Reflexionen

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Vietnam: Tempel Lady Xu und Vogelparadies Bang Lang

∞  30 Juni 2009, 06:50

Erlebt am 28. März 2009 auf dem Weg von Chau Doc nach Can Tho


[Karte: Strecke nach Can Tho und
Bilder: Album des Tages ]


Wir fahren zum Lady Xu-Tempel am Sam-Berg, dh. wir reihen uns in die Prozession dorthin ein. Jeder Vietnamese sollte mindestens einmal in seinem Leben, besser jedes Jahr einmal diesen Tempel besuchen. Entsprechend gross ist der Andrang, der Tempel ist auch rund um die Uhr geöffnet. Der Kult, die Glücksgöttin um die Erfüllung eines Wunsches zu bitten und ihr dann nach dessen Gewährung zu opfern, ist keiner Religion zugeordnet; er steht allen Menschen gleichermassen offen.




Die Unmengen an Opfergaben, die da Tag für Tag zusammenkommen, reichen von Räucherstäbchen, Blumen, Früchten, Reissäcken, gebratenen Schweinen und Hühnern, bis zu Jacken, Schmuck und Kronen für die Göttin. Die Lebensmittel werden nachher allesamt an Bedürftige verteilt, der Erlös aus den “getragenen” Jackestücken, die die Pilger erwerben, ebenfalls.
Die Atmosphäre ist unbeschreiblich. So viele Menschen und doch kein Gedränge. Jeder wartet geduldig, bis er vor der Göttin beten oder seine Gaben platzieren kann. Ganze Familien sind angereist, sitzen im Hof vor dem Tempel und essen miteinander.
Zwei Frauen möchten sich unbedingt mit mir fotografieren lassen. M erklärt mir, dass es für Leute vom Land etwas besonderes sei, sich mit Ausländern ablichten zu lassen; sie würden dann das Foto voller stolz im Dorf herumzeigen.
Eine alte Frau mit einem unheimlich lieben Gesicht winkt mich zu sich.




Auch sie möchte so ein Foto. 84 Jahre alt ist sie. Ich muss mich zu ihr herunterbücken, ich! Dabei bin ich doch nur 1.57m, aber sie ist bestimmt noch zehn cm kleiner.
Zu Fuss gehen wir die Strasse hinunter zur Tay An Pagoda. Die ist für mich von aussen etwas zu bunt, innen jedoch sehr stimmungsvoll.





Die buddhistischen Mönche haben in Vietnam braune oder schwarze Roben, keine safrangelben.
Wir essen in einem luftigen Restaurant zu Mittag, dennoch ist es sehr heiss. M bestellt für uns neben (viel zu) vielem Anderen auch ein Gericht aus Bittergurken, weil ich ihn heute morgen fragte, was das sei. Jetzt weiss ich es: sehr gewöhnungsbedürftig! Muss unheimlich gesund sein…

Für den Besuch des Vogelreservates Bang Lang organisiert M für uns Motorrad-Taxis, er fährt selber. (Normalerweise würde man mit einem Bötchen hinfahren, aber der Fluss ist jetzt in der Trockenzeit nur ein Rinnsal). Ich bekomme einen Army-Helm übergestülpt, der viel zu gross ist, aber trotzdem der Vorschrift genügt. Da geht es auch schon los. Während ich noch Ausschau nach einer Verkehrslücke halte, hat sich meine Fahrerin bereits eingefädelt, und weil wir gleich wieder links abbiegen müssen, auch schon die Spur gewechselt. Sie scheint das im Griff zu haben. Ihre einzige – unbegründete – Sorge ist, dass ich mich nicht genügend an ihr festhalte, denn wir sind mittlerweile auf einer leicht holprigen, schmalen Naturstrasse, erst durch eine Ansiedlung, dann durch Reisfelder, bis zu einer Ausguckplattform. Auf die hinauf führt eine Wendeltreppe, dann sind wir fast auf gleicher Höhe mit den Baumkronen. Und da sitzen sie auch schon: Kormorane, Seidenreiher und Kuhreiher mit braunen Köpfen, die sie nur während der Brutzeit haben.




Ausnehmend schöne Vögel sind das, und sie scheinen gar keine Angst zu haben. Vereinzelte haben Junge, die sie eifrig füttern. Wir sind ihnen ganz nah.




Auf dem Rückweg ziehe ich den Helm über mein Hütchen an, so passt er besser. T kann sich sein Grinsen kaum verkneifen, als er mich sieht.
Hat richtig Spass gemacht!
Eine gute Stunde noch bis Can Tho.


Vietnams rollende Strassen


Wo auch immer wir unterwegs sind: Es herrscht reger Verkehr. Sitzt man selbst im Auto, ist es eine Art Road Movie, beobachtet aus sicherer Warte:
Staunend lernen wir, dass die Möglichkeiten, Waren und Tiere auf Rollern und Fahrrädern zu transportieren, einfach unbegrenzt sind.




Der Verkehr ist intensiv, wirkt aber nicht so bedrohlich wie in anderen Ländern Asiens: Es gibt weniger echten Schwerverkehr, auch Autos sind für viele Vietnamesen praktisch unerschwinglich, da die Steuern dafür fast so hoch sind wie der Anschaffungswert. Die Strassenbilder werden von Fahrrädern und vor allem von Rollern und Kleinmotorrädern bestimmt. Vietnam hat mehr als 80 Mio Einwohner – und zählt 26 Mio registrierte Roller. Der Fahrstil ist dabei stets “dynamisch”, d.h. ohne Lichtsignal ist es unter jeder Würde, seinen fahrbaren Untersatz zum Stillstand kommen zu lassen.
Das kann auch für einen Vietnamesen, der ein paar Jahre in der DDR gelebt hat, zum Problem werden, wie uns M. erzählt. M. hatte sich in Deutschland in eine Vietnamesin verliebt, und zurück in Vietnam war es Zeit, seine zukünftige Frau der Familie vorzustellen. Also lieh er sich den Roller der Eltern, packte seine Frau auf den Sozius und machte sich auf, quer durch die Stadt, um seinen Onkel zu besuchen. M. hatte dabei so viel Mühe sich zu konzentrieren, zu orientieren und Zusammenstösse zu vermeiden, dass dem armen Kerl in Kürze ganz sturm im Kopf wurde.
An einer grossen Kreuzung war es dann so weit: Er tuschierte einen anderen Roller, sie stiegen ab, ein grosses Palaver setzte ein, die Frau war nahe am Nervenzusammenbruch. Schliesslich beruhigten sich die Gemüter, M. stieg wieder auf sein Höllengefährt und weiter ging’s. Endlich beim Onkel angekommen, atmete er durch, stieg ab, und musste seinem Onkel Recht geben:
Die zukünftige Frau M. war nicht da. Er war doch tatsächlich so von den Socken ob all der Aufregung, dass er ohne seine Frau weiter gefahren war… Mit der tatkräftigen Unterstützung der, natürlich per Roller, ausschwärmenden Familien-Armada seines Onkels wurde sie wieder gefunden – an besagter Kreuzung…
Es ist aber nicht so, dass die Vietnamesen als Hasardeure unterwegs wären. Die wichtigste Verkehrsregel ist, dass man mit Auge fährt – und mit Reaktionsvermögen. Eine Motorradfahrerprüfung gibt es auch – als theoretisches Examen mit einem praktischen Teil auf einem 20-Meter-Kurs im Innenhof einer Prüfbehörde…



Es reiht sich Dorf an Dorf, Haus an Haus. Unzählige Kanäle. Wir fahren auf guten Strassen. Ich habe mir die Gegend ländlicher vorgestellt, auch ärmer.
Mit M haben wir einen wahren Glückstreffer gelandet: Er weiss nicht nur viel über sein Land, er vermittelt es auch gut. Und was noch wichtiger ist: die Chemie stimmt, wir haben es richtig gut miteinander, erzählen auch private Dinge. Und erfahren dabei, dass er nur nebenberuflich Reiseleiter ist, im Hauptberuf arbeitet er in einer Exportfirma. Und ist in dieser Funktion jedes Jahr auf der Ambiente in Frankfurt. Wie Thinky. Es gibt Dinge, die man nicht versuchen sollte zu erklären.

Gegen 16:00 sind wir in Can Tho im Hotel. Im liebevoll angelegten Garten mache ich ein paar Makros. Eine Lotosknospe wird tatsächlich so, wie ich mir das vorstelle.




Im Zimmer verspeisen wir einige für uns bereitgestellte Früchte. Auch jetzt sehen wir auf den Mekong, aber durch Kokospalmen. Hier gibt es einen Gecko-Service: wenn man das Tierchen aus seinem Zimmer entfernt haben möchte, please deal no. 4. Ob man unter dieser Nummer wohl auch einen, oder besser gleich drei bestellen kann? Die armen Kerle würden aber wegen der AC sicher in die Kältestarre fallen.
Heute essen wir auf einer offenen Terrasse. Der leichte Wind und blasende Ventilatoren halten die meisten Mücken fern, und die braven Geckos kümmern sich um die restlichen. Das Menu ist auch hier eine Offenbarung, sie können zweifelsfrei auch europäisch kochen:


Warmes Auberginentürmchen mit Mozzarella: delikat
Kürbiscrèmesuppe mit Ingwer: Volltreffer, muss ich mir merken
Gemüsestrudel mit Safransauce und Reis: exquisit
Crêpe-Beutelchen mit Bananen auf Schokoladensauce: würdiger Abschluss


Als Verdauungsspaziergang gehen wir noch etwas die Uferpromenade auf und ab.


Zurück im Hotelzimmer, erkennen wir dieses nicht wieder. Da wurde inzwischen wortwörtlich aufgeräumt: Thinky vermisst seine Hosen und das Schlaf-T-Shirt; beides hängt jetzt im Kleiderschrank. Seine Sigg-Bottle steht nicht mehr auf dem Nachttisch (dort hat es jetzt hoteleigenes Wasser), sondern auf dem Sideboard, in einer Reihe mit seinem Antibrumm, dem Moleskine und den Schreibstiften. Dafür könnte man jetzt auf dem Salontisch wieder Tee trinken.
Das Hemd, das über dem Stuhl hing, findet er im 2. Schrank. Immerhin liegen seine Socken immer noch hinter dem Rucksack, was ihn ungemein erfreut.
Auf seinem Nachttisch befindet sich jetzt auch ein Laundrybag, wohl als Wink mit dem Zaunpfahl.
Merkwürdigerweise sind meine Sachen immer noch an genau dem Ort, wo ich sie gelassen habe.
Die Fürsorge wurde hier wohl etwas übertrieben. „Muss wohl ein Mami sein“, ist das Einzige, was Thinky dazu einfällt; da tut er mir fast schon ein wenig leid.
Ich habe noch nie in einem so aufgeräumten Hotelzimmer geschlafen.


Frau Hue schafft Ordnung


Auch diesmal ist, als wir nach dem Essen ins Zimmer zurück kommen, dieses für die Nacht nochmals hergerichtet worden. Auch diesmal fällt mir das nette Arrangement auf dem Kissen als erstes auf – dann aber staune ich nicht schlecht:
Meine Improvisation, das weisse T-Shirt mit dem auch nach der Handwäsche noch dreckigen Kragen zum Trocknen auf einen Bügel und diesen dann an die Vorhangstange zu hängen, hat das Zimmermädchen ganz offensichtlich begeistert: Mein zweites T-Shirt, das ich “ganz” gewaschen hatte, um es von den weissen Schweissflecken auf dem braunen Elefanten zu befreien, hängt nun nicht mehr im Bad, sondern auf einem zweiten Bügel an der Vorhangstange. Verspürte sie wohl ein Stück Subversion oder nahm sie dankbar eine Anregung zu etwas Subversion im Dienste des Kunden war, weil ihr vielleicht der dunkle schwere Vorhangstoff für ein Vierstern-Hotel auch etwas düster vorkam und sie auf diesem Weg einer möglichen Schimmelbildung ein wenig nachhelfen wollte?
Und wo ist dann meine Trinkflasche hingekommen? Und die Hose für morgen, die auf dem Bett lag, wie ich doch noch genau weiss? Und wo, zum Teufel, ist mein Rasierpinsel hin gekommen?
Alles findet sich irgendwo fein aufgehängt, akurat ausgerichtet hingestellt oder in den Schrank gehängt (z.B. mein Schlaf-Shirt), als wäre Mutter eben mal nach fünfundzwanzig Jahren wieder mal zum Aufräumen vorbei gekommen, so gut gemeint ist alles, aber durchwegs unpraktisch und für mich nicht logisch.
Immerhin, ich finde alles wieder. Die T-Shirts lasse ich an der Vorhangstange hängen, die Komposition finde ich klasse, auch wenn die Dinger auch so morgen nicht trocken sein werden. Frau Hue, wie ich die unbekannte Seele nenne, scheint das auch voraus zusehen und hat mir deswegen einen Laundry Bag aufs Bett gelegt, ganz unauffällig liegt es da unter dem Bestellformular für Breakfast per Roomservice. Immerhin hat sie es sich verkneifen können, das Formular für den Wäscheservice für mich schon vorab auszufüllen.
So behütet muss ich ja gut schlafen!