Debatten bzw. Pamphlete gegen oder für die Schweiz...
Man könnte sich zur Zeit als Schweizer Nerd im Netz wieder mal an jeder Ecke in die Schlacht stürzen und an Diskussionen über die Rolle der Schweiz in der Ausländer- und Europafrage stürzen. Und sich fetzen, bis einem die Haare ausgehen.
Aber ich bin es, gebe ich zu, ziemlich leid. Weil das Netz den einen Fehler einer jeden Scheindebatte möglich macht wie keine andere zweite Diskussionsform: Den Mangel an Zuhörbereitschaft. Noch mehr als am Stammtisch ist es im Grunde gar nicht nötig, auf einander einzugehen. Es geht sehr oft den “Teilnehmern” nur darum, ihr Statement loszuwerden, und die relative Anonymität kann dann leider zusätzlich zum Hemmlöser werden. Die Krux ist dabei auch das vielleicht einzig Gute daran: So lange es der Plattformbetreiber will, bleibt das eigene Statement wenigstens sicht- und nachlesbar – für jene, die vielleicht doch genauer hinlesen wollen. Nur leider erfahre ich davon nichts. Ich kann es nur hoffen.
Was Facebook von FB-Fake-Seiten hält, die Schumacher's Tod erkünden
Schicksalsschlag eines Prominenten, und überall sind alle Medien voll davon. Mag man sich auch fragen, warum bei einem Prominenten wie Michael Schumacher so viel Wirbel entsteht, während im gleichen Krankenhaus täglich wohl mehrer Menschen einen einsamen Kampf gegen den Tod fechten, lässt sich das ja doch einigermassen erklären: Die Projektionen, die uns allen möglich sind, die spielen halt bei einer solchen öffentlichen Person sofort, und das Absurde oder scheinbar Logische daran, dass ein F1-Rennfahrer sich nach Abschluss der Karriere bei einem Skiunfall abseits der markierten Pisten schwer verletzt, suchen wir uns nicht nach dem Inhalt der Geschichte aus, sondern nach jener Art Deutung, die aus uns selber genährt wird.
Der Umgang mit der medialen Aufbereitung des Unglücks ist also das eine – die Einstellung von Unternehmen des Social Media zu offensichtlichen Falschmeldungen etwas anderes: Ganz offensichtlich sind bereits mehr als zwei Handvoll Facebookseiten neu aufgeschaltet worden, die den Tod von Schumacher verkünden und damit natürlich viel Aufmerksamkeit generieren. Höchst fragwürdig ist der Umgang von Facebook mit eingehenden Beschwerden:
Facebook löscht diese Seiten nämlich nicht: Meldet man solche Seiten bei FB über das Benachrichtigungssystem, bekommt man eine Absage:
“Diese Seite wurde nicht entfernt. […] Wir haben die von dir […] gemeldete Seite geprüft und festgestellt, dass sie nicht gegen unsere Gemeinschaftsstandards verstößt.”
Nun, es mag ja sein, dass hinter dieser vom System generierten Antwort der Automatenteufel steckt, der auch für Windows-Meldungen gedichtet hat, aber höchst peinlich und fragwürdig ist es schon, vor allem dann, wenn die Seiten tatsächlich länger online stehen bleiben können. Es ist schon interessant, was Betreibern solcher Portale am A…. vorbei geht, und was sie aus dem Busch holt. Ein Schelm, der Böses denkt: Auf allen diesen dann wie wild angeklickten Seiten ist Werbung enthalten, und bei jedem Click auf diese Werbung verdient FB Geld…
Die Macht des Vortrags
Ich denke, ganz egal, was wir tun, um kreativ zu sein, wir haben immer ähnliche Antriebe, auch wenn wir sie meist nicht benennen können:
Wir träumen vom absolut perfekten Timbre in der Stimme, vom absolut ausdrucksstärksten, bannenden Gesichtsausdruck auf unserer Leinwand, oder eben vom stimmigen Satz, der in Form und Inhalt in einer perfekten Schwingung das Gefühl in uns weckt, das mit seinem Inhalt exakt gemeint ist.
Ich liebe Slam Poetry, ich liebe Stand Up Comedy, ich liebe Kleinkunst ganz allgemein. Ich lache gerne laut – aber richtig beeindruckend wird es für mich, wenn jemand die wirklich leisen Töne wagt – und es still wird um die Bühne. Aufmerksam still. Manchmal stelle ich mir vor, wie es wäre, ein Programm zu schreiben, das Menschen auf Wellen des Nachdenkens und Nachempfindens durch den Abend trägt, in dem es nichts gibt als diese Begegnung zwischen dem Erzähler auf der Bühne und dem Zuhörer, der nicht mehr erwartet hat und doch viel mehr bekommt.
Was ein Publikum an einem solchen Abend verbindet, ist ein initiales
Genau so ist es!
bevor jeder die Gedanken für sich weiter denkt und nachempfindet, getreu der Situation, in der er sich gerade befindet.
Ja. Einer Geschichte zu lauschen. Einem Menschen, der erzählen kann: Das ist magisch.
Udo Jürgens: Songzeilen für Blogger
Ich habe eben auf YouTube Udo Jürgens zugehört, angesichts der Bambi-Verleihung für sein Lebenswerk. Er singt [ab 7m00]:
Ich will den Text,
der sich was traut.
Ich will das Wort,
so wie ein Schwert;
das in alle Herzen dringt,
das tröstet und verstört.
Ich will die Unbequemlichkeit
und auch die Schwärmerei.
Ich will verdammt sein
zur Revolte
und zum Träumen frei.
Ein Text für den Songwriter und Sänger. Aber auch ein Text, der das Wesen des Bloggens umschreibt, so, wie ich es mir gerne wünsche.
Als Blogger dürfen Sie sich empören, die scharfe Rhetorik auspacken. Vielleicht kommen Sie sich dann vor wie ein keifendes, unzufriedenes Waschweib das aus dem Souterrain durchs Kellerfenster in die Leere geifert, vielleicht aber rütteln Sie auch auf. Man weiss es nie. Ich weiss es nie. Dem Publikum zu Willen muss ich allerdings nie sein. So zahlreich ist es nicht, genügend identifiziert auch nicht. Aber es ist da.
Verdammt bin ich nicht zum Bloggen, aber ohne will ich wirklich nicht sein, vielleicht könnte ich es gar nicht mehr, ohne unglücklich zu werden. Passion ist immer Leid und Freud(e) gleichzeitig. Aber das Träumen, das kann man mir hier genau so wenig verbieten, und ich kann versuchen, Herzen zu erreichen, ganz der eigenen Gemütslage folgend in einer Art Seelenbeschau. Manchmal übersetze ich dann ein Gefühl für jemand anderen, und natürlich auch für mich selbst, in Sprache, in Worte, in Zwischenräume.
Ein Blog ohne enge Themenspur ist wie ein Tagebuch der Befindlichkeit zwischen Wutbürger, Überzeugungsdirektdemokrat, Lebensbefrager und Gelassenheitssucher, und der ständige Versuch, Mensch zu sein und damit weich und doch standhaft der Aufrichtigkeit zu sich selbst verbunden. Es sind ehrbare, gar nicht so kleine Ziele und Verpflichtungen. Die gleichen, die auch einem Tagebuch geschuldet wären.
Ich will den Text, der sich solches traut.
——
PS: Der Text des Liedes, der Songs selbst geht übrigens mindestens so stark und aussagekräftig weiter. Aber ich will mal mich nicht versteigen. Udos Strahlkraft aber macht die Worte schon möglich: (Song ab 7min00)
Notiz zum Text, völlig überflüssig
Warum habe ich nicht den Mut zum kurzen Text und lasse den eben geschriebenen Text für heute einfach so stehen? Warm glaube ich, ich, eine Milchbüchleinrechnung erfüllen zu müssen: Nur ein volles Milchkesseli ist eine ganze Lieferung.
Definiere “ganz”.
Nein. Texte sollten hier alles dürfen. Und das ganz lang und ganz kurz.
Luft holen
Manchmal muss ich, bevor ich einen Text schreibe, ein wenig Luft holen. Es sind meistens die Momente, in denen ich einen bestimmten Menschen im Kopf habe – und mein Erstaunen nicht abschütteln kann, welches Klischee gerade wieder dessen Blick bestimmt hat – oder welche Reaktionen eine Meinung von mir auslöst:
Es sind dann wohl auf der Gegenseite genau so Reflexe aufgetreten, die ich mit gewissen Formulierungen ausgelöst haben dürfte. Wir werden uns so bewusst, wie sehr wir in allem, was wir tun und in der Art, wie wir einander begegnen, davon geprägt sind, was wir erlebt haben – und wie wir deshalb Meinungen und Haltungen einordnen, akzeptieren oder überhaupt richtig erkennen können.
Internet - Unsere Zeitschleuder?
Fahre ich den Computer hoch und begebe mich ins Internet, zu einer “Informationsrunde”, so kann ich nicht wirklich abschätzen, wo ich hängen bleibe. Überraschungen sind immer möglich, zumindest dann, wenn ich nicht einfach nur ganz spezifische Sportresultate suche. Zeitbedarf? Immer mehr, als ich eigentlich einsetzen wollte. Ist deshalb “das Internet” eine Zeitvernichtungsmaschine, statt ein Gewinn?
Die Fragestellung ist “gefährlich”, denn die Antwort fällt auf mich als Blogger zurück. Denn hier mache ich, bevor ich “aktiv” werde, genau das gleiche: Ich lasse mich überraschen, was “jetzt”, heute, Thema wird, was mein Thema sein soll. Manchmal suche ich ein bisschen verkrampfter, manchmal lasse ich die Gedanken ganz entspannt wandern. Und es ist im Grunde wie beim Zeitungsleser: Dort, wo mich die Überschrift, der Grundgedanke inne halten lässt, wo ich einen Nachsatz denke, der mich weiter überlegen lässt, der mich halten lässt, von dort soll mein Text des Augenblicks herkommen. Und im Ergebnis erscheint dann mein Schreiben ein gutes Stück weit zufällig, negativ gesehen kann man die Blogthemenvielfalt dann auch “beliebig” nennen. Und dafür soll ich Ihnen Zeit abzwacken?
Die “Mission”? Kein festes Thema, keine Botschaft, der man Nachdruck verleihen will. Allenfalls:
Wage Lebenskunst! Und suche Lebenssinn.
Und:
Halte sie hoch, die Demokratie! Sei nicht nur Mensch, sondern auch Bürger!
Aber ich treibe auch Sport und spiele dabei mit Lust und Freude wie ein Kind, lasse für ein Eishockeyspiel oder einen Tennismatch oder ein Fussballspiel (jaaah, das ist reichlich viel) schon mal alle Sinnfragen und bürgerschaftliche Empörung sausen – und schreibe auch noch darüber, sapperlott.
Puuuuh, also, ist das jetzt Zeitverschwendung, was ich hier mache, als Leser, als Schreibender – und gehöre ich zu jenen, die ihnen nur die Zeit stehlen? Gut möglich. Wenn sie es so sehen und in einer bestimmten Weise angehen, so kommt kein Argument gegen dieses Faktum an (und es ist dabei egal, wo sie was lesen). Sie brauch(t)en Zeit und die fehlt Ihnen hinten heraus dann woanders garantiert. Zeit ist ein knappes Gut. Wäre dem nicht so, unsere Welt wäre eine ganz andere.
Wir stecken also ständig in dieser Herausforderung, mit diesem Gut umzugehen – und wir verlieren sie ständig. Ich glaube, das einzig Dumme daran, für das wir uns selbst in den A… beissen sollten, ist, dass wir “es” tun, wenn wir genau wissen, dass dafür nicht die Zeit ist – und wir dann “nur mal noch schnell” mit dem verfluchten Multitasking beginnen. Beginnen? Es vervielfältigen. Ich veranschauliche das mal:
Stellen Sie sich vor, Sie schalten am Sonntag den Computer ein und begeben sich ins Internet, mit folgender Ausgangslage:
“Ich bin gespannt, was ich heute entdecke.”
Oder sie schlagen die Zeitung auf, mit exakt der gleichen Motivation.
Machen Sie das, insbesondere mit dem Internet, so? Neee. Sie “gehen da rein”, und “checken zu Beginn gleich mal nur rasch ihre Mails”. Dann sind da die Social Medias, die ein paar Pieps “erfordern”, und aus diesen Anstupsern begeben sie sich dann tatsächlich auf eine Reise. Aber es ist nur der Gang in ihr Netzwerk, die Vergeltung von Aufmerksamkeiten, das Beantworten eines Hallos, und im Nu hat man ganz viel gehört, nichts aufgenommen, keine Ruhe gehabt aber viel Zeit verloren, hat da und dort angebissen im grossen Meer der Aufmerksamkeitshascher.
Das Internet sollte uns die Gefässe bieten, in denen wir tatsächlich über alle Distanzen und Hindernisse Kontakte pflegen können, die real nicht möglich sind. Das Internet kann uns reale Begegnungen vorbereiten helfen, sie nachwirken lassen, es kann begleitend so lebendig sein. Oder auch virtuell komplett reale Substanz für uns haben oder bekommen. Aber wir müssen dabei sein. Wir müssen uns selbst und dem Gegenüber – oder der Zeitung, dem Autor, dem Blogger – Konzentration schenken. Bewusst Zeit vergeben, einsetzen. Wir sollten uns weniger versäumen lassen – dafür manchmal bewusst verführen. Das wäre doch schön.
Dass wir am Schluss die Kiste ausmachen und sagen:
Mensch, drei Stunden vorbei? Wow. Und was habe ich in der Zeit alles erfahren – oder wie ruhig war es um mich? Regnet es eigentlich noch draussen? Und dann könnte man sich mit einem Kaffee ans Fenster setzen und überlegen, was das Nächste sein darf. Darf.
Ringelnatz - Dichter oder Reimer, so genau weiss es keiner.
An den Mann im Spiegel
Du bist ein krummer, dummer Hund!
Und hast es doch so gut gehabt,
Bist gar nicht reich und bist gesund,
Auch grösstenteils nicht unbegabt.
Du altes Schwein im Trüffelbeet,
Weisst du auch stets, wie gut’s dir geht?
Du, spring nicht über Schranken,
Die höher, als du selbst bist, sind.
Vergiss nie, täglich wie ein Kind
für alles tief zu danken.
Joachim Ringelnatz