Reflexionen

In Wort und Bild gesehen, gedacht und gefühlt
Zum Betrachten, Nachdenken, Mitdenken, Vordenken
Mit Lebenslust ein Leben lang, mindestens


Mongolei 2006 - Tag 23

∞  8 Oktober 2007, 19:47

Erlebt am 29. Juli 2006 – Im Sum Khuh Burd Tourist Camp



Die Gedanken kommen nach




Eine unangenehme Nacht war das… Das Bett ist beinhart, weil die dünne Matratze den Körper überhaupt nicht davor schützt, voll auf das Brett darunter durchzudrücken. Die Iso-Matte der Zeltausrüstung hilft leider auch nicht wirklich. Meine Knochen werden langsam müde…
Aber wie herrlich ist es, einmal ausgeschlafen (trotzdem!) und gemütlich zu frühstücken.
Die Sonne scheint und ist ganz wild darauf, unsere frisch gewaschene Wäsche an den Jurtenwänden zu trocknen.
Die Ziegen schauen sich das alles sehr genau an und strecken schon mal den Kopf in die Jurte hinein.




Dazwischen niessen sie auch mal richtig heftig. Hört sich ulkig an, aber nicht sehr gesund…
Wir schlendern zum nahen See, an dessen Ufer die zerfallenen Gemäuer eines Klosters trotzig und still auf uns warten und traurig über den Quellsee blicken.



Von einem kleinen Hügel aus haben wir einen wunderbaren Ausblick über den See, an dessen gegenüberliegender Seite eine grosse Kolonie Wasservögel auszumachen ist.



Also widmen wir uns der Vogelbeobachtung und wandern halb um den See. Ganz herum ist schwierig: Der Boden ist teilweise sehr sumpfig.



Nach einem kurzen Picknick in der Jurte widme ich mich der Kamera-Ausrüstung und versuche, wenigstens einen Bruchteil des Staubs zu entfernen und die Einteilung der Fächer in der Fototasche neu auszurichten. Dabei ist auch Zeit, einmal in Ruhe die Eindrücke der Reise mit meiner Frau auszutauschen.
Nie zuvor war ich körperlich, seelisch und geistig so bewusst „auf Reisen“. Dieser Trip ist eine Art Metapher für unser ständiges Unterwegssein, die Entwicklungen und Stillstände, wie sie unser aller Leben prägen. Wir befinden uns alle auf der Reise. Dabei können wir uns begleiten. Doch jeder Gedanke, den wir denken, ist zuerst mal der unsere, kommt uns allein. Vielleicht wird er angeregt durch Begleiter, doch was wir lernen und verinnerlichen, machen wir immer mit uns selber aus.

So können wir das genau gleiche Erlebnis ganz unterschiedlich aufnehmen, gewichten, ja überhaupt erleben. Wir sind immer mit unserem Selbst mehr oder weniger am Standort, mögen wir ihn auch mit anderen teilen. Das Reisen gibt einem ein gutes Gefühl für die relative und fruchtbare Einsamkeit, die für uns alle ein Teil unseres Wesens ist. Und mag sie nur das sein, was wir benennen, wenn wir in der Stille des Alleinseins mit uns und unserer Seele zu reden beginnen: Es verträgt dann gar keine Einmischung von aussen, und gleichzeitig ist die Begleitung, die uns auch dann noch lieb ist, eine Art stumme Verständigung, die dem anderen allen Raum lässt: Wie wenn es Dir möglich ist, mit freiem Blick auf die Ebene vor Dir zu blicken und Dich in Deinem Rücken begleitet, gesichert weisst.

Und: Du kannst noch so sehr an einem Ort verweilen – Du bist dennoch immer auf der Reise. Reisen ist immer wiederkehrender Abschied und Anfang, Wandern oder Hasten, Rastlosigkeit oder Verweilen, Sein oder Suchen.

Das Gefühl der Unabhängigkeit beim Reisen, was bedeutet es? Welche Formen von Abhängigkeiten will ich umgehen, hinter mir lassen?

Ich bin nie dankbarer auf dieser Welt als genau an solchen Tagen, wo die Wechselwirkungen mit meiner Umgebung geerdet sind, mit ganz einfachen Dingen und Notwendigkeiten zu tun haben, an einem mir fremden Platz auf Erden, an dem sein zu dürfen, eine Gnade ist.

Was ist Geborgenheit für einen Reisenden? Ich denke an den Fährtenlenker, an den ich glaube, an die vielen Zeichen, in denen ich seine Fürsorge erkenne.

Ich darf ganz still auch mittels meines Tagebuchs bei mir sein – und dennoch schreibe ich meine Freude im Grunde laut singend auf dieses Papier. Die Tatsache, dass es die Möglichkeit gibt, später einmal die fragmentarischen Notizen in einem Web-Reisetagebuch zu rekapitulieren, der Gedanke an andere Interessierte, das alles hilft mir, aufmerksam mit mir selbst und dem Erlebten umzugehen.

Wir machen am Quellsee einen Abendspaziergang zur Ruine und ziehen dabei ein paar Schuhe voll Wasser raus… Dafür werden wir mit dem Blick auf äsende Singschwäne entschädigt –



und mit den Flugkünsten eines Falken,



während sein Nachwuchs aufgeregt zwischen den Zinnen kauert und nicht weiss, was er von uns halten soll…



Aufbruch und Rückweg sind von Materialstrapazen gekennzeichnet. Ono fällt ihr Lehrbuch in den Sumpf und Thinkabouts Wife hällt geistesgegenwärtig meine offene Fototasche fest, bevor sie vom Mauervorsprung runter fallen kann…

Aber angesichts solcher Begegnungen kann ich einfach nur noch ans nächste Foto denken…



Was habe ich Hunger! Es gibt Kuschur, Boots, mongolische Suppe…

Und einen Ornithologen, der irgendwann mal in Bayern gelebt hat, bevor er sich aufmachte, alle Vögel der Mongolei in seinem Führer abstreichen zu können wie ein Jäger, der seine Beute zählt. Der Mann ist freundlich und weiss unheimlich viel, aber mir sind solche Sammler immer ein wenig zu anstrengend.