Reflexionen

In Wort und Bild gesehen, gedacht und gefühlt
Zum Betrachten, Nachdenken, Mitdenken, Vordenken
Mit Lebenslust ein Leben lang, mindestens


Vietnam: Nha Trang

∞  3 August 2009, 21:15

Erlebt am 2. April 2009


[ Die Bilder des Tages: Im Album ]


Wir frühstücken bei Regen auf der gedeckten Terrasse. Ein Kellner hat da eine Frage: Ob das Geld sei? Dabei hält er mir ein bunt bedrucktes Stück Papier in einer Plastikschutzhülle hin. Darauf steht „Notgeld der Stadt Zeulenroda“ und eine „50“, sowie eine Durchhalteparole, etwa mit dem Inhalt, dass die Zeit des Notgeldes bald vorbei sein werde, nicht aber die Not selbst, da müsse jeder selbst dazu beitragen, sowie ein Datum von 1921.

Dem Namen nach wird Zeulenroda irgendwo in Ostdeutschland zu finden sein, erkläre ich ihm, und dass der Schein wohl infolge Inflation oder Währungsreform ausgegeben wurde (der Geschichtsunterricht ist schon eine Weile her) zum Umtausch in neue Geldscheine. Das Ding habe keinen direkten Wert mehr, sei aber bestimmt ein Sammelstück, wenn es echt ist (was ich stark bezweifle, denn der Schein ist makellos, die Farben sehr kräftig). Ich dachte, er sei über meine Antwort sicher enttäuscht, aber nein, er strahlt richtig, denn er sammelt und tauscht Geldscheine und Münzen aus aller Welt. Mit der schriftlichen Uebersetzung der Durchhalteparole auf Englisch ist sein Tag definitiv gerettet.

Ob all dem habe ich komplett vergessen, dass ich vor der Abfahrt nochmals ins Zimmer wollte. M wartet schon, und ich muss noch die richtigen Schuhe anziehen und den Regenschirm fassen. Heute starten wir deshalb mit 10 Minuten Verspätung, dafür hat es jetzt aufgehört zu regnen.

Der 24m hohe Buddha (!)der Long Son Pagoda thront auf einer Lotosblüte und ist von weit her sichtbar. Wir besuchen zuerst den Tempel,




dann machen wir uns an den Aufstieg. Es ist schon wieder drückend heiss, und somit ist das eine schweisstreibende Angelegenheit. Beim ca. zwanzig Meter langen liegenden Buddha gibt es eine willkommene Verschnaufpause.




So friedlich und still ist es hier!

Beim Tempelchen mit der Wunschglocke halten wir nochmals inne, dann sind wir endlich oben, stehen direkt unter ihm. In strahlendem Weiss und mit ewigem Lächeln sitzt er da,




die Lider halbgeschlossen; dadurch habe ich das Gefühl, als würde er direkt auf mich hinunterschauen.




Ich spüre die Ruhe, die Harmonie und die Kraft, die von ihm ausgehen.




Die Wolken tragen das ihre zu der eigenartigen Stimmung bei.

Im Sockel befindet sich ein Tempel, aussen sind Gedenktafeln für die Mönche und Nonnen, die sich während des Diem-Regimes öffentlich verbrannten, um so gegen die Unterdrückung des Buddhismus zu kämpfen.

An einer langen Reihe von zivilen und Mönchs-Urnengräbern vorbei machen wir uns auf den Rückweg.

Eines der am besten erhaltenen Cham-Heiligtümer Vietnams ist Po Nagar, errichtet zwischen dem 7. und 12. Jh. auf einem Hügel. Die massigen Säulen am Fuss sind die Ueberreste des königlichen Meditationssaales, und von den ursprünglich zehn Türmen stehen noch vier.




Ueber dem Eingang des Hauptturmes tanzt Shiva, im Innern wird seine Frau, die Göttin Uma verehrt und von Räucherwerkschwaden umhüllt.




Im Turm hat es nur wenig Platz, deshalb ist M draussen geblieben und hat unsere ausgezogenen Schuhe ans Trockene gebracht: es regnet wieder und ist dadurch kühler geworden, oder sagen wir, weniger heiss. Wir spannen unsere Knirpse auf und schauen uns den Rest an. Die Fotos vom herrlichen Blick über den Fischerhafen mit seinen blauen Booten und auf die Mini-Insel eines Mönches, der diese trockenen Fusses bei Ebbe verlassen kann, haben wir zum Glück vorher schon gemacht. Leider haben wir heute einen generell eher grauen Tag.

Auch in Nha Trang gibt es einen Markt. Nachdem ich mit der Sabodin-Frucht (schmeckt am ehesten wie eine Mischung von Kiwi und Birne) gute Erfahrungen gemacht habe, zeigt mir M heute die Milchfrucht. Ich darf probieren, sie schmeckt ausgezeichnet, ähnlich wie Chirimoya, hat auch ähnliche Kerne. Ich nehme drei davon.

Bekannt ist der Markt aber wegen der „schlimmen Flaschen“, wie M sie nennt: in Alkohol eingelegte Schlangen, Geckos, Seepferdchen mit Ginseng und wohl noch anderem, was ich gar nicht wissen will, und als Schnaps getrunken wird.




Ansonsten gibt es allerlei gleiches und anderes exotisches Getier, aber nicht lebend, sondern getrocknet.




Die Zeltplanen halten den Regen gut ab, sodass wir uns alles ohne Schirm und Eile anschauen können, auch die Non-Food-Abteilung.






Jetzt fahren wir zum Hafen, wo neben den grossen Meerschiffen auch kleine Fischkutter ankern. Eigentlich möchten wir vor allem die Rundboote sehen, die in Nha Trang „erfunden“ wurden: Bambuskörbe mit einem Ruder, in denen bis zu acht Personen (Vietnamesen, nicht Europäer) Platz finden. Es gibt wieder eine Regenpause, …




und tatsächlich besteigt ein alter Mann so ein Ding, um drei Kanister zu transportieren.






Ueberall in Vietnam gibt es Schilder auf denen “Hot Toc“ steht. M fragte uns einmal im Auto, was wir glauben würden, sei damit gemeint. Ich war der Meinung, das sei die vietnamesische Schreibweise des Würstchens im Brot, aber das war falsch. Es wird doch nicht etwa „heisser Hund“ in Sauce oder so damit gemeint sein? Nein, auch nicht. Ein Hot Toc ist ein Friseur, genau gesagt, einer für Männer. So kamen wir darauf, dass für Thinky der Besuch eines solchen gar nicht schlecht wäre, und auch T fand es für sich an der Zeit. Normalerweise arbeiten die Friseure auch hier in einem Laden, aber es gibt auch solche, die dies an der Strasse tun – Schwarzarbeit, (d.h. vor allem auch ohne die Abgabe einer Lizenzgebühr). Wenn die Polizei in einer Art Alibiübung auftaucht, verschwinden sie ganz schnell, während ihre Kunden mit Umhang und schlimmstenfalls halbrasiert oder mit “Teilhaarschnitt” auf der Strasse stehen bleiben. Ist die Polizei in einer halben Stunde wieder weg, kommen auch die Figaros wieder, hängen die Spiegel auf und laden den Stuhl und die übrigen Utensilien wieder vom Moped oder Fahrrad, und weiter geht’s.

Bei Regen sind Polizeikontrollen unwahrscheinlich, sodass jetzt der ideale Zeitpunkt für so einen Friseurbesuch gekommen ist. T kurvt ein wenig durch die Strassen, bis wir die fliegenden Hot Tocs entdecken: Vier, alle schön nebeneinander. M prophezeit, dass diese sich nicht wenig wundern würden, wenn sie Kundschaft bekämen, die aus einem Auto steigt. Er hat recht: der, vor dem wir halten, isst gerade die Nudeln aus seiner Suppe, und die Stäbchen bleiben in der Luft zwischen Schale und Mund stehen. Da er kein Englisch spricht, erklärt ihm M, dass bei Thinky einfach alles kurz werden muss. Der setzt sich hin,




und schon geht es los, unter einem Sonnenschirm, der jetzt ein Regenschirm ist. Haare einsprühen, schneiden. Richtig virtuos geht er mit der Schere um, legt die Ohren frei, rasiert den Nacken. Er arbeitet schnell und präzise, aber ohne Hektik.




Zu all den schwarzen Haaren auf dem Boden gesellen sich immer mehr und mehr friedhofsblonde. Nach zwanzig Minuten hat Think eine Top-Frisur, aber jetzt kommt noch die Rasur. Einseifen, neue Klinge ins Messer einsetzen, rasieren, wobei der Meister immer mit der linken Hand die Haut spannt. Wo der Mann überall Haare findet! Selbst den Flaum auf den Ohren entfernt er, der Schnauz wird gestutzt. Alles ohne einen einzigen Kratzer, innert gut zehn Minuten. Dann gibt es noch eine kurze Gesichtsmassage und Thinky darf sich im Spiegel bewundern. Perfekt!




Mit drei USD bezahlt er einen Touristenpreis, aber den hat sich der Mann redlich verdient; er hat schliesslich nicht jeden Tag einen Kunden, der nicht nur aus einem Auto mit Chauffeur steigt, sondern auch noch einen Übersetzer und eine Fotografin mitbringt.

T ist schon fertig, wir können fahren, und der Friseur schaut uns unter dem Sonnenschirm nach, so, als könnte er es immer noch nicht recht glauben.

Es ist kurz vor 13:00, und da wir morgen schon um 04:45 abgeholt werden, wollen wir den Nachmittag im Hotel verbringen. Wir müssen alles “bahntauglich” verpacken, und das Wetter ist immer noch sehr wechselhaft. Zudem lassen sich die verschiedenen Stimmungen von unserem Zimmer aus bestens beobachten , noch schöner in der Bar im 11. Stock, die hier durchaus familientauglich ist.

Wir wollen früh zu Bett und machen uns um 18:00 auf zum Nachtessen. Es gibt im Hotel ein vietnamesisches, japanisches und ein “internationales” Restaurant. Eigentlich wollten wir erst einmal die verschiedenen Angebote studieren, bleiben aber gleich beim ersten hängen. Das vietnamesische preist ein Mehrgangmenu an, und bei jedem Gang kann man aus verschiedenen Vorschlägen auswählen, etwas Vegetarisches ist immer dabei. Wir sind die ersten Gäste und bleiben die einzigen; am Essen kann es nicht liegen, das ist ausgezeichnet, aber die Saison neigt sich dem Ende entgegen. Der aufmerksame Kellner empfiehlt uns „sein“ Restaurant auch für morgen Abend, aber wir müssen ihm leider einen Korb geben. Er ist untröstlich, wir auch ein bisschen.


Die Wertschätzung für einen Strassenfigaro und andere Meister


Was mag sich der junge, hübsche Mann mit den sanften, so intelligent blickenden Augen und den geschickten Händen gedacht denken, wenn ich mich bei ihm auf den Stuhl setze? Ganz offensichtlich versteht er sein Handwerk sehr gut. Wie ich ihn am Ende so dastehen sehe, am Strassenrand, mache ich ihn zumSymbol für so viele Menschen, welche ihre Talente nicht wirklich zur Entfaltung bringen können.
Und schon diese scheinbar gut gemeinte Regung zeigt mir meine Überheblichkeit: Es ist auch gut möglich, dass dieser Mann gar mehr Berufsstolz besitzt als ich und eine Lebenszufriedenheit, die der meinen voraus ist. Wie will ich das beurteilen können?
So, wie wir Weissen uns in diesen Ländern bewegen, sind wir wirklich der Fleisch gewordene Anstoss zur Frage: Was haben wir mit unseren Ansprüchen in diesen Ländern verloren? Wir bewegen uns so ungeschickt, massig, auf grossen, platten Füssen, mit ungelenken Hüften und in schwitzenden Körpern, plump und grob, ungelenk und in allem eigentlich der Natur beweisend, dass wir hier nicht hin gehören.
Und dann fällt mir auf, wie die Einheimischen uns beobachten, denke erst, wie komisch sie mich finden müssen, wenn ich durch ihre Märkte stapfe. Und doch kommt erst danach meist der Moment, wo mir wirklich unwohl wird: Wenn ich realisiere, dass die Beobachter nach dem suchen, was mich über sie stellt. Denn auch hier imitiert man in vielen Dingen den westlichen Lebensstil, adaptiert Styles und Mode aus dem Westen. Und allein die Tatsache, dass ich hier auf diesem Markt bin, beweist meinen offensichtlichen Reichtum. Ich bin ihnen voraus. In ihren Augen habe ich viele Dinge richtig gemacht.
Es hat keinen Sinn, dies gegenüber irgend jemandem vor Ort relativieren zu wollen. Über mich zu reden, ist nicht der richtige Weg, und zu versichern, dass die inneren Werte zählen, währe überheblich. Ich tue es immer weniger und versuche stattdessen, mit meinem Interesse und den Fragen nach deren Leben Wege zu finden, meine Wertschätzung auszudrücken.
Im Moment des finalen Schnitts, unter dem Eindruck dieser wunderbaren Serviceleistung, bedauere ich wieder einmal zutiefst, dass ich es häufig versäume, Lob, Wertschätzung und Dank über den Guide und Übersetzer an die Menschen zu bringen: Zum Beispiel heute. Ich hätte M. bitten müssen, dem Meister zu sagen, wie gut er seine Arbeit macht – und dass ich glaube, dass in Europa mancher Berufsmann weniger Wissen hat als er. Aber ich habe mich mit Gesten begnügt und ein paar Brocken englisch gespendet. Ein bisschen mager, finde ich. Bis mir dann Thinkabouts Wife in der Nachbetrachtung beim Essen zu bedenken gibt, dass das ja edel von mir sei, nach Ihrer Beobachtung aber falsch: Guides würden sehr oft befremdet sein ob dieses Wunsches und kaum richtig und vollständig übersetzen, weil sie sich selbst höher sehen ald die betroffene Berufsgruppe, und ihnen selbst ein solches Lob “nach unten” fremd wäre. Mit anderen Worten: Der Wirkung der eigenen Geste vertrauen. Es gibt diese positive Konversation auch nonverbal. Gerade Zeitgenossen wie mein feinfühliger Figaro wissen diese Art der Achtung ganz bestimmt für sich zu übersetzen.



Bild anklicken für grössere Ansicht
Bilder-Album des Tages: Hier