Reflexionen

In Wort und Bild gesehen, gedacht und gefühlt
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Mit Lebenslust ein Leben lang, mindestens


Von Wundern und Respekt

∞  29 Dezember 2007, 20:25

Australien ist ein weiter, ferner Kontinent. Unter den Eindrücken unserer dritten Reise, und bevor ich diese zu erzählen beginne, stelle ich dem noch zwei Briefe als Reload voraus, die zu Australien wohl nicht geschrieben worden wären, wenn mit diesem Land für uns nicht mehrere sehr umfassende Erfahrungen des Reisens verbunden wären.

Die damals 15-jährige Nana hat mich mit ihren Fragen zum Erzählen über den Uluru animiert, und weil wir dieses Wunder bei unserer ersten Reise gesehen haben, die hier nicht erzählt wurde und wird, setze ich wenigstens diesen Brief hier ein :

Nana schrieb mir Ende 2004:

Mich interessiert besonders das Landscape von Australien. Gibt es da wirklich so viele Kängurus? Hast du den Ayers Rock usw. aus nächster Nähe betrachtet sowie das Opera House?
Ich kann mir das alles kaum vorstellen, weil es soweit weg ist. Also praktisch am anderen Ende der Erde.
Wie ist das, schon in so vielen Teilen unserer Erde gewesen zu sein? Willst du nicht manchmal wissen, wie es auf dem Mond oder der Antarktis ist? Für mich ist das, wie ein Buch zu lesen, aber zu wissen : Es ist halt nur eine Geschichte.
Denkst du anders, da du schon soviel gesehen hast?
Für mich ist das unbegreiflich. Wie die Frage, wo das Universum eigentlich drin ist…okay ich bin 15 und klein und dumm, aber ich glaube ich bin nicht die einzige, die sich solche Fragen stellt. Hoffe ich zumindest ;-)
Naja, auf bald
Nana



Liebe Nana,

Ob Du klein bist weiß ich nicht, das ist auch nicht von Bedeutung, ganz sicher aber bist Du nicht dumm. Eine besondere Armut, unter der wir Erwachsenen leiden, ist, dass wir es verlernen, die einfachen Fragen zu stellen. Wenn wir dann manchmal etwas gönnerhaft über scheinbar kindliche Fragen der Jungen lächeln, dann tun wir das leider allzu oft, obwohl wir in unserem Innern wissen, dass wir auf die simple Frage im Grunde keine Antwort haben, vor allem keine einfache, die einleuchtend wäre. Vielleicht nennen wir Euch dann naiv, aber das kannst Du nur allzu oft durchaus auch als Kompliment für Dich stehen lassen. Lass Dir also vor allem den Sinn und das Recht, jede Frage stellen zu dürfen, nicht absprechen.
Da ich mich über Dein Interesse sehr freue, werde ich mich bemühen, Antworten zu finden, die für mich stimmen. Schön, wenn sich Dein Interesse an Australien dadurch noch vertiefen sollte.

Ja, es gibt sehr viele Kängurus in Australien. Es soll zwar Touristen geben, die wochenlang keines zu Gesicht bekommen, aber das scheint mir unmöglich, sobald man sich aus den Städten heraus begibt und durch die Landschaft fährt oder gar wandert. Was man leider auch sieht, sind viele tote Tiere am Straßenrand: Nicht nur Kängurus bleiben in der Nacht bockstill stehen, wenn Sie in einen Scheinwerfer blicken. Dadurch werden sie sehr oft überfahren, weil sie nicht oder viel zu spät zur Seite springen.
Sowohl das Opernhaus wie auch den Ayers Rock kenne ich aus der Nähe, ja. Und ich will Dir gerne etwas verraten. Ich habe im Vorfeld unserer Reise so viel von diesem Felsen gehört, er wurde mir mit so viel Begeisterung geschildert, dass ich für mich eher abgewunken habe und insgeheim dachte, dass ein Felsbrocken, den so viele Menschen schon gesehen haben, nicht so beeindruckend sein kann, mag er auch noch so groß sein. Nun, was soll ich sagen? Wir fuhren in einem Bus an ihm vorbei, in einiger Entfernung, erst einmal zum Hotel in Alice Springs, und ich war vom ersten Anblick an wie vom Donner gerührt. Der Ayers Rock ist magisch, er hat eine unergründliche Faszination und nimmt mich gefangen. Als ich vor ihm stand, ihn umrundete, habe ich sehr wenig gesprochen, und wenn, dann eher leise. Selten zuvor habe ich das Wort „schön“ mit so viel Andacht ausgesprochen. Für die Aboriginals ist der Felsen heilig und sie würden ihn niemals besteigen oder bestimmte heilige Plätze an seinem Fuß entweihen. Das kümmert die Weißen allerdings wenig und so finden ganze Völkerwanderungen auf den Monolithen statt. Für mich ist das ein Beispiel dafür, wie wenig wir zivilisierten Menschen von der Natur behalten haben., wie wenn wir unsere Muttersprache verlernt hätten. Wir sprechen ihre Sprache nicht mehr, weil wir Verstand und Herz in unserem Alltag trennen. Wer sein Essen im Supermarkt aus dem Regal nimmt, hat es vielleicht auch schwer, die Beziehung zur Natur lebendig zu halten. Vielleicht erkennt er in diesem Felsen, der ein Wahrzeichen schöpferischer Urgewalten ist, deshalb im Maximum noch den Aussichtspunkt, den er zu bieten hat für eine Fernsicht, statt Einsichten in seinem Herzen mit zu Tal und nach Hause zu tragen.

Wahrscheinlich überrascht es Dich nicht, dass ich Dir nicht erzählen kann, was man vom Uluru hinab sehen kann (so nennen die Ureinwohner den Ayers Rock). Meine Frau und ich haben den Wunsch der Aboriginals respektiert und sind stattdessen um einen Teil des Felsens herum gelaufen. Schon im Spiel von Schatten und Licht am hellichten Tage haben wir über die verschiedensten Farbtöne des Felsens gestaunt und uns darum am Ende in einiger Entfernung auf den Boden gesetzt und auf die Abendsonne gewartet. Was soll ich sagen? Die Menschen, die erzählen, dass der Ayers Rock in der untergehenden Sonne seine Farbe von Minute zu Minute komplett ändern kann – sie haben recht. Er ist wunderschön. Er ist eines jener Wunder, die für Wissenschaftler keine sein mögen, weil nichts passiert, was nicht erklärbar wäre. Und dennoch sind es Wunder: Es ist ein Gottessegen, dass es Orte wie diesen gibt, wo Menschen erkennen dürfen, wie wunderbar die Schöpfung ist. Und dadurch, dass Du mitten drin in diesem Wunder stehst, und am ganzen Körper eine Erregung und Begeisterung spürst darüber, Teil dieser Schöpfung zu sein, bist Du selbst ein Wunder.

Der Fels bleibt stehen und wiederholt sein Farbenspiel noch lange nachdem wir beide tot sind. Das ist nicht traurig. Das ist gut zu wissen und zu glauben. Und vom Glauben der Aboriginals ist hier etwas zu spüren. Wenn Du Dich als klein und dumm bezeichnest, dann bin ich ein alter Esel. Und dieser Esel versichert Dir, dass der Glauben der Aboriginals durch jede Felspore des Uluru in den weiten Himmel über Alice Springs hinaus atmet.

So, Nana, nun bin ich etwas müde. Aber Du siehst, wo Deine Fragen mich hinführen, oder besser wohin zurück. Es tut mir gut und zeigt mir, was für ein Glück ich empfinden darf über so viele Begegnungen, die ich haben durfte. Aber über die besonderen Geheimnisse des Reisens, über den Eindruck grenzenloser Weite und deren Wirkung auf uns im Allgemeinen und über Deine weiteren Fragen reden wir beim nächsten Mal weiter.

Thinkabout, 2.12.04