Reflexionen

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Saigon - Phuoc Hai Tu - Pagode, Fabrikbesichtigungen, Stadtspaziergang und eine Bar

∞  15 Juli 2009, 06:52

Erlebt am 30. März 2009


[ Alle Bilder zum Bericht: ab hier ]



Nun besuchen wir eine Lackwarenfabrik, in der Behinderte arbeiten. Sie leiden an den Spätfolgen u.a. von Agent Orange, einem dioxinhaltigen Entlaubungsmittel, das die Amerikaner während dem Krieg versprühten und die Böden damit kontaminierten. Dadurch wurde das Erbgut der Menschen verändert und Frauen bringen behinderte Kinder zur Welt.
Lackwarenherstellung ist ein unheimlich aufwendiger Prozess, bei dem bis zu 200 Schichten aufgetragen und wieder geschliffen werden. Nur in Vietnam werden sie mit Eierschalen-Intarsien hergestellt; bemalt oder mit Perlmutter sind sie auch anderswo zu finden.




Die Sachen, die hier produziert werden, sind unheimlich schön und reichen vom kleinsten Döschen bis zum Esstisch, von traditionell bis modern. Auch hier sieht man wirklich etwas von der Herstellung, es ist nicht nur eine Alibiübung zur Verkaufsförderung. Morgen werden wir darum eine Tasche mehr haben…
Als Abschluss der offiziellen Stadtrundfahrt wird es wieder mystisch, und wie! Wir sind in der 100jährigen taoistischen Jade-Kaiser-Pagode Phuoc Hai Tu. In verschiedenen, nur spärlich beleuchteten Räumen stehen grosse Pappmaschee-Statuen, die Gottheiten, Krieger und Generäle darstellen.




Weihrauch vermischt sich mit dem Rauch von Räucherstäbchen, kringelt sich gegen die Decke, von wo Streiflicht eindringt und dem Ganzen ein einmaliges Ambiente beschert. Nach und nach entdecke ich durch die Rauchschwaden hindurch neue Figuren, andere werden wieder verhüllt. Die Stimmung ist unbeschreiblich; es ist etwas da, ganz nah und doch unfassbar.




M will uns noch die Fabrik zeigen, für die er arbeitet. T steigt mit der Zeitung über dem Kopf zwar aus (es ist sonnig bei 39°), sieht aber den Sinn der Tour nicht ein. Er findet die Arbeiterinnen schöner als die Produkte und flüchtet wieder in den Wagen.



Wir sehen zu, wie die Artikel aus Wasserhyazinthen geflochten werden, die auch in der Schweiz angeboten werden. Ich bekomme so einen Korb und eine Bambusschale geschenkt, was mich riesig freut.
Auf dem Rückweg lassen wir uns am Saigon River absetzen, auf dem die Meerschiffe ankern. Es ist aber nicht viel zu sehen, zudem ist die ganze Uferpromenade an der prallen Sonne. Gemächlich gehen wir zum Hotel zurück. Mit Hilfe des Stadtplanes können wir uns problemlos orientieren, alle Strassen sind gut angeschrieben. Für das Ueberqueren der Strasse halten wir uns nach Möglichkeit an die Einheimischen und dank Thinkys Grösse werden wir wenigstens gesehen, wenn das auch nur bewirkt, dass die Motorräder um uns herumfahren, halten tut keiner. In einem Restaurant machen wir Rast, es ist unheimlich schwül.
Jetzt müssen wir über einen grossen Platz, von dem sternförmig breite Strassen abgehen. Ich überlege mir kurz, ob wir dafür ein Taxi nehmen sollen, entscheide mich dann aber doch für Thinkys Hand, an der ich auch diese Herausforderung meistere, indem ich nur nach unten schaue.




Andere haben da mehr die Ruhe weg.




An der Reception verlangen wir den Schlüssel, und kein Mensch sagt etwas von Zimmerwechsel. Wir können die Suite also behalten!
Unsere Zimmertüre steht offen, und ein Zimmermädchen kommt aus dem Badezimmer. Aufzuräumen gibt es diesmal nichts, Thinky hat alles ordentlich verlassen. Der guten Frau Hue ist gelungen, was ich in 23 Jahren nicht schaffte.
Kaum sind wir im Zimmer, bricht ein Gewitter los, samt Platzregen. Alle Motorradfahrer tragen jetzt bunte Regenponchos, und der Corso unter unserem Fenster sieht noch eindrücklicher aus.
Statt Sonnenuntergang gibt’s diesmal einen Regenbogen.
Wir nehmen uns Zeit für eine ausführliche persönliche “Restaurierung”, bevor wir in der Bar den Gutschein für den Welcome-Drink einlösen. Hier betrete ich eine reine Männerwelt: Fussballübertragung auf Grossleinwand, Dart, und die Bierflaschen werden ohne Gläser von Damen in ultrakurzen Röckchen serviert; ein paar weisse Männer mit Asiatinnen, von denen mir niemand erzählen soll, sie hätten sie mitgebracht. Man will uns an ein Minitischchen gleich beim Eingang platzieren, aber wenn ich schon mal hier bin, will ich mich auch an die Bar setzen. Ich bin die einzige Nichtasiatin, und man geht nachsichtig mit mir um. Merkwürdiger Ort für einen Begrüssungs-Cocktail.


Welcome Drink


Wir sind schon den zweiten Tag im Hotel, aber erst an diesem Abend bemühen wir uns in die hauseigene Bar im obersten Stock, um unsere Gratis-Welcome-Drinks einzulösen.
Es erwartet mich diese laute Flimmer-Neon-Welt von Bars, in denen die Beleuchtung die Kakophonie der Geräuschkulisse scheinbar in visuelle Effekte übersetzen will. Ein paar versprengte Gäste sitzen da. Männer verschiedener Altersgruppen, die hier endlich einmal alle zur Zielgruppe werden, für die Frauen vor der Bar fast im gleichen Sinn wie für jene hinter der Bar. Zwecks Zerstreuung widmen sich die Männer zumindest vorläufig lieber der flüssigen Ernährung. Darin sind sie – der frühen Abendstunde zum Trotz – durchaus sehr gewissenhaft. Entsprechend lau ist die Stimmung. Ich möchte die schale Luft in Stücke schneiden. Es ist, als läge eine unsichtbare Angst vor dem nächsten Elend über dem Tresen.
Wir sind auf jeden Fall da falsch und lachen uns halb tot über meine ursprüngliche Absicht, unsere Tagebücher mitzunehmen und ein wenig zu schreiben. Wir wären in die Geschichte dieser verlorenen Bar als die Oberspinner eingegangen.
Stattdessen übt sich Thinkabout´s Wife im Deuten der Schiedsrichtergesten auf dem Riesen-TV-Screen, auf dem ein Fußballspiel läuft. Ihre Vorschläge reichen von „Mein Bizeps ist viel größer als deiner“, „Rolle vorwärts“ bis zu „so hoch stand das Wasser anno 2006“ (und da stand es sehr hoch).
Diese Kommentare meiner Liebsten sind so viel besser als das Spiel, dass wir wie beiläufig und vor allem sehr schnell den Boden der Gläser erreichen, dies auch sofort erkennen und machen, dass wir weg kommen.