Reflexionen

In Wort und Bild gesehen, gedacht und gefühlt
Zum Betrachten, Nachdenken, Mitdenken, Vordenken
Mit Lebenslust ein Leben lang, mindestens


Mongolei 2006 - Tag 2 (1)

∞  9 April 2007, 20:26

Gereist am 8. Juli 2006, von Ulaanbaatar zum Ogiy-See



Aufbruch



Ich schlafe trotz der Zeitverschiebung ausgezeichnet. Damit meine ich vor allem, dass ich nicht schon in aller Frühe wach bin. Es ist, als hätte mein Körper eine sehr genaue Vorstellung davon, dass er für längere Zeit kein ähnliches Bett mehr vorfinden wird…

Um neun Uhr haben wir die Schlüssel abgegeben, die Rechnung bezahlt – und wir sitzen tatsächlich im gepackten Auto, ohne dass Thomas den Rest hinterher tragen muss… Dabei konnten wir uns am Vorabend noch überhaupt nicht vorstellen, wie wir die riesig scheinenden Stühle neben allem anderen Geschmäus verstauen sollten?

Wir sind allerdings vollgepackt. Aber natürlich nur nach westeuropäischer Gewohnheit. Für Mongolen wäre die Sitzbank halb leer, wo wir hinten zu dritt sitzen. Das ist recht komfortabel. Zumindest dann, wenn ich mangels Kopffreiheit in der Mitte sitze, und Ono und Thinkabouts Wife an den Fenstern. Ono sitzt dabei auf dem abklappbaren “Notsitz”. So wirkt er zumindest auf mich, denn die Rücklehne gibt nur bei geschickter Bepackung des Rückraums genügend Halt. Aber für Ono scheint alles okay, und in der Tat werden wir die Plätze fast nie wechseln.

Es fehlten noch Gaskartuschen – und Onos Familie braucht noch Gummibärchen. Die bringen wir der Schwester in die Bank, wo die ausgebildete Biologin arbeitet. Im schicken Einheitslook der Bankangestellten kommt sie uns auf dem Parkplatz entgegen. Der Rock akurat geschnitten, in eleganten Pumps, die Bluse blütenweiss. Der Businesslook scheint ihr Sicherheit zu geben, so dass sie ihre sympathische Scheu gar so weit ablegt, um uns auf englisch eine gute Reise zu wünschen.

Die jüngeren Mongolen lernen in der Schule heute fast alle englisch, zumindest als zweite Fremdsprache nach russisch. Aber es ist ihnen kaum ein englisches Wort zu entlocken. Die Angst, Fehler zu machen, scheint sehr stark zu sein. Praktisch alle schreiben denn auch sehr besser in der jeweiligen Fremdsprache, als dass sie sprechen.

Auf der Fahrt aus der Stadt fasziniert mich der Gegensatz zwischen hohen Glaspalästen, die als Zeichen der Moderne aus den Fundamenten schiessen, und den dazwischen an einem hohen Hügel klebenden weissen Jurten, in dessen Filzplanen sich weiss glänzend die Morgensonne reflektiert. Fährt man aus der Stadt, so dauert es nicht lange, bis sich die Landschaft vor einem ausbreitet. Die Grasflächen werden weit und steigen an den Hängen in sanft geschwungene Berge auf. Viele Giebelzelte mit bemalten Symbolen säumen unseren Weg: Pferdezüchter, die auf dem Weg zum grossen Rennen zum Naadam-Fest in der Ebene übernachtet haben.

Da und dort sieht man deren Zuchtstolz auf der Weide galoppieren. Keine Zäune weit und breit. Zitternde Pferdeflanken, helles Wiehern, und manch stolzer Pferdekopf, der die Nüstern in den Wind hält. Und so mancher Schweif ist in der Mitte schon zusammen gebunden, so wie es typisch ist für viele Rennpferde.

Meine Augen gleiten auch über unzählige recht stattliche Schafherden: Khuschur und Buuts – Schaffleisch in im Öl frittiertem Teig oder in gedämpften Teigtaschen – traditionelle Verpflegung rund um das grösste Volksfest der Mongolen – und einfach göttlich genussvoll, wenn man dazu diese Weite atmen kann.

Doch wir fahren weiter. Ulaanbaatar ist dieses Jahr zum Naadam-Fest noch mehr überfüllt als sonst. Das Fest aber wird in jedem grösseren Dorf gefeiert und wir haben in jedem Fall geplant, in Onos kleinerem Heimatort den Nationalfeiertag der Mongolei zu feiern.

An den Ausfallstrassen aller grösseren Ortschaften und auf jeder Anhöhe steht ein Owo. Ein Steinhaufen, den man vor jeder grösseren Reise drei Mal im Uhrzeigersinn umrunden sollte, um dabei bei jeder Runde einen Gegenstand auf den Haufen zu werfen.

Was einmal da liegt, sollte, ja darf nicht entfernt werden, es sei denn, man befände sich in einer gesundheitlichen Notlage. Krücken dürften dann weg und mit genommen werden. Und so findet wieder Verwendung, was ein anderer dankbar nach überwundener Mühsal abgelegt hat…

Was wird uns geschehen? Welche Hindernisse und Schwierigkeiten werden wir überwinden müssen? Das Auto ist gut, kein Zweifel. Aber die Strassen sind es bestimmt nicht…