Reflexionen

In Wort und Bild gesehen, gedacht und gefühlt
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Mit Lebenslust ein Leben lang, mindestens


Ta Prohm, Pre Rup, Banteay Samre und Angkor Wat

∞  21 Mai 2009, 16:17

Erlebt am 21. März 2009 nachmittags


[ Bilder des Nachmittags ab HIER Karte: Ta Prohm, Pre Rup, Banteay Samre und Angkor Wat via wikivoyage.org ]

Kurz nach 12;00 sind alle Gruppen weg, und die übrigen Anwesenden verteilen sich recht gut in der Anlage. Es ist genau so, wie ich es mir vorgestellt habe: so was von eindrücklich! Riesige Wurzeln halten Mauern umklammert. Manchmal sieht es so aus, als ob sie darüber fliessen würden.

Die Bäume wachsen aus Dächern und kleinsten Ritzen, stellen ihre Sprengkraft mühelos unter Beweis. Die Natur demonstriert hier ihre Macht ohne die geringste Anstrengung. Es sind die Mauern, die ächzen und stöhnen.

Wir bleiben hier über eine Stunde, können uns gar nicht satt sehen. Eine Welt wie aus einem Fantasy-Film.

Zurück auf dem Parkplatz gehen wir mit T eine Kokosnuss trinken. Selbst er schwitzt.

Pre Rup hat wie Angkor Wat fünf Türme und drei Ebenen.


Eine steile Treppe führt nach oben. Für mich zu steil, und die Tritte zu hoch. Thinky macht sich an den Aufstieg, während ich den Tempel ebenerdig umrunde.

BEGEGNUNG MIT DER EINSAMKEIT


Die Treppe des Pre Rup ist so steil, dass ich das Gefühl habe, bei jedem Tritt “gleich in die Mauer zu laufen”. Zum Glück sind die Tritte nicht nur hoch, sondern auch tief genug, so dass die Sohlen immer sicheren Halt finden.






Die ganze Treppe ist zwar lang, aber nicht soo lang, dass ich nicht Luft und Gedanken anhalten und machen könnte, dass ich raufkomme. Und dann stehe ich keuchend auf der obersten Ebene und drehe mich um. Meine Knie zittern. Nicht nur wegen der Anstrengung. Ich bin alles andere als schwindelfrei. Was mache ich eigentlich hier oben? Mein Blick fällt der irrwitzig steilen Treppe entlang nach unten. Himmel…




Dabei habe ich mindestens einen Meter Platz zwischen mir und der Kante zur ersten Treppenstufe. Es hat noch ein paar Touristen ausser mir hier oben, aber wir sind ein versprengtes Grüppchen, und wer die Aussicht geniesst, dem dürften meine Probleme ziemlich egal sein.



Fragen Sie mich nicht, wie sie war, diese Aussicht. Sie war bestimmt toll. Aber ich habe sie wohl nicht wahrgenommen. Stattdessen trete ich von der Kante zurück und wende mich dem Bauwerk zu. Ich bin vielleicht kaum je auf einem mächtigeren Gesteinsquader gestanden als hier und jetzt, und vor mir steigen die Türme in den Himmel,

stoisch in einer Art, die ein bisschen Sehnsucht weckt, auch je eine solche Sicherheit zu kennen – während die Knie einfach nicht wollen, was ich will. Ich gehe wie auf Eiern, aber ich gehe – und bin vielleicht genau der Richtige, um ganz besonders hier die Utopie des Menschen zu fühlen, für die Ewigkeit bauen, überhaupt irgendetwas schaffen zu können, das zeitlos bliebe. Denn dieses mächtige Bauwerk zerfällt sichtlich und ist gerade deswegen so pittoresk (was für alle Anlagen rund um Siem Reap gilt). Ja, in dieser Deutlichkeit, mit der das sichtbar ist, liegt vielleicht die grösste Faszination überhaupt. Jede einzelne Mauer, jeder Felsvorsprung erzählt von Entstehung UND Verfall. Die geflochtenen Körbe, die ich immer wieder verlassen in den Anlagen stehend antreffe, und in denen Laub oder Abfall gesammelt wird, bilden dabei für mich das Sinnbild, wie der Mensch versucht, das Bestehende zu erhalten – verloren in einem Bemühen, das gegen die Zeit am Ende nichts auszurichten weiss.

Ich stelle mir vor, wie Gott uns in unserem Schaffen genau so liebevoll amusiert zusieht, wie wir ein Kind beobachten, das die Hausarbeit seiner Mutter imitiert. Was könnten wir denn Ehrfürchtigeres tun, als die Schönheit zu bewundern und zu pflegen, so lange sie zu erkennen ist? Wir sollten uns mit der Utopie der Ewigkeit in unserem weltlichen Streben nach Vollkommenheit nicht quälen.

Vollkommen aber ist in mir nur meine Schiss. Denn nun muss ich da wieder runter. Zuvor aber bleibe ich noch eine ganze Weile stehen. Ich kann in diesem Moment spüren, wie sich tiefe, Angst machende Einsamkeit anfühlen muss: Da unten, irgendwo, ist Thinkabout’s Wife, per Luftlinie ein paar Meter entfernt, aber gleichzeitig am Ende der Welt. Wenn soziale Netze brechen, wenn Beziehungen scheitern, dann mag sich genau dieses körperliche Gefühl einstellen: Wie es nur weiter gehen kann, ist klar, der Weg vorgezeichnet, man steht noch immer im Leben, aber nichts gibt Halt, im Ausblick sehe ich nur Bedrohung und niemand soll mir sagen, das hier wäre ein Klacks und ich müsste nur Schritt für Schritt nehmen und unter mir wären Tonnen von Gestein. Nein, ich kann die Gravitation fühlen und könnte glauben, ich würde bestimmt in die Tiefe gezogen. Und die Weite vor mir ist nur ein bedrohliches (Luft-)Loch.

Herrschaft, ich bin wirklich ganz allein. Und dass ein paar Menschen um mich herum stehen oder schon auf der Treppe sind, macht es nur noch schlimmer…

Dann blende ich alles aus. Ich bin hoch gekommen, also geht’s auch wieder runter. Schritt für Schritt. Unterwegs treffe ich eine Dame, deren Körperhaltung mir sagt, dass sie das gleiche Problem hat. Wir lächeln uns aufmunternd an und ich gebe mir einen Ruck:

Wenn ich mir einbilden kann, ich täte etwas für andere, statt nur für mich selbst, fühlte ich mich schon immer besser in meiner Haut. Also gehe ich der Dame voraus – im Grunde aber schiebt sie mich auch unsichtbar vorwärts, und bald hat uns die Erde wieder. Und damit meine ich den Boden des Planeten, nicht so ein schwabbeliges Bauwerk, jawoll.

Kinder aus einem Waisenhaus verkaufen aus Palmblättern gebastelte kleine Fische und Vögel, die an einem Schnürchen hängen. Ich kann sie als Geschenk-Anhänger gebrauchen. Thinky bringt Fotos von oben mit, und wir setzen uns unter einen grossen Baum, die ganze Anlage im Blick, und machen Picknick.

Jetzt wollen wir zum Banteay Samre. Die Fahrt führt durch Dörfer und Reisfelder, und ich sehe endlich einen Wasserbüffel.

Auch zu dieser Anlage führt ein längerer Fussweg, und auch hier spielt ein Orchester, daneben werden schöne Messingfigürchen verkauft, darunter auch Elefanten. Wir möchten eigentlich nur einen haben, aber ganz untypisch verkauft man hier nur zwei für $3. Bis jetzt haben alle kleineren Sachen ausnahmslos $1 gekostet: die Kokosnüsse, die Dose Cola, zehn Postkarten, Armbändchen, Schlüsselanhänger etc.. Die kambodschanische Landeswährung, der Riel, ist praktisch nicht im Gebrauch, jedenfalls nicht für Touristen. ( 1$ entspricht ca. 4’100 Riel). Naja, dann nehmen wir eben zwei, einen mit Rüssel nach oben, einen mit Rüssel nach unten. Ist schliesslich für einen guten Zweck.

Die Anlage ist wunderschön.

Die einzelnen Gebäude innerhalb der Umfassungsmauer sind wie ineinander verschachtelt. Sie wurden zwar auch restauriert, aber auf sanfte Art und sind dabei sehr authentisch und lebendig geblieben.

Wir sind hier die einzigen Touristen und können uns alles völlig ungestört anschauen, in uns aufnehmen. Ein Mönch praktiziert in einem der Räume. Er nickt uns freundlich zu.

Hier wurden auch blühende Sträucher gepflanzt, darunter ein wunderbar riechender Frangipani und eine Bougainvillea, auf der ich einen kleinen Leguan entdecke.

Wir haben Zeit und nehmen sie uns. Vielleicht haben wir ja Glück, und es gibt heute einen schönen Sonnenuntergang. Das wäre so um ca. 18:00. Dafür treffen wir nach 16:00 wieder in Angkor Wat ein und setzen uns in ein Restaurant am Rand des Seerosenteiches. Hier stehen Bäume mit riesigen, ausladenden Kronen wie Schirmakazien, die wunderbaren Schatten spenden. Die ersten Fotofreaks haben ihre Stative bereits in Stellung gebracht, stehen und sitzen auf mitgebrachten Höckerchen, andere suchen noch nach den besten Plätzen.

Wir bestellen jetzt erst einmal Nudeln mit Gemüse und Spiegelei, sowie Kokosnüsse. Die haben bei mir Suchtfaktor. Das Essen ist ausgezeichnet, ich bekomme auch noch etwas zusätzliche Chilischoten. Die Temperatur ist erträglich. Wir erhalten „Besuch“ von einer alten Frau: Sie will mir ein T-Shirt verkaufen mit den aufgedruckten Khmer-Vokalen. Es sieht nett aus, ist meine Grösse, eine gute Qualität, brauchen tue ich es nicht. Aber die Frau tut mir leid. Nur 3$ will sie dafür haben. Sie strahlt in ihrer Armut soviel Würde aus. Ich kaufe das T-Shirt und biete ihr noch die Kokosnuss an, hoffend, dass ich sie damit nicht beleidige. Nein, sie nimmt sie gerne. Mit aneinandergelegten Händen verbeugt sie sich so tief, dass es mir peinlich ist.

Thinky kauft auch eines.

Etwas später kommen zwei Kinder mit einem trommelartigen Instrumentchen: Da ist es wieder, das „only one dollar, madame“, wobei das „madame“ konsequent französisch ausgesprochen wird. Das Instrument muss natürlich demonstriert werden, sonst kauft es eh keiner, und das ist laut, zu laut. Und geht schnell auf die Nerven. Ich will es nicht kaufen, sie wollen nicht verschwinden. Thinky nimmt es und legt es auf die andere Seite des Tisches, zur Abholung. Das scheinen sie zu kapieren. Flöten sind übrigens auch im Angebot. Und Fotobücher.



SOUVENIRVERKÄUFER SIND AUCH MENSCHEN

Eigentlich wissen wir das ja alle. Dennoch nimmt man sie als Tourist in der Fremde gerne in erster Linie als Störefriede wahr. Sei können ja auch hartnäckig sein, und dass es oft Kinder sind, macht die Sache auch nicht einfacher, mag man sich doch durchaus unbehaglich dabei fühlen, so im Fokus eines jungen Lebens zu stehen, das doch vor allem Schule und Spielen kennen sollte (Achtung: Niemand sagt, dass diese Kinder gar nicht in die Schule gehen).

Gerade im Kontakt mit diesen Kindern kann ich jeweils sehr leicht erfahren, wie ich im Moment gerade selbst geerdet bin: Bin ich nicht auch vielleicht abwehrend, weil ich mich fremd fühle? Ist mein Denken gerecht, wenn ich auch abwehre, weil ich mich daran störe, dass nur mein Geldsäckel zählt?

Es ist im Grunde ganz einfach: Wenn ich einen oder zwei Schritte auf die Menschen zugehe, werden sie selbst sehr menschlich für mich. Hier, unter diesen schattigen Bäumen, mit viel Zeit und innerem Frieden, voller Dankbarkeit, an einem solchen Ort sein zu dürfen, gelingt uns das sehr gut. Wir sprechen einen Jungen an, der ein Buch über Angkor verkaufen will. Und schliesslich schaut meine Liebste mit ihm das Buch durch. Es ist längst klar, dass sie es nicht kaufen wird, aber der Junge blättert weiter, als würde er selbst zum ersten Mal die Bilder richtig betrachten. Und der stille Ernst, der aus ihm spricht, lässt mich lächeln.

Ich habe mir – für meine guten, gelassenen Momente in der Fremde – einenTrick zugelegt: Ruhig einmal ein paar Sätze in meiner eigenen Sprache an das Kind, den Menschen richten, es wirklich anschauen und auf etwas ansprechen, das ich ganz bewusst NEBEN den angebotenen Postkarten entdecken kann. Es wird sofort Neugier geweckt, und plötzlich ist es hell geworden, und das Lachen ist herzhaft.

Es sind glückliche Momente, hier in Angkor Wat, wo das wirklich Lebendige die Natur des Lichts und die Menschen sind, die von uns Besuchern leben. Übrigens: Das Nudelgericht war absolute Spitze!

Langsam wird es auch für uns Zeit, um an den Teich zu gehen. Ein Stativ haben wir nicht mit, das muss auch so gehen.

Thinky fotografiert den Sonnenuntergang, der auf den Bildern besser aussieht, als in Natur, auch ohne Bearbeitung. Ich konzentriere mich auf das Darumherum: die Mönche, die sich in ihren orangen Roben mit Touristen fotografieren lassen.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass es sich dabei um Statisten handelt. Und dann die Tempeltänzerinnen, die plötzlich auftauchen und mehr miss- als anmutig auf mich wirken und auch noch Geld für ein Foto wollen. Für was so ein Zoom nicht alles gut sein kann;-).

Auf Pferdchen kann man um den Teich reiten, und einen Fesselballon gibt es auch, der meinen ersten Eindruck von diesem Ort endgültig abrundet.

Um 18:20 – es ist noch nicht dunkel – erscheinen die Wächter und drängen die Touristen aus der Anlage. Der Tempel wird jetzt beleuchtet, und dafür braucht man ein Zusatzticket. Was in manchen Prospekten als „spektakulär“ angepriesen wird, ist einfach nur kitschig: rot, blau, grün, gelb, weiss, so wechselt Angkor Wat jetzt minütlich seine Farbe und hat dabei seine Seele für immer verloren.

Mittlerweile ist es stockdunkel. T erwartet uns gleich am Eingang des Parkplatzes und wir fahren durch die Nacht zurück zur Villa. Im Gegensatz zu einigen andern Verkehrsteilnehmern hat unser Tuki Licht.

Thomas lag den ganzen Tag flach: Durchfall, und wie. Ich biete ihm Elotranslösung an, einen Stopper haben sie selbst. Die habe ich immer mit, aber noch nie selbst gebraucht. Morgen früh fahren sie mit dem Taxi nach Bangkok, das dauert gut zehn Stunden.

Das war ein langer Tag.


THEORIE UND PRAXIS

Es sind keine 48 Stunden her, da haben die Damen und Herren Weltenbummler beistimmend in die Runde genickt, als jemand meinte, man müsse in fremden Ländern neugierig sein und insbesondere auch das Essen probieren. Dem scheuen Einwand, dass es dabei Grenzen gäbe, die einzuhalten ganz vernünftig wäre, wurde nur ein nachsichtiges Stirnrunzeln geschenkt. Nun gebe ich ja gerne zu, dass wir relativ rigoros sind in unseren Regeln: Wir essen keine ungekochten Speisen und nicht mal schon geschält servierte Früchte. Und auch eine Garküche kocht nicht alles so gar, dass es zu empfehlen wäre. I

Und sonst, hielt man uns entgegen, hat man halt ein bisschen Durchfall. “Das vergeht wieder”.

Nun hängt Thomas im Stuhl. Ich empfinde keine Schadenfreude. Es ist alles andere als ein Vergnügen, “das bisschen Durchfall” bei über 35 Grad und hoher Luftfeuchtigkeit einfach so weg zu stecken – und auf Reisen schon gar nicht.

Im Grunde habe ich mich über mich selbst geärgert: Wir waren auch diesmal jene, die zu helfen wussten und “was dabei hatten”. Und doch lasse ich mich vom souveränen Gehabe lockerer Globetrotterrunden immer wieder ins Bockshorn jagen und frage mich dann im Stillen, ob ich es nicht doch etwas zu eng sehe?

Jeder, wie er es braucht: Nur Glück war es wohl auch nicht, dass wir selbst in fünfundzwanzig Jahren Fernreisen nie durch einen “richtigen” Durchfall eingeschränkt wurden. Aber Glück braucht es auch.