Reflexionen

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Siem Reap: Roluos-Gruppe

∞  14 Mai 2009, 16:55

Erlebt am 19. März 2009

Mit Michael, dem Besitzer, bespreche ich die geplanten Touren, die ich hauptsächlich anhand der Wiki-Voyage-Seiten zusammengestellt habe. An dieser Stelle ganz herzlichen Dank an Stefan Fussan, den Fussi, wie er genannt wird, der die Seiten gestaltet und ausgezeichnete Karten erstellt hat. Michael gibt mir nun wertvolle Tipps, wie die Besucherströme umgangen werden können, und um 13:00 starten wir zur ersten Erkundungstour. (Dem Jetlag begegnen wir immer auf diese Weise: sofort auf örtliche Zeit um- und einstellen, ja nicht zur Unzeit schlafen, keinesfalls ausrechnen, wie lange man schon auf ist).

[Karte: Die Roluos-Gruppe via wikivoyage.ort ]

Die Luftfeuchtigkeit ist hoch, der Himmel leicht bewölkt, etwa 30°, die natürliche Aircondition im Tuk-Tuk höchst willkommen. Zuerst müssen wir einen Mehrtagespass für 60US-$ kaufen, der zum Eintritt in sämtliche Tempel berechtigt, dann fährt uns T zur 13 km östlich gelegenen Roluos-Gruppe, die aus drei Tempelkomplexen aus dem 9. Jh. besteht. Hier war einmal die Hauptstadt des Khmerreiches, die dann aufgrund astrologischer Erfordernisse im 12. Jh. aufgegeben wurde und nach Angkor umzog.

Zuerst steuern wir Lolei an, die kleinste der drei Anlagen. Sie besteht im Wesentlichen aus zwei Ziegel-Türmen in warmem Rotorange, dh., das ist das, was noch davon zu sehen ist, daneben steht ein Kloster modernen Ursprungs. Wunderbar ruhig ist es hier – wir sind die einzigen Touristen – und können uns alles genau anschauen, die Atmosphäre aufnehmen.

Der Preah Ko umfasst sechs Türme, die je nach Blickwinkel interessante Perspektiven bieten und wunderschöne Steinmetzarbeiten aufweisen. Davor liegen drei Nandi-Bullen, in ihrer altersbedingten Reduziertheit zeitlos schön. Die Anlage ist von herrlichen Bäumen umgeben, handtellergrosse Schmetterlinge fliegen vorbei.

Der Bakong ist der grösste Komplex, umgeben von einem Wassergraben. Hier treffen wir zum ersten Mal auf Andenkenverkäufer und Shop-Stände. Auf mein „no thank you“ folgt ein hoffnungsvolles „maybe when you come back“; damit bleiben sie zurück.

Wir überqueren den Wassergraben auf einem blumengesäumten Weg und gehen geradewegs auf den Hauptturm zu. Eine steile Treppe führt über vier Terrassen, an deren Ecken zT. noch Elefanten stehen, nach oben.

Auch hier kaum Touristen.

Die Nebengebäude wirken in ihrem Verfall rätselhaft.

Vom nahen Kloster geht ein Mönch in leuchtend safrangelber Kutte dem Graben entlang.

Mir ist, als sei ich schon Stunden hier, fühle mich zu Hause, so, wie ich es nur in Asien – meiner spirituellen Heimat – bin. Ich bin angekommen. Definitiv.

Wir laden T auf eine Cola in einem der Shops ein und kommen mit der Besitzerin ins Gespräch. Die junge Frau spricht ausgezeichnet Englisch und erzählt uns ganz freimütig, dass sie nicht heiraten und keine Kinder wolle, sondern lieber für ihre Mutter sorge, um dann später allein zu leben. T, bis anhin sehr zurückhaltend, beginnt auch von sich zu erzählen; wenn er ein englisches Wort nicht weiss, hilft ihm seine Landsfrau: Er hat unter dem Pol Pot Regime sehr viele Familienmitglieder verloren, darunter alle seine Geschwister. Er durfte keine Schule besuchen, da Bildung verpönt war.

(Hinweis: Weil ich mir bewusst bin, dass praktisch alle Menschen, mit denen wir im Laufe der Reise zusammentreffen, eine politische Vergangenheit haben, auf welcher Seite auch immer, möchte ich sie keinesfalls in Schwierigkeiten bringen; deshalb sind ihre Namen nur Initialen).

Der netten Frau möchte ich gerne etwas abkaufen, aber leider hat sie nichts, was ich brauchen könnte. So frage ich sie nach Bananen. Die hat sie zwar nicht da, kann sie aber organisieren. 1 $ will sie für 15 fingergrosse Stück und freut sich sehr, dass ich sie nehme.

T fährt uns zurück zur Queen-Villa, wo uns Dany, Michaels Frau, ein wunderbares süss-saures Gemüsegericht kocht und auf der Terrasse serviert. Wir lernen andere Gäste kennen, man duzt sich, die Atmosphäre ist völlig ungezwungen.

Rasch wird es dunkel, und die ersten Geckos erscheinen, darunter ein selten fettes Exemplar.

Um 20:00 gehen wir schlafen.

IN DIESER ANDEREN WELT SIND DIE TRÄUME DIE GLEICHEN


Ist Kambodscha ein Entwicklungsland? Hier vor Ort, im Gespräch mit der jungen L. im Shop, auf Plastikstühlen sitzend, die Füsse auf der nackten Erde ruhend, das plastifizierte Tischtuch vor mir, der Fotorucksack acht- und sorglos in eine Ecke gestellt, spielt das keine Rolle. Was interessiert, ist einzig die Frage: Wie sieht dein Leben aus und wie meisterst du es? Unser Driver spricht sehr wenig englisch, L. vom Shop erstaunlich gut. Die junge Frau ist überhaupt eine sehr gewiefte und gewandte Person, diensteifrig, aber nicht anbiedernd. Sie hat eindeutig mehr “auf dem Kasten”, als so mancher Mensch, den ich besser kenne. Und sie erzählt freimütig, wie sie selbst leben möchte in ihrem Land. Die Mutter versorgen? Ja. Aber daneben oder danach nicht unbedingt eigene Kinder haben. Selbstbestimmt leben. Mit uns sitzt für sie die Moderne am Tisch – aber wie viel leichter ist es für uns, so zu leben, wie wir es uns denken? Mögen wir den Verfall gesellschaftlicher Werte bedauern, so leidet L. ganz bestimmt an den vorgefassten Erwartungen, denen sie genügen muss, aber nicht will.

Auch T. beeindruckt mich: Sein Englisch ist höchst bruchstückhaft. Oft findet er die Worte nicht. Die Stille, die sich dann ausbreitet, ist quälend. Aber ganz offensichtlich viel mehr für mich als für ihn. Er zuckt vielleicht mit der Schulter – und versucht es dann nochmals. Das beeindruckt mich sehr. T. will Kontakt haben, will lernen, und er lässt nicht ab davon. Und wie wir erfahren oder bald leicht erahnen können, hat T. nicht unser Glück gehabt und sich in Schulen gelangweilt. Er hat gar keine besucht. Brüder hat er keine mehr. Die Roten Khmer hatten es geschafft, in gut zwei Jahren eine Mio. Menschen, einen Viertel der Bevölkerung, zu vernichten – und eine Stadt wie Phnom Penh vollständig auszuräumen. Die Intellektuellen fanden sich im Landdienst wieder… Pol Pot war ein glühender Verehrer Mao Tse Tungs. Die Bevölkerung liess er dafür deren ganz eigene Kulturrevolution erleben… T. ist am Leben geblieben, aber Schulen hat er keine besucht. Dennoch lernt er, und werde ich von ihm lernen. Und die ganze Zeit über werden wir auf seinem TukTuk keine einzige brenzlige Situation erleben, ja nicht mal ein auch nur leicht brüskes Bremsmanöver, so vorausschauend wird er uns fahren.

L. gefällt mir sehr. Ich wünsche ihr wirklich, dass sie einen Mann findet, der sie so Frau sein lässt, wie sie es sich wünscht. Zu zweit kann man sich eher gegen Konventionen stellen. Allerdings, fällt mir jetzt auf, hat sie von einem Mann gar nicht gesprochen… Mag sein, dass L. realistischer ist, als ich es je sein werde. Aber ich lebe auch in einem Land, in dem ich die meisten Sorgen, die sie haben mag, nie kennen lernen werde. Was längst nicht sicher stellt, dass mein Leben reicher ist als das ihre. Heute, hier und jetzt, haben wir uns gegenseitig gut getan – und wir fahren mit den von ihr besorgten Bananen dankbar “nach Hause”.





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