich Lernende im freien Studienbetrieb nicht verlieren. Vor allem aber haben sich wohl zwei Dinge verändert: Die Studenten scheinen mir heute zielorientierter zu sein. Der Anteil der Studierenden, die frühzeitig klare Ziele haben, ist grösser – und der Druck wohl auch. Dabei gilt doch auch, dass “Lernen” in Form von Weiterbildung heute laufend zum Job dazu gehört und auch noch später grundlegende Wechsel in der Ausrichtung angezeigt sein können.

Auf jeden Fall hat mich das Gespräch in alten Zeiten schwelgen lassen… Hm, ein Zeichen, dass ich wirklich alt geworden bin!

Demokratie in Europa I

∞  15 September 2014, 23:08

Europa ist bestimmt einer der politisch faszinierendsten Flecken Erde dieser Welt. Denn nirgends sonst auf der Welt nennen sich dicht aneinander gedrängt so viele unterschiedliche Staaten Demokratien, nirgends sehen sich Menschen grundverschiedener Mentalitäten und Sprachen so sehr vom Anspruch bestimmt, in einem Staatenbund zusammengefasst zu werden.

Das politische Mantra ist dafür die Demokratie – also, in den einzelnen Gliedstaaten, nicht unbedingt auf der Ebene der EU. In der EU machen dann die von ihren Völkern demokratisch legitimierten Regierungen das, was sie für gut halten, und die Stärkeren bestimmen über die Schwächeren. Alles andere ist Theorie, gerade weil die EU auf die wirtschaftliche Funktionalität ihres Modells noch mehr angewiesen ist als jeder andere Bund. Denn eine andere tiefere Identität ist nicht vorhanden.

Mir ist auf diesem Weg in den letzten Jahren bewusst geworden, wie unterschiedlich wir Europäer den Begriff der Demokratie verstehen – und wie klar dies angesichts der Geschichte der Länder doch auch ist. Gerade deswegen sollten wir eine Art europäischen Respekt erfinden, in dem wir den einzelnen Staaten zubilligen, gemäss ihrer politischen Tradition und ihrer Funktionalität Mitbestimmung so zu definieren, dass sie vom Volk auch wahr genommen wird – das ist die Argumentationsweise der Politik, die uns schnell mal überfordert sieht – es ist aber oft auch die politisch historische Erfahrung – und die schüttelt man nicht einfach so aus den Beinen.

Heute gehen wir als das Volk nicht mehr auf die Strasse, um zu demonstrieren. Wir wählen den Protest. Die Piraten. Oder die Alternative für Deutschland AfD. Oder, für viele schlimmer, rechtspopulistische Parteien. Frust entlädt sich nicht in gestaltender Politik mit dem Druck der Strasse. Wir wählen Widerspenstige, denen wir dann vom Sofa aus zusehen, wie sie Druck machen. Oder machen sollen. Mobilisierung geht anders. Und bleibt doch gar jenen ungeheuerlich, die ihre politische Karriere dadurch gestartet haben: Ausgerechnet Bundespräsident Gauck, durch die Nutzung der Montagsproteste in der DDR erst zur Politgrösse geworden, misstraut dem Anspruch auf mehr direkte Demokratie.

Dabei würden wir wohl besser regiert, wenn wir den etablierten Parteien durch den aktiven Protest kund tun würden, was uns Unbehagen beschert, als wenn wir per neuer Wahl eine Blackbox fett werden lassen – egal, welches Etikett sie sich umgehängt hat.

Basisdemokratie kann man nicht aufpfropfen. Sie muss sich genau so die Kanten schleifen lassen wie die Politiker, die sich plötzlich viel mehr Sachfragen gefallen lassen sollen. Aber es führt kein Weg daran vorbei. Denn verwaltet werden wollen wir alle eigentlich nicht wirklich. Zumindest dann nicht mehr, wenn die Chips vor dem Fernseher alle sind und im Vorratsschrank der Nachschub fehlt, und das nicht nur zufällig. Dann plötzlich könnte die Politik sich wundern, wer so alles auf die Strasse findet. Oder in die Lokale von Bürgerkomitees.

Europa hat wirtschaftlich grosse Probleme und sitzt auf einem Sprengsatz. An der Grenze schwelt nun plötzlich ein anderes Problem. Wie praktisch, diese Ablenkung. Zynisch? Unzutreffend?
Wann wurde zuletzt ein Krieg ohne wirtschaftliche Interessen geführt?

Das menschliche Outsourcing in der Embryotechnologie geht weiter

∞  8 September 2014, 20:17

Der Ständerat hat heute seine Haltung zur pränatalen Diagnostik geändert und ist damit auf die Position des Nationalrates eingeschwenkt. Danach dürfen zukünftig Untersuchungen am befruchteten Embryo im Reagenzglas vorgenommen werden, und zwar nicht nur bei Verdacht auf lebensbedrohliche Erbkrankheiten.

Die Zahl der Embryonen pro Mutter, die im Labor aufbewahrt werden dürfen, will der Ständerat zur Zeit noch begrenzen: Auf zwölf. Der Nationalrat würde auf eine solche Begrenzung verzichten.

Meine eigene Position und Wertung zum Thema ist nicht Gegenstand dieses Textes. Hier geht es nur um die lapidare Feststellung, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der das medizinisch Machbare schlussendlich auch gemacht werden wird. Immer wieder ist die schleichende oder galoppierende Ausweitung des ethisch Verträglichen für den Menschen als Schöpfung und als Teil eines Gemeinwesens festzustellen. Der Mensch gibt sich laufend weiter gefasste Grenzen.

Wir verlieren das Bewusstsein für das Leben als Schöpfung, weil wir schon sehr lange (oder noch nie?) ein Verhältnis zum Tod fanden. Für die Gesellschaft wird das irgendwann bedeuten, dass es für behinderte Kinder keine Sozialleistungen mehr gibt: Es liegt dann in der Eigenverantwortung der Eltern, dieses Problem nicht verhindert zu haben. Wir werden diese politische Argumentation vielleicht nicht mehr erleben, unsere Kinder aber wohl schon.

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