Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Abschiede, die nicht sein dürfen?

∞  14 März 2011, 20:15

Welchen Anspruch habe ich an das Leben meiner Nächsten? Ist “Adieu sagen können” nicht sogar ein grosses letztes Geschenk?


Bei Herrn Backes im Nachtcafé im SWR haben sie letzten Freitag über das Abschiednehmen – vom Umgang mit dem Tod gesprochen. Und es ist unvermeidlich: In einer solchen Runde sitzt immer ein Quotenschweizer, den man deswegen einlädt, weil das Thema Sterbehilfe bei uns viel freier geregelt ist als in Deutschland.

Ganz am Ende der Sendung kommt er dann auch zu Wort und schildert also das Sterben seines Vaters durch den Becher eines Sterbehelfers, den ihm dieser reicht.
Ein arrangierter Tod, im Beisein der Söhne, so kühl geschildert, wie er wohl auch ablief, scheinbar ohne tiefere Emotionen, aber nach dem sehr bewussten Willen des Vaters.

Auf die Frage, ob sie sich einen solchen arrangierten Tod vorstellen könne, antwortet Margot Hellwig, die 47 Jahre mit ihrer Mutter gemeinsam auf der Bühne stand und schwer am Hinschied ihrer Mutter im Alter von 90 Jahren leidet:

Das hätt’ ich meiner Mutter nicht erlaubt.

Auf die Frage, was sie ihr denn gesagt hätte, wenn sie einen solchen Wunsch geäussert hätte, meint sie:

Du hast nicht das Recht, von der Welt zu gehen und uns zu verlassen und uns solche Schmerzen zu bereiten und dass wir uns alle Gedanken machen, was haben wir denn falsch gemacht, was haben wir getan, dass Du uns auf diese Weise verlässt. Ich hätte das meiner Mutter nicht erlaubt.

Ihre Worte sind voller Überzeugung und hören sich genau so bestimmt an, wie sie gelesen werden können (80:30 im Video), und sie sind daher auch bemerkenswert ehrlich. Sie bringen mich allerdings in ihrem Egoismus auch einigermassen aus der Fassung.
Und doch bin ich der Margot Hellwig dankbar, denn sie drückt damit genau diese Form der Angst vor dem Tod aus, mit dem jene, die zurück bleiben und Abschied nehmen müssen, meinen, sie könnten irgend einen moralischen Grund anführen, mit dem jemand anders dazu verpflichtet werden könnte, zu leben. Und es spielt gar keine Rolle, wie das Feld bestellt ist, dass alle Kinder “im Leben stehen” und die Dinge geregelt sind – es darf einfach nicht sein. Kein Gedanke daran, dass es auch eine Qualität haben könnte, dass man einen Menschen gehen lassen kann und zusammen an den Punkt kommt, an dem dieses Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben, gar nicht zurück bleibt. Ich glaube, dass man als Angehöriger einen grossen Segensdienst leisten kann, wenn man eine solche Entscheidung akzeptieren und sich hinterfragen kann in seinen Ansprüchen an jenen, der des Lebens müde geworden ist.

Wann wenn nicht jetzt hat mein Vater oder meine Mutter das Recht, selbst zu entscheiden, ob und was sie will? Kann ich überhaupt irgend eine Lebensentscheidung für einen anderen Menschen treffen? Wie würde ich denn mit dieser Verantwortung leben, wenn ich sie wirklich fühlen würde?

Verstehen Sie mich recht: Genau so, wie ich es höchst problematisch finde, meine eigene Überzeugung, die vielleicht eine andere ist, irgend einem Menschen aufzuzwingen, so kann mich niemand dazu verpflichten, einen solchen Prozess anwesend zu begleiten (ich weiss nicht, ob ich es wollte oder könnte). Aber ich denke, meine Liebsten hätten ein Anrecht darauf, dass ich zu verstehen versuche und den Entscheid respektiere. Es ist möglich, dass ich nicht dabei sein möchte, aber dieser Mensch sollte seinen Weg im Wissen gehen dürfen, dass ich ihm die Würde und den Respekt zubillige, selbst genau den Entscheid zu treffen, der für ihn der richtige ist.

Es ist genau die gleiche Situation wie bei einer ungewollten Schwangerschaft: Ich mag für mich eine klare Meinung haben und wissen (oder meinen, zu wissen), was ich tun würde – aber ich habe kein Recht (hier gilt das Wort für mich wirklich), diesen Entscheid für oder gegen eine Abtreibung von einer Frau zu verlangen. Für mich geht das einfach nicht. Das ist zu persönlich. Lebensfragen sind in letzter Konsequenz Fragen eines jeweiligen Menschen an sich selbst und seinen Gott – ich habe da nichts dabei verloren, kann höchstens von meinem Glauben reden, vorleben, was ich an Sinn erlebe – aber ich stehe nur in meinen eigenen Schuhen – und dabei sollte es auch bleiben.