Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Vor einer Kehrtwende

∞  16 Februar 2013, 15:21

Sorge, Verwunderung, Empörung. Auf Dauer ist das vielleicht Legitimation, aber zuwenig Ausweis, um über politische Themen zu schreiben. Es ist Zeit, mich nach und nach zurück zu nehmen, und der wirklich eigenen Welt mehr Raum zu geben. Was mich wirklich betrifft, ist meist weniger, als das, was mich beschäftigt. Darin kann auch ein Schlüssel liegen.

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Ich bin in den letzten Monaten in meinem Bemühen, hier täglich etwas Neues zu schreiben, kaum je an politischen oder zumindest gesellschaftlichen Themen vorbei gekommen. Dabei kommen mir zwei Phänomene in die Quere:

Durch die Mitarbeit an einem Nachrichtenportal beschäftige ich mich zwangsläufig stärker mit dem täglichen politischen Geschehen. Nun, ein Nachrichtenjunkie war ich schon immer, aber nun gibt es für das Vergraben in die politischen Wirren des Tages auch noch einen qualifizierten Grund. Hinzu kommt ein Phänomen, das wohl viele Teilzeitarbeitenden kennen: Ersäuft man sich nicht selbst in einem Job, der einen bis ins letzte Mark fordert, kann man ins Nachdenken kommen. Es ist mehr Zeit vorhanden, in denen die Gedanken etwas Gelesenem nachhängen können. Es braucht gar nicht die bewusste Auseinandersetzung damit – es reicht schon, mit dem Kopf nicht ständig in Sachzwängen zu stecken, die jede Aufmerksamkeit fordern. Es genügt, sich einzugestehen, dass man über etwas Zeit verfügt – und schon kann man ins Grübeln kommen über all die Baustellen, die wir verursacht haben, und die brach liegen, oder in denen wir herum fuhrwerken wie jemand, der bei einer Schaufel nicht weiss, was vorn und hinten ist.

Was also tun? Nun, ich habe mich entschieden, mich zukünftig bei politischen Diskussionen bewusst zurück zu halten. All zu oft ist der Drang zum Schreiben zwar eine ehrliche Sorge, aber dahinter steckt kein qualifiziertes Wissen. Das Recht zur Empörung ist redlich, aber ein Blog wird dadurch zum Jammertal eines Pessimisten – wer will das auf Dauer lesen?
Es ist daher wohl besser, zu solchen Themen auf spezifischen Polit-Blogs die Diskussionen zu verfolgen – und sich daran allenfalls zu beteiligen.

Hinzu kommt eine kleine Lebensweisheit, die für uns alle gilt: Wir können täglich uns informiert halten über den Gang der Welt, aber wirklich was bewirken, verändern, uns auch nur schon Meinungen bilden über Mensch und Umwelt – dafür sollten unserek konkreten eigenen Erfahrungen herhalten, unser Alltag, das physische und gefühlsmässige Erleben. Unser aller Welt ist im Kleinen schon so riesig reich, dass darin auch ein Trost liegt: Wir können mit dem sorgsamen Umgang mit unseren Nächsten und der Welt, in der wir selbst leben, diese Welt ein bisschen wärmer machen. Wir können ihr auch unsere positive Energie und durchaus auch Optimismus schenken und auf sie einwirken, wenn wir den Hochmut verlieren, zu meinen, wir müssten irgendwen ausserhalb unserer wirklichen Welt von irgend etwas überzeugen:

Es hat sehr viel mehr mit Ihrem Leben zu tun, wenn ich Ihnen Gedanken zu meinem eigenen Leben offen lege. Es lässt sich mehr damit anfangen, einen Gedanken zum eigenen Feierabend zu teilen, als Gedanken über Obamas Kampf mit den Reps breit zu treten – um mal zwei Extreme mit einander zu vergleichen.

Natürlich bin ich auch, wie wir alle, ein politischer Mensch, und mein Bewusstsein dafür bleibt ausgeprägt. Es darf sich aber bestimmt mehr darin erschöpfen, dass ich hier auf entsprechende Berichterstattungen einfach verweise, mich mit Kommentaren aber bewusst kurz halte. Werde ich breiter, liegt meine Kompetenz oft nur noch in der Empörung. Das macht nicht nur Sie als Leser müde. Mir geht es genau so.

Und in letzter Konsequenz bedeutet das auch, dass ich mich der selbst auferlegten Regel, täglich zu schreiben, zu entziehen versuche: Ist an einem Tag etwas Leere in mir, darf ich mich mit ihr beschäftigen, darf mehr aufnehmen, statt zu produzieren. Ich möchte also auch wieder mehr lesen, in allem freier werden und die wirklich eigenen Gedanken zu Ihnen, mir, Mann und Frau, dem Leben, fliessen lassen. Es gibt dieses Blog nun seit achteinhalb Jahren. Es hat treue Begleiter, aber es muss sich und mir nichts beweisen. Es ist ein Teil von mir, und mit mir wandelt es sich.

Ich bin älter geworden. Mancher Idealismus hat Brüche erlitten. Mein Glaube an unsere innere Kraft, genügend Weisheit, die Wandelbarkeit und Erneuerbarkeit der Menschheit, hat gelitten. Vielleicht war er gar nie da, hat er einfach Prüfungen nicht bestanden. Vielleicht liegt dahinter auch einfach die Ahnung, dass auch mit ein wenig Distanz und allem spirituellen Trost, den ich kenne, meine Gelassenheit nicht ausreicht, den Zeithorizont für diese Wandelbarkeit und Erneuerung weit genug zu spannen: Was sterben muss, um Neues entstehen lassen zu können, lässt sich einfach mehr Zeit, als meine Ungeduld ertragen will.

Woran ich aber glaube, ist an den täglich möglichen Trost durch Menschen, die Begleiter sind, die Gedanken zu Leben und Tod teilen mögen, die nicht klammern, aber fragen, die raten und sorgen, aber nichts für mich besorgen wollen, die Freiheit ertragen, sie suchen – aber auch mit Inhalten füllen wollen. Ich verzweifle nie an der Schwäche des Einzelnen, versuche auch, die meinen zu verstehen, ohne die Arbeit an ihnen aufzugeben. Ich erkenne im liebevollen, freundschaftlichen Umgang mit nahen Menschen Trost und Kraft – denn tatsächlich dürfen wir jeden Tag versuchen, unsere Welt wärmer und heller zu machen. Genau so, wie ich vor achteinhalb Jahren als Thinkabout angetreten bin.

Und so wird sich auch dieser Teil meiner Welt weiter drehen. Zum Glück.