Reflexionen

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Vietnam: Danang, Marmorberge, Ankunft in Hoi An

∞  11 August 2009, 06:50

Erlebt am 3. April 2009, nachmittags


[Mehr Bilder im Album des Tages ab hier ]


Der Zug kommt pünktlich um 14:02 an, abgeholt werden wir von V, einer Frau, die heute für ihren Kollegen einspringt, der uns dann am 6.4. abholt.

Nach Rücksprache mit der Agentur fahren wir jetzt zu den Marmorbergen, dh., zu einem der fünf Kalksteinhügel, die aus der Ebene herauswachsen und die fünf Elemente Feuer, Wasser, Metall, Holz und Erde symbolisieren.
Der mit 106 m höchste ist der Thuy Son, das Symbol des Wassers. Er ist voller Höhlen und Grotten, mit buddhistischen Heiligtümern.

Wie der Name sagt, wird hier auch Marmor gebrochen, und zu allen möglichen Skulpturen verarbeitet, in den Strassen verkauft.



Zuerst geht es gut 200 Stufen von unterschiedlicher Höhe den Berg hinauf. Oh Gott! Es ist eigentlich gar nicht so heiss, etwa 30°, aber die Luftfeuchtigkeit ist enorm. Ich muss zweimal innehalten, dann bin auch ich oben, allerdings habe ich keinen trockenen Faden mehr am Leib.

Die Aussicht über die Ebene mit den anderen Bergen ist sehr schön.



Wir betreten eine Pagode, davor sitzt ein grosser Lachender Buddha mit dickem Bauch, flankiert von zwei wunderschönen Bonsais.




Im Tempel wird der Buddha der Barmherzigkeit verehrt.

Hier wären viele stille Plätze, wenn die gute Frau einmal den Mund halten könnte. Es ist nicht nur, dass sie spricht, sondern vor allem wie: ziemlich laut und mit übertriebener Mimik, die ihre Gesichtszüge regelmässig entgleisen lässt. Man könnte sie auch exaltiert nennen. Aber sie springt ja nur für ihren Kollegen ein, es besteht also noch Hoffnung für den Rest der Tour!

Dann gehen wir in die imposante, 35m hohe Huyen Khong Höhle, die Buddhisten, Hindus und Konfuzianern gleichermassen heilig ist.



Am Anfang sind noch einige Leute da, auf einmal sind wir nur noch zu Dritt, und dann lässt auch sie sich vom magischen Zauber dieser Stätte gefangen nehmen und wird kurz still.

Neben einer zweiten Pagoda steht eine wunderschöne siebenstöckige Stupa und ein grosser, weisser Buddha sitzt in einer Grotte. Ueberall Blumen und blühende Bäume, liebevoll gepflegt.




Ein guter Ort, ein herrlicher Berg!


Ein wenig aufgeregt


Die unmittelbar erste Kontaktperson auf einer Reise ist nun mal die Reiseführerin, der Fremdenführer. Da wir auf dieser Reise an mehreren Destinationen immer wieder neue örtliche Guides bekommen, erhält man sehr anschaulich demonstriert, wie gross der Einfluss dieser Betreuungsperson ist. Wobei dazu auch die Einsicht gehört, dass man gut daran tut, das seine dazu beizutragen, dass man gut mit einander klar kommt. Manchmal fällt das leichter, dann kann es aber auch schon mal schwieriger sein…
Exalta, ich nenne V. jetzt einfach mal so, sie möge mir verzeihen, holt uns am Bahnhof ab. Grosse Gesten, viel Brimborium, ein burschikoses Gehabe, das besser zu einem Teenager als zu einer Frau zwischen vierzig und fünfzig passen würde. Der Fahrer ist auch irgendwie da. Irgendwo. Ich schlängle mich mit unserem Gepäck durch die Menge, und genau so, wie ich mich durch die Menschen pflüge, so fühle ich mich: Irgendwie zwischen den Stühlen. Nicht mehr im Zug, aber auch nicht wirklich angekommen. Der Fahrer thront schon hinter dem Steuer, bevor ich überhaupt sein Gesicht richtig wahr genommen habe. Ich hasse es, die Augen meines Chauffeurs erst im Rückspiegel richtig studieren zu können. Der Herr Fahrer und Exalta haben sich irgendwie auf einen schnellen Transfer eingestellt. Da machen wir uns natürlich mit unserem Ansinnen unbeliebt. Wir wollen nämlich nicht einfach nach Hoi An gefahren werden, wir möchten die Marmorberge auf dem Weg dahin gleich besichtigen, da wir nicht einsehen wollen, warum wir morgen den Weg zurück fahren sollten. Sinnlos in der Gegend rum tuckern ist auch in Schwellenländern nicht angesagt.
Umständlich wird mit der Agentur telefoniert – und natürlich ist es möglich. Diese unerwartete Programmänderung erleichtert die weitere Annäherung zu unseren Guides nicht unbedingt. Und in der Tat scheint es, als käme mir fortan Exalta dauernd abhanden, auch wenn sie körperlich anwesend ist. Wenn. Dann spüre ich einen Stock im Rücken, der mich unsichtbar antreibt, selbst wenn es den ganz sicher nicht gibt und Exalta mal eben beim Marmorhauer zur Toilette muss und dann verschwunden bleibt. Uns folgt derweil ein Verkaufs-Wau-Wau durch den Shop, den wir wohl oder übel durchpflügen müssen, vobei an sehr vielen sehr schönen Arbeiten, für die wir aber überhaupt nicht käufig gestimmt sind, selbst wenn Marmor das Gewicht einer Feder hätte – und Exalta verschwunden bleibt.
Auch in dieser Lage winkt die Befreiung durch Selbstinitiative: Wir unterbrechen den Durchgang abrupt, machen kehrt und steuern dem Ausgang zu. Da finden wir Exalta dann auch beim Tee trinken. Mit breitem Lachen und bester Dinge, und das ist doch auch schön.
Der Aufstieg zum Marmorberg führt über viele unregelmässige Stufen, auf denen sie uns ihre Fitness beweist. Keine Sehenswürdigkeit, bei der sie nicht schon fast einen Schritt weiter ist, wenn wir nachgehechelt sind – es sei denn, sie interessiert sich für eine Aufnahme, die ich mache. Und so finden wir ganz langsam unseren eigenen Rhythmus, und diese absurde Hektik führt doch tatsächlich mitten in ein stilles, beeindruckendes Nichts: Mitten im 35m hohen Gewölbe von Huyen Khong sind wir, kurz bevor wir wieder die Treppen hoch steigen wollen, plötzlich ganz allein. Die plötzliche Stille ist so absurd, dass auch Exalta inne hält, still wird und plötzlich gar nirgends mehr hin will. Auch ich stehe nur da. Mache keine weitere Aufnahme.
Eine kleine Ewigkeit später kommen neue Touristen die Treppe runter, aber diese Momente sind bis heute in mir gespeichert.
Exaltas Hektik beruhte nicht nur auf dem engen Terminplan, sie ist ihrem Wesen eigen. Dass es ihr und mit ihr geschah, dieser Anwurf von Stille, stimmte mich sofort versöhnlich. Froh machen wir uns alle an den Abstieg. Im Auto erzählt sie uns, dass sie nur heute unsere Reiseleiterin ist. Irgendwie, denke ich, ist das schon gut so. Versöhnlich der Abschied, und meine besten Wünsche sind ehrlich und halten an.



Die nächsten drei Nächte werden wir im Palm Garden Resort verbringen, etwas ausserhalb von Hoi An, direkt am Strand, aber mit dreimaligem Shuttle-Bus in den Ort. Die Hotelanlage rühmt sich eines schönen Gartens (was zeifellos stimmt) und die Zimmer haben auch alle einen Balkon oder Sitzplatz, wahlweise auf die Beach oder den Garten. Ich habe letzteres gewählt.

Nun sind wir im 1. Stock des hintersten Gebäudes gelandet und von der schönen Gartenanlage sehen wir ein Stück Rasen, zwei Bambusbüsche, eine Hybiskushecke, deren Blüten vielleicht in einer Woche aufgehen, und die „Gärtnerei“, wo in den unterschiedlichsten Töpfen neue Pflanzen herangezogen und in ferner Zukunft bestimmt sehr hübsch sein werden.

Es ist nicht unbedingt das, was ich mir vorgestellt habe, und meilenweit von der Abbildung im Katalog entfernt.

Wir sind uns beide einig, dass uns ein erneuter Gang an die Reception ein besser gelegenes Zimmer einbringen würde, aber unser Gepäck ist alles schon hier, und es “stinkt uns”, nochmals durch die ganze Anlage zu pilgern, und schliesslich umzuziehen. Eigentlich wollen wir nur ins Bad und auf die Toilette, zudem habe ich richtig Hunger.

Wir sitzen im Hotelrestaurant mit Sicht auf die Beach, bestellen bei einem flappsigen Kellner beide dasselbe, erhalten alles nur einmal und dann eben noch einmal. Für mich ist das typisch Badeferienhotel, da badet der Service gerne mal mit.


English at it’s best


Also, mein Englisch ist ein “Schul-Englisch”, wie wir gerne sagen. Angelernt, nicht in der alltäglichen Praxis gefestigt und geschleift, aber ich komme damit durchs Leben, zumindest als Tourist, und ich wende es unbekümmert an, ohne Angst, Fehler zu machen. An diesem Abend begegne ich jemandem, der noch viel unbekümmerter mit seinen Sprachkenntnissen umgeht, und irgendwie passt dies zu seiner nassforschen Art, die er dabei an den Tag legt. Wüsste ich es nicht besser, so würde ich meinen, er setze die Zwischenakzente bewusst so, wie sie rüber kommen, aber ich erkenne natürlich, dass dies unfreiwillig geschieht. Der Kellner grinst mich sehr offen und direkt an, notiert die Bestellung und zieht von dannen. Im Nachhinein ist mir natürlich klar, dass, wenn man sich in Vietnam für Pizza entscheidet, die Bestrafung zwingend folgen muss: Er bringt die Pizza. Nicht die Pizzen. Also nur eine. Er hat ganz offensichtlich das Wort “twice” nicht verstanden, und “the same for me” auch nicht, da war er schon entschwunden. Da steht er nun mit einer Pizza für zwei Personen. Aber der Mann weiss sich zu helfen. Er teilt die Pizza mit meinem Messer in Achtelstücke und stellt sie in die Mitte, greift sich unsere Teller für die Brötchen, wischt sie ab und hat sie flugs zu Pizza-Häppchen-Tellern umfunktioniert. Der Lösungsansatz ist bestechend, und wir wiederholen ihn für Pizza Nummer zwei.
Als ich die später die Rechnung einen kleinen Moment kontrolliere und nicht sofort unterschreibe, gerät ihm sein Nachfragen zu einem rüpelhaften “What’s the matter with you?”. Erst bin ich perplex, aber mir wird auch auf Grund seines Gesichtsausdrucks schnell klar, dass er sich nur erkundigen will, ob ich eine Frage habe.
Verunglückt war auch sein Small Talk zu Beginn: “How many children you have? – Nobody? – Why?”
Wir müssen lachen. Uns fällt das nicht schwer. Wir sind die Frage gewohnt und haben damit, da wir unsere Kinderlosigkeit bewusst gewählt haben, keine Mühe, auch wenn wir wissen, dass wir damit in anderen Kulturen gar nicht verstanden werden können. Heute abend aber wird mir durch die unverblümte Direktheit des Kellners wieder einmal bewusst, dass die Frage, die wir einfach nur stereotyp empfinden (die Antwort darauf ist es auch), für Paare sehr quälend sein kann, die mit dieser Frage eine sehr schmerzvolle eigene Geschichte verbinden, an die sie in den Ferien auf anderen Kontinenten mit Garantie erinnert werden.



An einem Nebentisch sitzt ein koreanisches Ehepaar mit zwei kleinen Kindern, eine Schale Pommes frittes auf dem Tisch. Sie arbeitet auf ihrem Mini-Laptop, er hat praktisch ununterbrochen das Handy am Ohr.
Wir schlendern durch den Garten, wo inzwischen die Lampen und Laternen angezündet wurden und machen einen Besuch im Business-Center: alle PC’s sind frei. Ich checke meine Mails, rufe die News-Seite auf, lese ein paar Zeitungsartikel. Das scheint alles aus einer anderen Welt zu sein.

Im Zimmer trinken wir einen letzten Kaffee, wollen schlafen. Kaum haben wir das Licht gelöscht, vernehmen wir ein Nagegeräusch, das vom Dach her zu kommen scheint. Ich mag Mäuse, und es sieht auch nicht so aus, als ob der Nager in drei Tagen den Durchbruch schafft.

Dann höre ich Regentropfen am Fenster und das Rauschen des Meeres.