Reflexionen

In Wort und Bild gesehen, gedacht und gefühlt
Zum Betrachten, Nachdenken, Mitdenken, Vordenken
Mit Lebenslust ein Leben lang, mindestens


Mongolei 2006 - Tag 20

∞  6 Oktober 2007, 15:06

Erlebt am 26. Juli 2006 – Von Ulaan Uzuur nach Bogd



Navigation, mehr oder weniger




Die Oberzelte sind bis zum Einpacken praktisch abgetrocknet.

Auf dem Weg nach Bayan Ondor gibt es ausser Pfeifhasen nichts Wesentliches zu sehen. Das kleine Dorf wird für uns immer grösser, weil wir auf der Suche nach Diesel von „Adresse“ zu „Adresse“ geschickt werden, wobei wir uns je länger je mehr sagen, dass es ziemlich untypisch für die Mongolei ist, dass die Leute so wenig über einander Bescheid wissen sollen.



Aber wer weiss? Da das Treibstoff-Geschäft auch privat betrieben wird, weiss vielleicht nicht jeder, was sein Kollege (oder Konkurrent?) zurzeit in petto hat?

Am Ende ziehen wir erfolglos und ziemlich genervt und frustriert weiter. Wieder einmal bleibt die Erkenntnis: Einkaufen – was auch immer – braucht eine Unmenge Zeit und ebenso viel Geduld.
Laut Karte sollten wir bei Tsetseg vorbei kommen, doch das Dorf kennt niemand, und wir müssen von GPS-Führung und Auskünften



denn auch zielsicher daran vorbei geführt worden sein, was nicht weiter schlimm ist, denn Bayantsagaan liegt nicht weit entfernt und scheint grösser zu sein. Das Dorf ist tatsächlich interessant, mit guten kleinen Läden





und aussergewöhnlichen Häusern. Eines sieht aus wie ein europäisches Fertighaus aus dem Katalog, mit stolzem, feuerrotem Dach…



Für die Weiterfahrt prüft uns die Karte erneut:



Laut ihr fahren wir über Huysiyn Honhor, in Wahrheit gelangen wir direkt über Jinst weiter nach Bogd. GPS sei Dank. Noch selten hat es sich gelohnt, mein fürs Joggen erstandenes und dafür völlig unnötige Teil mit zu nehmen und hier zweckentfremdet richtig sinnvoll einzusetzen. Allerdings möchte ich mich darauf nicht ohne die zusätzlichen Informationen der Einheimischen verlassen.





Eine der beiden Quellen ist dann jeweils so genau, dass wir die Orte nicht verfehlen können. Warum Routenwahl laut GPS nicht genau war? Das liegt nicht am Gerät, sondern an der Bestimmung der Zielorte. Die war auf Grund der Karte nicht wirklich genau vorzunehmen – und verfügte ich heute nicht über noch genaueres Kartenmaterial, ich könnte nicht alles so verlässlich rekapitulieren. Damit will ich nicht sagen, dass unsere Unterlagen ungenügend waren. Sie stellen einfach die Realität dar: Strassen





wie Landschaften





verändern sich hier mit der Natur schneller als anderswo, und darum muss man einfach alle Quellen zusammen nutzen.

Heute zum Beispiel erlaubt uns das GPS zwei Mal, die per Karte geplante Route abzukürzen, indem wir instinktiv im richtigen Moment der Anzeige vertrauen, querfeldein fahren und bald auf Pisten stossen, die gar nicht eingezeichnet sind. Das Gerät zeigt die Richtung des Ziels an, sobald man in Bewegung ist, und die Distanz dahin per Luftlinie, sowie jederzeit die aktuelle Position per Längen- und Breitengrad, wenn man sich neu orientieren müsste. Auch Baktar fühlt sich mit der zusätzlichen Hilfe ganz eindeutig wohl…

Leichter macht es einem oft die Topographie: Sie bietet immer wieder offene Weiten – bis es darum geht, den nächsten Pass zu finden. Oft aber sind die Routen auch eindeutig, wie auf dieser Strecke. Und so gibt es hier das, was wir alle doch auch kennen: Eine Fernfahrer-Kneipe.



Nicht jeder mag allerdings seine Pause frisch und froh geniessen können…



weil da noch einige Arbeit zu tun ist vor dem Weiterfahren.



Für das Verweilen am Ort spricht dagegen zum Beispiel die Aussicht vom Latrinenhäuschen…



Unsere Diesel-Vorräte sind nicht so knapp, wie es sich hier vielleicht las – aber wir schauen immer rechtzeitig für Nachschub. Offensichtlich machen wir den Fehler, etwas zu bedürftig zu wirken, so dass uns in Tugrik ein ganz Schlauer Diesel für 1400 Tugrik pro Liter verkaufen will, das sind 300 mehr, als wir je zuvor bezahlt haben. Als wir dankend verzichten, klappt seine Kinnlade vor Erstaunen nach unten. Ich habe noch selten ein blöder erstauntes Gesicht gesehen und geniesse in meiner Erinnerung den Anblick noch lange, nachdem wir zum Fluss aufgebrochen sind. Da glaubte uns jemand in einer Notlage und hat sich dabei verrechnet.





Not hätten wir allerdings, wenn wir nicht Hilfe zum Übersetzen des Flusses in Anspruch nehmen könnten. Die vielen Regenfälle der letzten Wochen haben Hochwasser in die ganze Region gebracht, und viele sonst seichte Furten sind unpassierbar geworden oder nur schwer zu überqueren.



Und hier macht dann wirklich ein Mann das grosse Geschäft: Er hat einen sehr modern aussehenden Traktor mit mächtigen Rädern und zieht uns an einer schweren Zugkette über den Fluss.



Das Wasser steigt dabei zeitweise über das Level des Fussbodens hinaus, aber die Räder greifen jederzeit sicher. Viel schwieriger ist es dann, die Zugtrassen wieder los zu machen:



Die Kettenglieder haben sich durch das Zuggewicht so verkeilt, dass die Männer eine Viertelstunde arbeiten und alle Körperkraft einsetzen müssen, um uns zu befreien. An Ressourcen männlicher Kraft ist dabei kein Mangel. Solche Übersetzungen sind hier ganz offensichtlich das aktuelle und besondere Ereignis und ziehen immer Publikum an.



Dann können wir weiterziehen, frei wie zuvor. Hier sollte ein Jurtencamp stehen, laut Reiseführer, und vielleicht wird ja auch mal eines gebaut werden. Kein Problem, wir sind – eben – frei, und enschliessen uns, noch den nächsten neuralgischen Punkt zu erreichen: Die nächste Brücke, die hoffentlich unversehrt ist. Und tatsächlich, nigelnagelneu und mit befestigter Strasse “drum rum”. Wir überqueren den Fluss hier erneut und wenden uns nach rechts, wo wir am ersten passenden sanften Abhang mit Ausblick auf eine weite grüne Ebene campieren.

Position:
N 45° 12.841‘ E 100° 49.468‘