Reflexionen

In Wort und Bild gesehen, gedacht und gefühlt
Zum Betrachten, Nachdenken, Mitdenken, Vordenken
Mit Lebenslust ein Leben lang, mindestens


Vietnam: Von Da Lat nach Trai Mat

∞  31 Juli 2009, 06:44

Erlebt am 1. April 2009, vormittags


[ Bilder des Tages: Album ]


Wir haben ausgezeichnet geschlafen, es war ganz still in der Nacht. Das Wetter ist schön, die Temperatur angenehm, die Luft frisch. Wir brechen schon um 07:30 auf. Unser nächster Fixpunkt ist 09:40, da müssen wir am Bahnhof sein. Bis dann haben wir Zeit, das auf heute Verschobene anzuschauen. Zuerst geht es zur Sommerresidenz des letzten Kaisers Bao Dai, die 1933 erbaut wurde. Wir ziehen bereitgestellte Stoffsäcke über unsere Schuhe und schlurfen durch die Zimmer, treffen auf eine vietnamesische Familie, die hier in den Ferien weilt. Sie wollen unbedingt ein Foto mit uns machen, aber die Speicherkarte ist voll. Da löschen sie nach kurzer interner Familiendiskussion kurzerhand ein Bild. Das Haus ist nett, aber nicht zwingend sehenswert, sehr schön angelegt ist hingegen der Park darum herum.




Auf dem Parkplatz wird Thinky eine Strassenkarte angeboten; Mädchen, hier solltest du mit einer Weltkarte beginnen!;-)
Weiter zum Crazy-House (Hang Nga Gasthaus), das seinem Namen alle Ehre macht: eine Hotelanlage, die von der Besitzerin im Stil von Gaudì seit 1990 erbaut wird, und wohl auch nie fertig ist. Das, was schon steht, sieht wirklich Klasse aus!




Jedes Detail ist mit Liebe gestaltet, alles Massanfertigungen, keine Ecken, witzig gemachte Treppen.




Jedes Zimmer ist völlig individuell. Hier hätte ich gerne übernachtet!




Vorbei am schönen Xuan Huong See – für einen Aufenthalt reicht die Zeit nicht – mit seinen Schwan-Pedalos und den kleinen romantischen Pavillons am Ufer, erreichen wir für einen Kurzbesuch den Blumengarten mit seinen liebevoll gepflegten Beeten. Hier gibt es auch ein Orchideenhaus, wenn auch kein grosses.




Jetzt fehlt noch die Linh Son Pagode, aber M meint, wir könnten stattdessen eine ganz spezielle am Endpunkt unserer Zugfahrt besuchen.
Pünktlich sind wir am Bahnhof. Während M sich um die Tickets kümmert, schauen wir uns die wunderschönen Bonsais am Eingang an.






Der Zug, eine Diesellok mit 2 Wagen, steht schon bereit. (Die Dampflok ist nur noch Anschauungsobjekt). Wir sind die einzigen Passagiere, deshalb werden die 2 Wagen kurzerhand abgehängt und wir Vier – T kommt auch mit, das Züglein fährt ja – dürfen uns auf die Polstersessel und das Sofa (!) in der Lok setzen. Ein chinesisches Schach gibt es da auch, und M und T beginnen gleich mit einer Partie. Im Schritttempo geht es raus aus Dalat,




dann durch Gemüse- und Blumenfelder, die zT. in Terrassen angelegt sind, ins 17 km entfernte Trai Mat.


Hausbau in Vietnam


Vietnamesische Häuser sind typischer Weise sehr schmal und wirken deshalb auch schnell mal recht hoch. Es kommt häufig vor, dass zwei von ihnen unmittelbar aneinander kleben – und links und rechts noch freier Raum ist. Meistens dürften diese Häuser pro Stockwerk nur ein Zimmer haben, und nur vorne, allenfalls selten noch hinten ein Fenster. Auch verputzt sind sie nicht unbedingt, allerdings zur Strasse hin ganz sicher schon. Der (Augen)Schein ist wichtig. Und stehen zwei Häuser neben einander, oder eben aneinander, dann ist sofort ersichtlich, welches das neuere ist. Das Höhere. Immer.




Wir haben denn auch auf unserer ganzen Reise kaum einmal eine solche Häuserzeile angetroffen, bei denen zwei Parteien genau gleich gross gebaut hätten. Und das kommt jeweils so:
M. hat, wie schon erzählt, längere Zeit in Ostdeutschland gelebt und sich dabei einen gesunden Realismus angewöhnt, wie wir finden. Seine Frau hat er da kennen gelernt, mit ihr ist er zurück gekehrt, und für sich, vor allem aber für sie hat er auch ein Haus gebaut. An ihren im innersten fest geschriebenen Status-Ansprüchen kommt er nicht vorbei. Er wollte sein Haus genau gleich hoch bauen wie das des Nachbarn, das schon da stand. Aber nix da. Frau läuft Amok. Er ist es ihr schuldig, und für die Familie muss aller Welt gezeigt werden, dass man es “vermag”, höher als der Nachbar zu bauen. Und sei es nur, dass man einen Giebel drauf pappt zur Zierde. Die Demonstration aber muss sein. Sonst hängt der Hausfrieden schief. M. legt derweil auf etwas ganz anderes wert, mal abgesehen davon, dass er Frauchens Ego selbstverständlich Folge geleistet hat: M. sorgte für zwei hohe TV-Antennen. Der Empfang über die Luft ist gratis – und um so besser, je höher und freier die Antenne steht. Und zwei Antennen braucht es, weil der Haushalt zwingend zwei Fernseher braucht. Einen für die Frau für alle komischen Herz-Schmerz-Programme, und einen für den Mann – und damit für Fussball. Es gibt einfach nichts Wichtigeres. Die europäische Champions-League ist ein Strassenfeger und ein Wirtschaftshemmnis: Die Spiele werden um zwei Uhr nachts live übertragen – und danach geht niemand am Morgen pünktlich arbeiten. Die Vietnamesen sind total verrückt auf Fussball. Im Resultatteil einer Sportzeitung habe ich – ohne Witz – die Resultate der U-17-Mannschaften der englischen Premier-League-Clubs nachlesen können. Ich vermute mal, selbst der zweite Co-Trainer des FC Basel wird in Vietnam mindestens einmal alle 14 Tage in einem Sportteil erwähnt. Diese Begeisterung und Fähigkeit, alles Wichtige daneben unwichtig werden zu lassen, ist vielleicht auch der Grund, dass die Männer ihren Frauen klaglos noch ein bisschen mehr Backsteine auf die ursprünglich vorgesehene Dachkante packen.
Nicht auszudenken, was los ist, wenn der Nachbar plötzlich zu mehr Geld oder einem Darlehen kommt – und um ein Stockwerk erhöht…