Reflexionen

In Wort und Bild gesehen, gedacht und gefühlt
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Mit Lebenslust ein Leben lang, mindestens


Vietnam: von Vinh nach Ninh Binh / Tam Coc

∞  29 September 2009, 21:50

Erlebt am 9. April 2009, vormittags


[ Bilder des Tages im Album ]
[ Landkarte" Von Vinh über Dien Chau und Ninh Binh bis Hanoi ]


Ich habe wieder diesen Druck im Magen, verzichte ganz aufs Frühstück, schlafe lieber etwas länger. Ich merke, dass ich langsam an meine Grenzen komme, mir mehr Ruhe gönnen muss, um all die Eindrücke zu verarbeiten.

In der Lobby treffen wir J. Der Ärmste ist seit 03:00 wach und hat die Zeit seither mehrheitlich auf der Toilette zugebracht: Durchfall. Ich gebe ihm Immodium.

Um acht fahren wir planmässig los und erreichen dreiviertel Stunden später Dien Chau und den nahe gelegenen taoistischen Cuong Tempel.




Noch ist es sehr ruhig. Der Tempel erwartet aber für heute regen Zustrom, da Vollmond ist, ein den Chinesen heiliger Tag. Wir scheinen überhaupt nicht zu stören, man lächelt uns freundlich zu und wir dürfen uns ungehindert all die schönen Holzschnitzereinen




mit meinen geliebten Drachen anschauen.




Nach einer längeren Fahrt, auf der ich wieder einmal Unterricht im Fach „was kann man alles auf einem Moped transportieren“ erhalte,
erreichen wir Ninh Bin, genauer gesagt, den Ausgangspunkt für die Bootsfahrt in die „trockene Halongbucht“, wie diese Gegend hier auch genannt wird. Wie in der „nassen“, eigentlichen Halongbucht, die wir übermorgen besuchen, gibt es auch hier Karststeingebilde, nur ragen sie nicht aus dem Meer, sondern aus den Reisfeldern heraus.




Zuerst gibt es jedoch ein Mittagessen. Wir lassen uns jedoch nur vier von den neun Gerichten bringen, und das auch nur einmal. Ich esse die Suppe, und helfe dann Küde ein wenig beim Abbauen der Berge, da es auch so immer noch zu viel ist.

J hat keinen Durchfall mehr, mein Magen hat sich auch beruhigt, dafür haben wir alle drei Kopfschmerzen, wobei es sich bei J um Migräne handelt.


Karstig garstige Gedanken


Noch sind wir nur in der Anfahrt zu einem der Highlights der Reise, wie wir wissen. Und wenn ich aus dem Fenster sehe, so deutet nichts darauf hin, wie nah dieses Naturwunder ist. Während meine Mitreisenden mit dem Schlaf kämpfen, der Fahrer glücklicherweise ausgenommen, versuche ich, die Eindrücke aufzunehmen, die vor dem Fenster wie ein zu schnell laufender Film vorbei fliegen. Wir fahren durch eine sehr staubige Gegend mit vielen rauen und sehr grauen Städten. Auf dem Asphalt und den Dächern liegt eine Schicht Staub, die sich in den Untergrund eingefressen hat. Es scheint hier in der Nähe sehr viel Bauindustrie und Bergbau zu geben. Die Fahrt vor Mittag ist äusserst laut, “rumpelig”, hektisch, und der Ausblick nach draussen macht nicht fröhlicher. Hier sind noch mehr Häuser ohne Verputz, so dass man fast durchwegs auf fleckige Betonflächen blickt. Wenn dann ein Haus herausgeputzt trotzig dazwischen steht, fällt das in etwa so auf, wie wenn ein farbiger Briefkasten einer grauen Hausmauer die Stirn bietet.

Genau so, wie wenn die Vorderfront sich geradezu grotesk von der übrigen Tristesse abhebt.
Aber dieses Grau ist auch sonst anders als schon gesehen. Es geht tiefer. Man kann fühlen, wie die Menschen und ihre Behausungen hier rücksichtslos Umweltzerstörungen ausgesetzt sind, die bei uns längst undenkbar wären. Ich weiss, wir haben diese Dinge bei uns alle auch verbrochen, und ich stecke hier immer wieder im gleichen Dilemma, weil ich schwer vermuten muss, dass ich zu wenig Übersicht und zu viel Voreingenommenheit besitze – aber es drückt mir auf die Seele, wenn ich in kommunistischen oder zumindest eifrig sozialistisch motivierten Staaten sehe, wie gerade hier systematisch und hemmungslos die Umwelt ausgebeutet wird. Es kommt mir so vor, als ginge die Umwelt in solchen Verhältnissen immer noch ein bisschen mehr und ein bisschen länger vergessen als bei uns… Und vor allem frage ich mich verzweifelt: Warum nur wollt ihr unbedingt die gleichen Fehler machen, die wir schon hinter uns haben? Die Göttin namens Wachstum verspricht Profit ohne Ende, und so donnern wir zwischen Lastwagen durch den Staub, der sich überall ablegt, wo er sich festsetzt, während die Beute aus dem Boden in die Häfen transportiert wird.