Reflexionen

In Wort und Bild gesehen, gedacht und gefühlt
Zum Betrachten, Nachdenken, Mitdenken, Vordenken
Mit Lebenslust ein Leben lang, mindestens


Mongolei 2006 - Tag 32

∞  15 Oktober 2007, 21:25

Erlebt am 07. August 2006 – Ulaanbaatar – Berlin – Zürich

Es geht nach Hause




Am Montag werde ich um zehn vor acht telefonisch aus dem Schlaf gerissen. MIAT wäre in zehn Minuten da und würde uns abholen. Wir stehen erst mal auf und frühstücken…

Es reicht auch noch für einen schnellen Blick nach draussen, wo die ersten Teilnehmer eben zum Start der Rally aufbrechen…







MIAT kommt dann um 8h45, und wie gesagt, das reicht auch locker.

Auf dem Flughafen heisst es zuerst, wir müssten gar nicht erst einchecken, vor 15h00 würde der Flug nicht starten.
Natürlich hört niemand hin. Es wird mittlerweile so viel Mist erzählt, und keine® will am Ende gerade dann nicht bereit sein, wenn es tatsächlich los geht.

Wir drängen uns rein und sind innert einer Viertelstunde eingecheckt. Sie drücken uns regelrecht nach vorn, da sie auf jeden Fall die seit Freitag Wartenden auf der Maschine haben wollen.

Erst haben wir Plätze, bei denen wir nicht bei einander sitzen. Das wollen wir nicht. Es geht nicht anders. Dann geht es doch. Wir kriegen neue Bordkarten. Die alten interessieren niemanden mehr. Aber ich habe sie noch in der Hand und könnte damit davon laufen. Ich muss der Angestellten hinterher laufen und sie ihr zurück geben…

Schnell wird klar, sie wollen zwei Maschinen starten lassen – die neu kommende und die schon da liegende.

Dann beginnt das Warten wieder. Und dann kommt die Durchsage: Zuviel Seitenwind.
Dann zuviel Rückenwind.
Andere Maschinen starten derweil…

Ein Paar tanzt in der Halle Tango. Ohne Musik. Wie Pantomimen bewegen sie sich in langsamer Eintracht: Besinnung in Zeitlupe.



In der Zeitung sind wir Frontthema mit grossem Foto der Maschine auf dem Rollfeld und mit langem Artikel im zweiten Bund.



Das Gefühl, als dann die Maschine weg geschoben wird: So flau wie jeweils beim Aussteigen, die Tage zuvor, wenn die Starterlaubnis fehlte oder was auch immer…

Ich habe schon am Samstag angefangen, von der Internet-Station in der Wartehalle aus zu bloggen und zu Hause werden unsere Freunde aktiv. Langsam erregt unsere Odyssee das Interesse der Medien. Hoffen wir wenigstens. Wir kommen uns schrecklich aufgeschmissen und ein wenig vergessen vor. Plötzlich meldet sich ein Herr bei mir. Ob er meine Blogadresse haben könne? Für das Zusammenfassen der Ereignisse. Die Herren sind zu zweit und vom WDR. Er notiert sich meine Adresse und Eindrücke und bringt sie mit jenen eines Passagiers zusammen, der unsere gemeinsamen Erfahrungen noch mit eigenem Wissen als Privatpilot verbinden kann. Es wird ein Interview mit ihm gemacht, und vor allem: Es wird gefilmt. Die Beiden sind zufällig auch auf diesen Flug geraten und haben die Kamera dabei. Sie können das Material zwar nicht senden, aber ein Radiobeitrag per Handy wird vorbereitet.

Seit heute wartet auch eine grosse Pfadfindergemeinschaft auf den Flug. Es wird gesungen. Ein Meer junger Menschenleiber, die sich auf dem Boden ausbreiten.


Die Gesichter offen und zuversichtlich.



Ein wenig steckt es an…

Um 16 Uhr sind plötzlich die Internetverbindungen in der Business-Lounge und im Internet-Corner gekappt. Die Angestellte lässt sich entlocken, dass die Anordnung von ihrem Chef kommt.

Wann immer nun ein offizielles Gesicht auftaucht, hat es die Kamera im Gesicht. Schon weil der Kameramann sein grosses Mikro nicht im Handgepäck hat, muss er so nahe ran, aber ich denke, das ist auch sonst ganz gut so. Und es taucht das Gesicht des Managers auf, jetzt immer öfter, und schliesslich präsentiert er uns freudestrahlend die Nachricht, der Wind würde nachlassen. Und das Überflugrecht für die Sowjetunion, das vorher für den Nachmittag fehlte (warum denn, wenn ab 15 Uhr ein zweiter Flug geplant war?), wäre nun auch da.

Vor sieben Uhr abends zieht die Crew an uns vorbei Richtung Flugzeug. Viele Passagiere klatschen. Die meisten stumm. Nicht wenige haben Tränen in den Augen. Ich habe in diesen Tagen bestandene Reiseleiterinnen trösten müssen, die ob der Sorge für ihre Gäste dem Zusammenbruch nahe waren…

Dann stehen wir in der Schlange zum Boarden, stehen in der Gangway, deutsche Pfadfinder vor und hinter uns singen:
Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin.
Ich lache laut, nervös. Die halbe Stunde im Flugzeug, als der Pilot sagt, man warte nur noch auf die Starterlaubnis, gehört zu den längeren meines Lebens…

Entspannen können wir uns erst, als wir in Nowosibirsk wieder abheben: Hier haben wir getankt. Und mehr als Öltanks und Industrieanlagen sehen wir auch nicht in der dunklen Nacht. Nicht nur deshalb vermute ich wohl sehr zu Recht, dass wir Touristen Spielgeld und Druckmittel in einem unseligen Streit um unbezahlte Rechnungen waren – und ohne Sprit kann Blech nun mal nicht fliegen…

Am Dienstag landen wir im Zürich – vier Tage später, als geplant, von denen wir drei in der kleinen Wartehalle vor dem Abfluggate des Flughafens von Ulaanbaatar verbracht haben… im Zweistundenrhythmus zwischen Hoffen und Bangen.

Die MIAT soll privatisiert werden. Ein Geschäft, ein Riesengeschäft für Wenige. Mit sabotierten Verantwortlichkeiten werden daraus vielleicht noch weniger. Und das Geschäft noch grösser: Ein paar solche Episoden, und die Fluggesellschaft wird so unrentabel, dass sie am Ende für ein Butterbrot in andere Hände übergeht – mitsamt den Landerechten, die für die Mongolei noch immer nur bei mongolischen Airlines liegen…

Wir werden trotz dem unschönen Ende der Reise nie den Fehler machen, diese Erlebnisse über die Begegnungen mit den Mongolen im Land zu stellen: Wir haben ausserordentliche Gastfreundschaft erlebt, und unzählige Beispiele eines demütigen und genügsamen Lebens, an dem wir uns ausrichten und neu erden konnten für unser eigenes Dasein in einer Welt, in der wir tagelang wieder unseren Weg gehen werden, ohne ein einziges Mal nackte Erde zu berühren…