Reflexionen

In Wort und Bild gesehen, gedacht und gefühlt
Zum Betrachten, Nachdenken, Mitdenken, Vordenken
Mit Lebenslust ein Leben lang, mindestens


Mongolei 2006 - Tag 27

∞  14 Oktober 2007, 12:20

Erlebt am 2. August 2006 – Zurück in Ulaanbaatar



In der Stadt




Die Nacht ist lang, und obwohl ich am Morgen alle Knochen einzeln spüre und sich mein Bauch sehr hart anfühlt, so habe ich doch viele Stunden geschlafen. Dabei war ich doch immer mal wieder wach, zudem hatte ich den Eindruck, kopfüber zu liegen, fühlte mich seitlich imaginäre Berghänge runter rutschen und vermisste wie nie zuvor mein Kopfkissen.

Nun, die Bauchdecke mag zwar verspannt sein, im Magen aber ist Ruhe. Immodium und Elektrolyten sei dank. Auf Reisen ist nicht nachhaltige Gesundung oberstes Gebot, sondern rasche Beruhigung…

Ich frühstücke sogar, und um 9h15 geht es los Richtung UB.


Ulaanbaatar ist mittlerweile ein meist unter einer Smogglocke pulsierender Moloch mit viel Industrie, deren Schlote laut lakonischem Kommentar von Ono UB zu einer der dreckigsten Hauptstädte der Welt machen.

Auf dem Weg ins Zentrum machen wir Halt bei einem dieser unsäglich schicken “Cashemere – Shops”: Im „Gobi“ gibt es die absolut beste Qualität zu absolut besten Preisen, laut Eigenwerbung. Und die ist sehr subjektiv. Im Laden sind viele Japaner und Südkoreaner, und so hat man wenig bis gar keine Zeit, Thomas zu bedienen und seine Einkäufe zu tippen. Er bleibt in der Schlange stets an gleicher fünfter Stelle oder so hängen. Zehn Minuten schaut er sich das an, dann schmeisst er seine Schals und Polo-Shirts, die eben nicht seine werden sollen, auf die Theke und wir verlassen den Schuppen. Thinkabouts haben gar nicht erst kaufen wollen. Mir reichen die ersten paar Minuten in solchen Konsumtempeln, in denen die westliche Einkaufswelt imitiert wird, regelmässig aus, um schlicht den Tunnelblick Richtung Ausgang zu bekommen…

Hier war das Personal zusätzlich ein Problem: Es trug die Nase so hoch, wie die Preise unverschämt waren – mal ganz objektiv gesprochen.

Dann sind wir zurück an unserer Ursprungsadresse und beziehen in einem Nachbarblock eine Guesthouse-Wohnung mit zwei Zimmern, Küche, Dusche, Kühschrank, Mikrowelle etc. Die Errungenschaften westlichen Komforts haben auch was für sich. Ich bin auf jeden Fall ganz empfänglich dafür…

Dann verabschiedet sich Ono zum Zahnarzt. Also, ich würde ja bis zur Heimkehr in Deutschland warten, um mir die Spuren des Kamelhengstes im Gebiss korrigieren zu lassen, aber Ono will die mongolische Dentalkunst beanspruchen – die Preise dürften ja tatsächlich ganz andere sein. Dann will sie auch noch zum Friseur und den Abend mit Freunden verbringen. Wiedersehen feiern und Abschied nehmen…

Wie wir uns später überzeugen können, sehen die Zähne auch tipp-topp aus, und Ono ist ganz offensichtlich auch hart im Nehmen. Aber das wissen wir ja.

Während Ono also vermutlich leidet oder eben auch nicht, machen Thomas und wir Zwei einen Rundgang durch das Natural History Museum. Wir beweisen dabei Ausdauer! Ich weiss nicht, wann ich zum letzten Mal drei Stunden ohne Unterbruch konzentriert und interessiert durch ein Museum geschlendert bin.

Die Exponate an ausgestopften Tieren sind dabei mehr oder weniger geglückt, aber das Museum hat ein wirklich breites Spektrum an Fauna und Geschichte zu bieten.
Absolut sehenswert sind auch die Ausgrabungen der Dinosaurier, einmalig darunter ein Eier-Gelege.

Zudem werden wir in den dem Museum angegliederten Shops wie von selbst in Sachen Souvenirs fündig: Jacken aus Yak-Leder für Thinkabouts Wife und Thomas – und die recht gute Strassenkarte, die wir hier finden, kann mir zwar nicht mehr durch die Mongolei helfen, hat mir aber diesen Reisebericht erleichtert.

Interessant ist auch der Besuch eines Nobelkaufhauses: Hier gibt es alles, wirklich alles zu kaufen, was westliche Haushalte als Komfort so anzubieten haben. Und dies zu Preisen, wie sie auch bei uns vorkommen können. Wir fragen uns nur, wer das in diesem Land kaufen können soll? Die Schere zwischen Arm und Reich muss gigantisch sein! Oder sind Sie etwa Lehrer / Lehrerin und bezahlen mehrere Bruttolöhne für eine Waschmaschine?
Und das ist noch vorsichtig formuliert… Es scheint uns eher schon fast ein Jahreslohn zu sein!

Der Heimweg wird zum Irrgang, so betäubt hat uns der Konsumtempel. Erst der Anblick des Ganden-Klosters und die Eingebung meiner Frau lassen uns erkennen, dass wir einen Kilometer in die falsche Richtung gelaufen sind… Mein GPS und der wieder aktivierte Orientierungssinn von uns Allen führt uns dann wieder zurück in die Unterkunft.

Im Restaurant des Bayangol-Hotels feiern wir ein üppig feines Abendessen und schwelgen in Erinnerungen an 2002, als genau hier unsere erste Mongolei-Reise begann – nach einer abenteuerlichen Anreise mit der sibirischen Eisenbahn und einem alles andere als reibungslosen Grenzübertritt aus Russland.

Feierten wir damals mit Griechen, Portugiesen und Schweden unsere glückliche Ankunft, so haben wir jetzt allen Grund, mit Thomas auf eine Reise ohne Verletzungen, grosse Pannen und sonstige Havarien zurück zu schauen. Eine solche Tour prüft immer auch die bestehenden Beziehungen. Wir haben uns zuvor nicht gut gekannt, wussten einfach um die gemeinsame Liebe zu diesem Land und fühlten eine gute Energie für einander. Jetzt sind wir Freunde geworden, und die Bande haben sich durch die mit einander gemeisterte Belastungen vertieft.

Und die westliche „Zivilisation“ meldet sich an… Habe ich mich auf dem Hinflug über sich besaufende Touristen aufgehalten, so bin ich nun am Nebentisch mit einer Gruppe von Amerikanern konfrontiert, die ihre Zoten reissen, das Personal miserabel behandeln, in die immer neuen Getränke noch eigenen Whisky schütten, immer lauter werden und das in ihrem Suff auch noch männlich finden. „Fucking Americans“, wie ich sie eben im Buch meiner Vorurteile weit vorne stehen habe. Dabei sind sie nur ein Beispiel dafür, dass für so manchen Geist die Distanzen auf der Welt zu klein geworden sind: Da findet man sich dann als Angestellter irgend einer (Berg-)Baufirma in einem fremden “primitiven” Land wieder, und nichts wird einem vertrauter als die Bierflasche vor sich auf dem Tisch…

Wir schlendern noch ein bisschen um die Ecke zurück ins Guesthouse und rekapitulieren da mit Thomas zusammen auf meiner geliebten neuen Karte nochmals unsere Reiseroute. Dann gehen wir schlafen.

Kaum liegen wir im Bett, wird die Wohnungstür aufgeschlossen, und zwei Damen des Personals machen sich daran, in der Küche (!) die Gardinen zu montieren… Kaum sind wir wieder allein, wird die Wohnung erneut aufgeschlossen, und eine dritte freundliche Dame bemüht sich in unsere Küche, um das Milchpulver in der Dose aufzufüllen.
Wie war das? Ono hat uns doch eingeschärft, für niemanden die Tür aufzuschliessen. Aber das haben wir ja auch gar nicht getan…

Die Nacht fühlt sich lang an, mein Schlaf ist unruhig. Es ist sehr still.