Reflexionen

In Wort und Bild gesehen, gedacht und gefühlt
Zum Betrachten, Nachdenken, Mitdenken, Vordenken
Mit Lebenslust ein Leben lang, mindestens


Mongolei 2006 - Tag 5 (1)

∞  20 Mai 2007, 20:05

Erlebt am 11. Juli 2006, bei Chuulut Sum


Die Ankunft bei Nomaden


Die Nacht ist recht kühl. Zum ersten Mal fallen mir auch die zum Teil dicken schwarzen Käfer auf, die in der vom Mondlicht der zur Mitte des Daches hin geöffneten Jurte emsig unterwegs zu sein scheinen. Sehr viel kann ich nicht erkennen, und das ist wohl besser so. Immerhin überzeuge ich mich vor dem Einstieg ins Bett davon, dass das weisse Bettlaken wirklich weiß ist. Ich will es nicht knacken hören… Die Tierchen sind allerdings harmlos und stören mich nicht, nachdem ich das Geräusch einordnen lerne, das entsteht, wenn sie sich von der Decke zu Boden fallen lassen…

Am Morgen ist von unseren Freunden lange nichts zu sehen. Ich wecke sie schliesslich. Thomas hat verschlafen, den Arm mit der Uhr tief im Schlafsack vergraben… Und da natürlich kein Feuer gemacht wurde, wie es sonst üblich ist in Jurtencamps, wurden sie nicht geweckt. Das Personal in diesem Camp ist wirklich ein Problem…

Die heutige Etappe ist noch recht kurz, denn wir nehmen Onos Schwester mit, die zurück zu ihrer Familie fährt. Dort werden wir natürlich nochmals halten und den Nachmittag und Abend verbringen und zum ersten Mal campieren.

Wir nehmen also endgültig Abschied von Onos Mutter und Bruder. Sie besprengt den Wagen beim Abfahren in der Tradition der Nomaden mit Milch, und die besten Wünsche werden von einem letzten Winken begleitet, bevor wir um die Kurve biegen und endgültig aufgebrochen sind zur grossen Reise.
Ja, die Strecke ist für heute nicht so weit, aber es schüttelt uns mächtig durch. Ono und ihre Schwester teilen sich den Beifahrer-Sozius, und wir nehmen die deutsche Eiche Thomas hinten in die Mitte. Während er mit mangelnder Kopffreiheit kämpft, ist mein Problem eher die Unterlage. Der abklappbare Seitensitz an der Tür ist mehr ein Notsitz, der leicht hin und her gleitet, und durch die Erschütterungen schlägt es mich eh immer mal wieder gegen die Seitenleiste oder ich knalle mit dem Kopf gegen das Fenster: Obwohl ich gut geschlafen habe, werde ich nämlich bald schläfrig, und das wird dann durch die Schwerkraft bestraft. Angewandte Physik ist manchmal schmerzhaft… Wie es beim Aufenthalt in einem Schüttelbecher überhaupt möglich ist, einzuschlafen, werde ich auch nach weiteren zwanzig Jahren Fernreisen niemals endgültig geklärt haben. Aber ich schaffe das locker. Es ist eine meiner leichtesten Übungen.
Ich erzähle solche Dinge, weil auch bildlich gemacht werden soll, dass die Schönheiten der Natur eben auch verdient werden müssen – aber man kann ihnen auch entsprechend gründlich näher kommen…







Eine recht typische Siedlung (oder Dépendance?) an einer Brücke







Am frühen Nachmittag sind wir da. Und dieses „da“ scheint uns irgendwo zu sein. Ein paar Jurten auf der Ebene, umgeben von grünen Hügelzügen – die Sommerfrische für drei Familien, die sich den Platz teilen. Der Himmel ist verhangen, aber es regnet nicht. Wir werden sowieso zuerst ins Ger gebeten und bewirtet.



Ich koste zum ersten Mal den süssen Milchrahm, der – auf gebackenen Brotteig geschmiert – einfach köstlich ist. Die Milchwirtschaft ist nicht zu übersehen: Überall in der Jurte stehen die Produkte herum, zum Trocknen oder Lagern oder einfach bereit für die nächsten Verarbeitungsschritte.



Jeder Platz wird genutzt, während sich zusätzlich die Menschen in der Jurte drängen. Wenn jemand zu Besuch ist, will das begutachtet sein…

Dann heisst es, die Zelte aufstellen. Dass ich Grossstädter zum ersten Mal seit längerem mein Zelt ausgerechnet vor Nomaden aufstellen soll, bereitet mir ein gewisses Unbehagen. Im Geist sehe ich mich bereits irgend welchen neugierigen Dreikäsehochs, die um mich herumwuseln, die Zeltstangen in die Augen pieksen, während ich mich gleichzeitig in den Zeltschnüren verheddere und selbst erwürge, was mir dann nur recht geschehen würde.

Aber nichts dergleichen geschieht. Die Mongolen haben durchaus Sinn für die Errungenschaften westlicher Trekking-Ausrüstungen und begutachten uns und unser Equipement mit fachlichem Interesse.
Dazu haben sie mehrere Paar hilfreiche Hände und den liebenswürdigen Willen, dies auch zu zeigen, und schon sehr schnell stehen unsere Zelte stramm. Mehr oder weniger auf jeden Fall.



Und dann sind unsere Gastgeber samt Kinderschar auch ganz schnell verschwunden und gehen ihrem Tagwerk nach, so dass wir uns in aller Ruhe einrichten können.