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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Beunruhigende Signale gab und gibt es viele

∞  8 Dezember 2009, 10:33

In der Debatte rund um den Islam in der Schweiz gab und gibt es viele Gründe, weitere Fragen zu stellen.

Hier sollen ganz bewusst nicht einzelne Ethnien aufgerufen werden, sich eindeutig zu unserer Rechtsordnung zu bekennen, sondern Migranten aller Nationen, ja alle in der Schweiz lebenden Muslime danach gefragt werden, ob sie ihre muslimischen Überzeugungen mit dem Vorrang unserer Rechtsordnung vereinbaren können. Nach meinem bescheidenen bisherigen Verständnis des muslimischen Dilemmas, mit dem eigenen Wertekatalog in Konflikt mit der schweizerischen Gesellschaft zu geraten, ist diese Harmonisierung für einen gläubigen Muslim äusserst schwierig, und für jede auch gemässigt praktizierende Islam-Gemeinde erst recht.

Der muslimische Wertekatalog im Konflikt mit der schweizerischen Gesellschaft

Beispiele aus doch eher der Polemik nicht zu verdächtigender Quelle, einer Reportage im Beobachter, vom 29. Oktober 2009:


Schweiz: Ein streng gläubiger türkischer Muslim meint:
“Braucht ein Mensch, der diese Pflichten [die fünf Säulen des Islams, Th.] befolgt, sich noch weiter zu integrieren? Ein solcher Mensch stört doch niemanden, und niemand wird sich von ihm belästigt fühlen.»
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Österreich: Der österreichische Soziologe Mouhanad Khorchide führte selbst eine Umfrage durch: Khorchide ist selber Muslim, predigte in Wien als Imam. Zur Auswertung seiner Fragebögen meinte er: «Die Ergebnisse sind katastrophal». Gemäss seiner Untersuchung hält rund ein Fünftel der Befragten [210 islamische Religionslehrer, Th.] Demokratie und Islam für unvereinbar, fast jeder Fünfte (18,2 Prozent) erachtet die Todesstrafe als eine gerechte Sühne für den Abfall vom Islam. Jeder Dritte (32,7 Prozent) lehnt rechtsstaatliche Prinzipien ab [ein Muslim kann nicht Europäer sein, Quelle Weltwoche, Th.], und immerhin noch jeder Elfte (8,5 Prozent) äusserte Verständnis dafür, wenn zur Verbreitung des Islams Gewalt angewandt wird.
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Deutschland: Studie, die das deutsche Bundesinnenministerium vor zwei Jahren publik machte. Befragt wurden insgesamt 1750 Muslime. Über 44 Prozent äusserten die Überzeugung, dass Muslime ins Paradies kommen, wenn sie im bewaffneten Kampf für den Glauben sterben. Immerhin 14 Prozent der Befragten, von denen knapp 40 Prozent einen deutschen Pass hatten, stünden mit der Rechtsstaatlichkeit auf Kriegsfuss und zeigten eine problematische Distanz zur Demokratie. Die Studie ordnet 40 Prozent der in Deutschland lebenden Muslime als fundamental orientiert ein.
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Westschweiz: Die Genfer Buchautorin Mireille Vallette hat für ihr Buch «Islamophobie oder legitimes Misstrauen?» analysiert, wie sich führende, vor allem Westschweizer Islamvertreter und Imame öffentlich äusserten – zu umstrittenen Fragen wie dem Tragen eines Kopftuchs, dem Austritt aus dem Islam oder der Meinungsfreiheit. «Ich habe keinen Fürsprecher eines modernen Islams gefunden», sagt Vallette.
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Eidgenossenschaft: Das Eidgenössische Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) beauftragte vor einiger Zeit Schweizer Religionsforscher mit einer Studie, in der die Einstellungen der hiesigen Imame erforscht werden sollten. Ausserdem sollten das Rekrutierungspotential und mögliche Schweizer Ableger der Muslimbruderschaft untersucht werden, einer der einflussreichsten islamisch-fundamentalistischen Bewegungen im Nahen Osten. Die Ergebnisse sind bis heute geheim. «Sie wurde gemäss den Bestimmungen für sensible Informationen klassifiziert», erklärt Sebastian Hueber, stellvertretender Chef Kommunikation VBS.
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Zürich: 2004 muss Ibram, der marokkanische Imam an der Rötelstrasse, nach zehn Jahren gehen, nachdem er in einem Interview zur Frage der Steinigung gesagt hatte: «Ich kann nicht dagegen sein, diese Strafe ist Teil des islamischen Rechts.»
Ibram sitzt jetzt als Vertreter der Schweiz im European Council for Fatwa and Research (sinngemäss etwa: Europäischer Rat für Fatwas und Forschung). Der Rat betrachtet die Scharia als verpflichtend für alle Muslime und hat es sich zur Aufgabe gemacht, Fatwas (islamische Rechtsgutachten) für die muslimische Bevölkerung Europas zu erlassen, die mit den lokalen Gegebenheiten vereinbar sind. Fatwa Nr. 6 schreibt den Frauen das Kopftuch vor, Fatwa Nr. 17 verbietet strikt die Heirat einer Muslimin mit einem Nichtmuslim, Fatwa Nr. 38 verbietet den Mädchen das Velofahren, falls das Risiko dabei gross ist, dass das Jungfernhäutchen reisst.
So viel zum Verständnis der Vereinbarkeit der Rechtsordnungen.
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Genf, Petit Saconnex: Vier liberale Kadermitglieder der Moschee müssen gehen, wahrscheinlich auf Betreiben Ibrams und der saudischen Gesandtschaft.
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Emmenbrücke: Der bosnische Imam Efendic wirkt sehr aufgeschlossen, modern, aber zur Scharia meint er: Die Scharia? Wenn ein Dieb wisse, dass ihm die Hand abgehackt werde, überlege er sich zweimal, ob er stehlen wolle. Und ja, die Frau müsse ein Kopftuch tragen. Und ja, eine Muslimin dürfe keinen Christen heiraten. Efendic: «So will es die islamische Tradition.»

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Von der Weltwoche sind solche Berichte wohl allgemein eher zu erwarten, und doch sollte man mal hinlesen. Es geht dabei auch um die Wortmeldungen der führenden Muslime der bestehenden Dachverbände.
Weltwoche 42/09 – Ist der Islam mit Rechtsstaat und Demokratie vereinbar?

Schweiz: Laut einer Untersuchung der Stiftung Surgir aus dem Jahre 2006 sind in der Schweiz «tausende Frauen» Opfer einer Zwangsheirat und leben häufig in unglücklichen Beziehungen, die mit häuslicher Gewalt einhergehen.
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Deutschland: Laut einer Umfrage halten dreissig Prozent aller türkischen Studenten Ehrenmorde für legitim. Zahlen für die Schweiz gibt es keine.
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Schweiz: Den Moscheen in der Schweiz stehen schätzungsweise rund 150 Imame zur Verfügung. Sie stammen aus der Türkei, Albanien, Bosnien, Ägypten, Marokko oder dem Iran – und die wenigsten sind mit der Schweizer Kultur und Sprache vertraut. Was sie predigen und wofür sie stehen, ist unbekannt; sie publizieren ihre Reden weder in Büchern noch im Internet.
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Schweiz: Zur Frage, ob in der Schweiz Scharia-Gerichte eingeführt werden sollen, sagte Afshar [Präsident der Koordination Islamischer Organisationen Schweiz ] der NZZ, die staatliche Ordnung breche «nicht zusammen, wenn unterschiedliche Rechtssysteme parallel bestehen». Die Schweiz werde nicht darum herumkommen, Sonderrechte für die Muslime einzuführen.
Selbst beim Thema Steinigung konnte sich Farhad Afshar in einem Interview, das die Weltwoche vor vier Jahren mit ihm führte, nicht zu einer klaren Aussage durchringen. «Es ist absurd, sich von der Scharia distanzieren zu wollen», meinte Afshar.
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Zürich: Mit Fatih Dursun, Vorstandsmitglied der Vereinigung der Islamischen Organisationen in Zürich (VIOZ), rüttelt ein weiterer offizieller Islam-Vertreter an der Schweizer Rechtsordnung. Laut Tages-Anzeiger bekundet Dursun «grosse Sympathien» für Vorstösse zur Einführung der Scharia in der Schweiz. Das hiesige Rechtssystem müsse «flexibel» gestaltet werden, fordert der türkisch-schweizerische Doppelbürger, der die Muslime in der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR) vertritt.
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Tariq Ramadan, führender intellektueller Entwerfer eines europäischen Islams, schlug lediglich ein «Moratorium» für Steinigungen vor – nicht etwa einen endgültigen Verzicht.
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Freiburg: Christian Giordano, Professor für Sozialanthropologie in Freiburg, will islamische Rechtsvorstellungen noch wesentlich stärker in der Schweizer Justiz verankern. 2008 forderte er in der Zeitschrift der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR) die Anerkennung von Scharia-Gerichten, etwa in Zivilprozessen, aber auch bei Delikten bis zur Körperverletzung. Giordano rechtfertigt seine Vorschläge damit, dass die kulturelle Distanz zu gross sei: «So sehr sich diese Migranten auch assimilieren, es bleibt immer eine Differenz bestehen. Auch zu unserem Rechtssystem.»
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Ein besseres Schlusswort gibt es nicht, um die Gefahren einer weiteren Aufweichung unseres Rechtssystems zu dokumentieren. Und genau da haken jene aufgeschreckten Schweizer Bürger ein, welche dies nicht zulassen wollen. Zum eigenen Nachteil nicht, sich gegen die Entfremdung im eigenen Land richtend – und sich dabei auch für die Rechte aller Betroffenen, auch der Migranten, einsetzend. Diese Aufstellung ist eine Art Gruselkabinett, ich weiss. Entscheidend ist aber, was nun praktisch weiter geschieht:
In dieser Aufstellung kommen im Grunde alle führenden Persönlichkeiten der grössten Dachorganisationen vor. Sie alle haben Erklärungsbedarf geweckt. In den ersten Pressemitteilungen nach der Abstimmung ist so was wie ein Erkennen nicht ausgeschlossen, wenn man das jeweilige Ende der Mitteilungen liest:

Stellungnahme der KIOS/FIDS zum Abstimmungsresultat der Minarett-Initiative

Die muslimischen Verbände erkennen auch, dass nun ihre Verantwortung noch gewachsen ist, auf legitime Befürchtungen in der Schweizer Bevölkerung einzugehen und zu antworten. Wir müssen unsere Öffentlichkeitsarbeit verstärken, um Missver-ständnissen und Vorurteilen über den Islam und die Muslime zu begegnen. Wir laden darum alle Kreise ein, bei anstehenden Problemen gemeinsam mit uns nach konstruk-tiven Lösungen zu suchen. Unser Anliegen ist es, ein friedliches Zusammenleben zu fördern im Respekt voreinander und entsprechend der menschlichen Würde.


Stellungnahme Verband Aargauer Muslime

Obwohl sich nun eine gewisse Enttäuschung unter den Musliminnen und Muslimen breit machen wird, möchten wir an dieser Stelle betonen, dass wir uns der Probleme bewusst sind, welche die Integration ethnischer und religiöser Minderheiten mit sich bringt und möchten daher unsere Bereitschaft bekräftigen, mit allen interessierten Kreisen die vorhandenen Probleme ernsthaft zu diskutieren und gemeinsam Lösungen zu suchen.


Der Schweizerische Rat der Religionen

Der Schweizerische Rat der Religionen ruft alle dazu auf, sich auf die schweizerische Werte- und Rechtsordnung sowie auf die freiheitliche Gesellschaft einzulassen. Der SCR lädt die islamischen Gemeinschaften ein, bei der Bildung ihrer Strukturen z.B. auf die Erfahrungen der christlichen Kirchen oder der jüdischen Gemeinden zurückzugreifen.
Der Respekt vor den jeweiligen Überzeugungen der Anderen ist die Voraussetzung für den Umgang mit Differenzen und das friedliche Zusammenleben. Der Schweizerische Rat der Religionen will den Dialog zu Fragen der gemeinsamen Werte- und Rechtsordnung weiterhin führen und auf allen Ebenen fördern.


Wir sind gespannt. Ich wünschte mir persönlich einen Weg, den gläubige Muslime tatsächlich in Europa begehen könnten, um ihren Glauben zu leben. Nur: Ich sehe ihn (noch) nicht, ohne dass sich der Islam aus sich selbst heraus reformiert. Bis zu einer überhaupt möglich werdenden Auslegung des Korans zum Beispiel, ist es noch ein sehr, sehr langer Weg. Mitbürger mögen mir entgegnen, dass die tägliche Praxis doch das Gegenteil beweise: Tausende Gläubige leben tagtäglich friedlich mit uns (oder neben uns?). Stimmt. Aber es irritiert sehr, welche Signale von den Führern und Repräsentanten der Moscheen und Verbände ausgehen. Und gleichzeitig sind diese Signale auch ehrlich, denn das Dilemma der Verknüpfung des muslimischen Glaubens mit der Scharia, die dem Islam inne wohnende Verbindung von Staat und Religion und der missionarisch politische Anspruch nach weiterer Verbreitung und Vorherrschaft des Islam SIND spürbar.
Wenn die muslimischen Verbände Erklärungsbedarf orten, dann ist er genau in diesen Punkten mehr als gegeben. Von aussen mag man da nur hoffen, dass Organisationen wie das Forum für einen Fortschrittlichen Islam endlich auch innerhalb der muslimischen Gesellschaft einen höheren Stellenwert bekommen. Auf deren Homepage steht als Begrüssung unter anderem:


Wir sind primär Schweizer Bürgerinnen und Bürger, denen die Befreiung des Islams aus der festgefahrenen kulturfeindlichen Sackgasse am Herzen liegt.
Wir sind Menschen muslimischer und nichtmuslimischer Konfession, die den Koran als Text seiner Zeit und seines Raums lesen und verstehen. Wir wollen diesen Text mit unserem heutigen Wissensstand ergänzen und ihm auf diese Weise ermöglichen, zu einer modernen, menschlichen und lebensbejahenden Quelle zu werden.
Natürlich ist unser Vorhaben gigantisch. Wir sehen darin keinen Grund, untätig zu bleiben. Tausende denkende und handelnde Menschen in- und ausserhalb der islamischen Welt tun es auch – in freiheitsfeindlichen Rahmenbedingungen.



Auch ich will nicht in den hier zutage tretenden Fronten verharren. Ich will Bewegung, Verständigung, Erklärung, Gestaltung. Aber hierfür brauchen wir offensiv informierende muslimische Verbände. Auch sie müssen sich – nicht zuletzt gegenüber solchen fortschrittlichen Organisationen aus den eigenen Reihen – mehr öffnen und den Dialog pflegen. Immer wieder. Unablässig. Der Weg ist lang und verdammt hart.

Hierzu sinnbildlich ist auch der bisherige Web-Auftritt dieser Organisationen. Über KIOS erfährt man im Netz durch inforel.ch am meisten, die Seite der FIDS ist eine Wüste.

Wenn die Energien damit verbraten werden, in dieser verfahrenen Situation juristisch darüber zu streiten, ob die Religionsfreiheit verletzt wurde, wenn Menschenrechte eingefordert werden, während gleichzeitig das Menschenrecht der freien Meinungsäusserung eine tiefere Verständigung theoretisch möglich machen würde, dann verschwenden wir unsere Chancen. Denn ganz offensichtlich ist diese Verständigung Voraussetzung dafür, dass eine Gesellschaft diese Rechte auch mit Bereitschaft und Überzeugung gewähren kann.