Reflexionen

In Wort und Bild gesehen, gedacht und gefühlt
Zum Betrachten, Nachdenken, Mitdenken, Vordenken
Mit Lebenslust ein Leben lang, mindestens


Mongolei 2006 - Tag 1 (2)

∞  1 April 2007, 21:15

Gereist am 7. Juli 2006



In der Luft


An Bord erfahren wir, dass wir direkt nach Ulaanbaatar fliegen, ohne Zwischenlandung in Moskau. Das bedeutet, dass wir noch etwa zwei Stunden früher in UB ankommen als geplant. Die Besatzung des Flugzeugs spricht zu meiner Verwunderung italienisch, und im Bordheft und an Türen und Rückenlehnen lese ich zum ersten Mal von einer Fluggesellschaft mit dem klangvollen Namen Blue Panorama. Die Damen und Herren Flugbegleiter sprechen auch vor allem viel und gern italienisch und sind sehr schnell, also, beim Reden, und das zu meinem Erstaunen auch, wenn sie englisch sprechen oder es auch nur versuchen.

“Wenigstens sind die Damen hübsch”, denkt der Chauvi in mir…
Nicht nur mir fällt auf, dass die vier mongolischen Flugbegleiterinnen von ihren italienischen Kolleginnen sehr unfreundlich behandelt werden, als würde es sich dabei um ein Alibi-Kontingent handeln. Immerhin ist der Flug als MIAT-Linienflug ausgeschrieben…

Meine Sitznachbarn über dem Gang haben derweil schon längst ein einziges Gaudi. Sie machen mal Urlaub von der Zivilisation, und das immer ungehemmter. Der Whiskey aus der mitgeführten Eistee-Petflasche hilft dabei enorm, nicht gerade zum Vergnügen der Passagiere vor ihnen, die immer wieder knochige Knie in den Rücken gerammt kriegen, wenn die Witze einfach zu sehr zum Brüllen komisch sind, um dabei ruhig sitzen bleiben zu können. Ich lasse die beiden mit ihrem komischen Humor vorsorglich allein, da der Herr mit dem durch die Lehne mit Akupressur behandelten Rücken sich zwar sichtlich ärgert, aber erwachsen genug scheint, sich selbst wehren zu können. Das tut er aber nicht, und ich kann die herausfordernden Blicke der Saufkumpane neben mir förmlich in meinem Gesicht spüren.
Manchmal hilft ja ignorieren… und tatsächlich, nachdem ich mich meinem iPod zuwende, schwindet auch das Interesse der Nachbarn an mir, da ich ja offensichtlich der Langweiler bin, für den sie mich halten, und dann fahren sie ihre wirklich sehr dunklen Sonnenbrillen aus und beginnen zu dösen.

Das sollte ich auch tun, fällt mir in Flugzeugen aber immer schwer, ganz egal mit welchen Nachbarn.
Und so wache ich in unserer gemeinsamen Bewegung gegen Osten immer wieder auf. Es ist aber auch unwirklich, dieses schwerelos scheinende Fliegen in einem viele Tonnen schweren Ungetüm, in dem wir alle gemeinsam unterwegs sind und doch jeder einzelne an einem ganz anderen Punkt sein kann. Wieviele Gedanken eilen voraus, wie viele gehen zurück? Welche Seelen können ruhen, wessen Schlaf ist wirklich tief und ruhig?

Was mag Ono alles durch den Kopf gehen, so kurz, bevor sie nach langer Zeit ihre Familie und viele Bekannte wieder sehen wird? Wie verwirrend muss es bei aller Integrationsbereitschaft für Angehörige anderer Kulturen bleiben, in der Fremde zu leben? Und was mag davon hoch kommen, wenn man sich in einem Flugzeug zwischen diesen Kulturen befindet, deren Wirkung auf einen selbst für immer auch Teil des eigenen Lebens sein wird? Gerade jetzt befindet sie sich körperlich genau da, wo sie sich gefühlsmässig wohl meist sehen mag: Irgendwie glücklich über die neuen Chancen in Deutschland, da aber nicht daheim, und das Zuhause ist nur noch eine Feriendestination…

Auf dem Bildschirm sehe ich, dass wir über Omsk fliegen. Wir folgen ziemlich genau der Route der Transsib, wie wir sie 2002 selbst gefahren sind. Bis jetzt haben wir vier Stunden Zeitunterschied. Wir werden sehr früh in UB ankommen. Ich denke lieber noch nicht an diesen ersten Tag, der sehr lang werden wird, mit einer langen Einkaufsliste, die wir für unsere Reise noch “abarbeiten müssen”.