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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Juden und andere geplagte Menschen

∞  6 Januar 2013, 12:53

praying hands istockphoto.com/Hiob

Es wird wohl nie aufhören, nicht wahr? Das Verhältnis der Welt (ja, es geht nicht um Deutschland) zu den Juden wird immer ein beherrschendes Thema bleiben.

Eines, mit dem man Aufmerksamkeit erhält, erheischt, provoziert und eines, bei dem man auf Grund dieser besonderen “Sensibilität” als Antipode auf beiden Seiten ganz automatisch mehr Emotion in die eigenen Positionen bringt oder erzeugt: Gibt man sich betont sachlich, hilft das auch nichts – es ist dann auch eine andere Sachlichkeit, die womöglich die Gegenseite auch schon wieder provoziert, als wenn wir über den neuen Käsehobel von Betty Bossy diskutieren. Zwangsläufig. Das gilt für die Debatte um das Gedicht von Günter Grass genau so wie für die Antisemiten-Liste mit dem Publizisten Jakob Augstein in prominenter Position, die vom Simon-Wiesenthal-Institut veröffentlicht wurde, begleitet von einer anklagenden Rhetorik, die so heftig zu keiner anderen Menschenrechtsfrage vorgetragen würde. Und dabei verkennt so mancher Ankläger, dass Kritik ohne Hinterlist und Militanz ein sehr viel positiverer Beitrag zur Sozialisierung einer Gesellschaft ist, als es so manche pauschal formulierte Beschwichtigung je sein wollte. Denn tragfähiger Frieden braucht die Erkenntnis und das Aushalten von Differenzen.

Eine Gefahr geht dabei in jeder Diskussion um die Rechte der Juden und die Stellung von Israel in der Welt schnell mal unter: Die Tatsache, dass angesichts des dominierenden Themas die Bitterkeit jener Geschlagenen ins Unermessliche steigt, die bis heute auf eine auch nur annähernd in diesem Ausmass geleistete Wiedergutmachung warten, wie sie den Juden zuteil wurde. Die Sinti und Roma in jedem Fall haben nach wie vor keine Fürsprecher, die Armenien-Frage “Völkermord ja oder nein?” in der Türkei ruft noch heute international diplomatisch höchste Verstimmungen hervor, die Kurden haben keinen gemeinsamen Staat, und ob gerade mehr Tutsi oder mehr Hutu in Afrika umgebracht werden, interessiert im Rest der Welt, ehrlich gesagt, rein gar niemanden.

Gerade für die Opfer entscheidet sich an der Frage, wie sehr es ihnen gelingt oder eben misslingt, Vergangenes hinter sich zu lassen (eingeordnet, als Teil der Geschichte, aber nicht als dominierender Part der gegenwärtigen Identität) ihre Lebensqualität in der Gegenwart – und ihr Beitrag an die Welt, in der auch sie sich plötzlich mit der Frage konfrontiert sehen mögen, wie sie mit eigener Macht umgehen, wie sie ihr Handlungsvermögen einsetzen, gestaltend oder zerstörend, an jedem neuen Tag.