Reflexionen

In Wort und Bild gesehen, gedacht und gefühlt
Zum Betrachten, Nachdenken, Mitdenken, Vordenken
Mit Lebenslust ein Leben lang, mindestens


Mongolei 2006 - Tag 6 (2)

∞  4 August 2007, 18:20

Erlebt am 12. Juli 2006, bis Jargalant Sum


Strapaziöse Reise ins Paradies



Wir werden unseren frohen Mut heute noch brauchen! Ono hat nur gut hundert km geplant für heute, und wir werden bald wissen, warum. Vorerst aber schiesse ich die ersten Bilder von stolzen Raubvögeln.





Die Fahrt über den Pass Egiyn Davaa ist rauh, sehr rauh, und führt über steiniges, grobes, grossformatiges Geröll. Baktar muss das Fahrzeug immer wieder im Schritttempo so austarieren, dass es über die Gesteine klettert, ohne mit dem Unterboden aufzuschlagen, und uns rüttelt es vor allem an den Fensterplätzen gehörig durch.

Die alten Fahrspuren sind oft unbefahrbar, und so ist auch der Austausch mit anderen Reisenden und das Fragen nach dem Weg wichtig. Beim Picknick steuern wir eine andere Touristengruppe an. Es sind – natürlich – Schweizer. Sie sind mit russischen Bussen, die den VW-Bussen ähneln, unterwegs. Diese Fahrzeuge sind sehr genügsam, haben aber oft eine Federung, die nicht alle Schläge aufzufangen mag, um es vorsichtig auszudrücken…

Das Wetter, das uns jenseits der Passhöhe und damit im Bayanhongor-Aimak erwartet, ist nicht freundlich. Die aufgetürmte Bewölkung entlädt sich in einem heftigen Gewitter, und tatsächlich prasselt der Graupel auf uns nieder und bedeckt in kürzester Zeit die Landschaft mit einem weissen Teppich.



Darin bleiben die Fahrspuren vor uns schwarz, später werden sie grün im Okker eines kargen Graslandes, wo die Nasen, also die Mittelhöhen in den Furchen, das einzige Grün in der abgeweideten Landschaft bleiben.



Es ist dunkel, als würde die Nacht schon auf uns warten, und wir sehen lange kein weidendes Vieh. In der Ebene wird es etwas lichter, und wir können mehrere Jurten ausmachen.

Je weiter wir zu Tal kommen, um so besser wird das Wetter,



und in einem kleinen Somon können wir auch tanken.

Zum ersten, aber nicht zum letzten Mal ist dabei Improvisationstalent gefragt. Die Einheimischen nennen das selbst „mongolisieren“:

Die Automatik, sofern überhaupt vorhanden, funktioniert bestimmt nicht, weshalb gekurbelt wird, um den Diesel in den Tank zu pumpen, und der Tankrüssel ist ein abgeschnittener Schlauch, der mit Stofffetzen umwickelt ist. Trotzdem will er nicht in den Einfüllkanal des Autos passen, weil er sich zur Spitze hin zu wenig verjüngt.




Da schafft eine Pet-Flasche Abhilfe, deren Boden Baktar abschneidet: Schon hat er einen Trichter.
Diesel scheint eher rar zu sein, was uns nicht unbedingt beruhigt…

Der Abend ist viel zu schön, um sich Sorgen zu machen. Wie auch? Nachdem wir heute acht Stunden für 108 km unterwegs waren, muss der weitere Weg einfach leichter zu fahren sein…
Unser Camping ist paradiesisch: Wir liegen auf einer sanften Anhöhe, und vor uns breitet sich die Weite einer Tiefebene aus.



Sanft geschwungene Hügel umarmen uns ringsum, ohne unseren Horizont einzuengen. Unter einem endlosen blauen Himmel geniessen wir ein üppiges Reis-Eintopfgericht in der warmen, kräftigen Abendsonne.



Unglaublich, welche Wetterstimmungen uns ein einziger Tag bescherte und wunderschön, den Tag so beenden zu dürfen!

Die Erde zeigt sich uns in ihrer reinen Schönheit, und gerade weil wir schon heute Unbequemlichkeiten überwunden haben, um es zurückhaltend zu formulieren, fühlen wir uns so unglaublich beschenkt. Das Glück in mir reisst mich fast in Stücke, so ist mir nach Schreien zumute angesichts der Pracht dieser Landschaft.

Als ich an diesem Abend die Kurzfassung zu diesem Tagebuch notiere, gehen ein paar Regentropfen aufs Zelt nieder. Eine sanfte Erinnerung, dass das Glück und die Schönheit dem Augenblick gehört…

Aufnehmen, geniessen und verdanken – auf dass die Erinnerung daran bleibe, was sie sein kann: Ein Dank für eine Grunderfahrung des Menschseins: Ich bin ein Teil der Schöpfung und wohl der am meisten dadurch beschenkte Teil…

Es ist Zeit, das Tagebuch weg zu legen und zu schlafen, ohne an morgen zu denken.