Reflexionen

In Wort und Bild gesehen, gedacht und gefühlt
Zum Betrachten, Nachdenken, Mitdenken, Vordenken
Mit Lebenslust ein Leben lang, mindestens


Kambodscha: (von Kampong Chnang nach) Kampong Tralach

∞  18 Juni 2009, 16:50

Erlebt am 24. März 2009, nachmittags


[Bilder-Album des Ausflugs gibt es ab hier ]


Um 15:00 legen wir in Kampong Tralach an, diesmal direkt am Ufer. Es geht eine steile, sandige Böschung hinauf, hilfreiche Hände sind da. Wir wollen den Vihara besuchen, einen mit Fresken ausgemalten Tempel der Leu-Klosteranlage, die etwas ausserhalb des Dorfes liegt. Für diese Fahrt stehen zehn Ochsenkarren bereit, auf die wir unter ungläubigem Staunen der einheimischen Bevölkerung steigen. Wer fährt denn noch mit so was, wenn er nicht unbedingt muss???




Sie sind weich mit Stroh ausgepolstert, ein dickes Tuch darübergelegt. Die Zweiergespanne sind alle ausnehmend schöne Zebus, liebevoll geschmückt, mit Glöckchenhalsband versehen, wie ich sie schon bei der Töpferei am Morgen gesehen habe.
Wie eine Prozession zuckeln wir dem Tempel entgegen, Kinder bieten Lotosblumen an. Eskortiert werden wir vom Dorfpolizisten, Sandy hilft beim Verkehr regeln. Die Strasse ist ziemlich schmal, und wir sind natürlich ein Verkehrshindernis. Die Ochsen stört es nicht im Geringsten, wenn die Lastwagen ganz nahe an ihnen vorbeifahren: sie gehen stoisch ihren Weg.

Nach einer knappen halben Stunde sind wir da. Sofort werden die Ochsen ausgespannt und dürfen auf dem Kloster-Rasen grasen.




Während der ganzen Fahrt wurden sie auch nie mit der Peitsche angetrieben; ein leichtes Antippen mit der Hand neben der Schwanzwurzel reicht, dass sie schneller gehen.
Eine Stunde lang schauen wir uns die Klostergebäude und vor allem die Wandmalereien im Vihara an.



Sie sind wirklich sehr schön, über 100 Jahre alt,




wenn ihnen die Witterung auch schon sehr zugesetzt hat. Zusätzlich hat vor allem der Mäuseurin eine verheerend zersetzende Wirkung. Die kleinen Nager kann ich gut im Gebälk ausmachen.
Hinter dem Altar mit dem grossen, neuen Buddha entdecke ich wohl seinen Vorgänger: ganz einfach ist er, und doch so reich in seinem Ausdruck.




Dann geht es wieder durch die Reisfelder zurück. Die Kinder wollen auch mitfahren und dürfen es auch.
Wir halten am Dorfeingang, damit wir zu Fuss zum Schiff zurückgehen können. Jemand hat die Idee, für die Kinder Süssigkeiten zu kaufen. Ich mag diese Art „Wohltätigkeit“ nicht, klinke mich schnell aus. Im Nu ist natürlich das ganze Dorf da, alle wollen etwas haben. Andere geben die gekauften Schleckwaren der Lehrerin auf dem Pausenplatz. Die lässt die Schüler in Reih und Glied antreten, im Nu herrscht Ruhe und Ordnung,




und jeder bekommt etwas. Immerhin.




Die erstandenen Schulhefte können aber nicht in dieser Schule abgegeben werden; die sind für eine Privatschule bestimmt, in der die Kinder in Französisch unterrichtet werden. Ich dachte eigentlich, dass die Kolonialzeit vorbei sei und hoffe, sie lernen auch Englisch. Ich gehe zurück aufs Schiff.
Bei einer alten Frau kaufe ich unterwegs Mangos. Die sind hier gelb und zuckersüss. Wir verständigen uns in Zeichensprache, das klappt einwandfrei. Ich erhalte für $ 1 drei Stück, die ich selbst aussuchen kann. Dann werden sie gewogen, und ich bekomme noch Wechselgeld in Riel.


WIR TOURISTEN SIND SONDERLINGE



Noch selten war ein Reisetag in der Ferne für mich so sehr ein Bildersturm, ein Panoptikum von Standbildern, die in ihrer Summe und Abfolge ein sehr lebendiges und auch ein wenig verwirrendes Bild dessen zeichnen, was man als Fremder in der Fremde erleben kann, und was nicht. Und wahrscheinlich besteht die Kunst darin, sich nicht über Gebühr anzubiedern und zu akzeptieren, fremd zu bleiben. Wir sind nur auf der Durchreise – und es wäre schön, könnte die Erinnerung, die wir zurück lassen, eine Positive sein. Doch wie sollen wir verstanden werden? Und wie viel können wir selbst verstehen?
Heute lerne ich, dass Kambodscha ein Land ist, in dem – sich flauschige Decken in einer Luxusunterkunft besonders kuschelig anfühlen
-die Töpferin um den Topf herum geht, statt dass er sich selber dreht, – lockere, schwankende Stege nur über 4m50 Fallhöhe ein Geländer haben und – unsere Schwierigkeiten mit dieser Tatsache doch ein Gaudi für die Bevölkerung darstellen müssen, diese aber so höflich ist, es nicht offen zu zeigen (oder sind die Menschen schlicht fassungslos, dass sich Zweibeiner so staksig bewegen können?) – Kinder besonders deutlich machen, dass sie bereits ganze Persönlichkeiten sind – Zebus riesig sind und Perlen um den Hals tragen – Servierpersonal sich von unserer guten Laune anstecken lässt und umgekehrt – Ochsenkarren und Luxusbarken nicht unbedingt zusammen passen – Nicht nur die Roten Khmer es NICHT schaffen werden, Stätten wie Vihara die innere Weihe zu rauben. Hoffentlich.

Irgendwie habe ich heute ständig das Gefühl, dass sich die Kambodschaner fragen müssen, wie es sein kann, dass so ungelenke, massige und schwitzende Menschen, die so offensichtlich nicht hierher gehören und ohne Leitung rettungslos verloren wären, in der Welt ganz offensichtlich so viel mehr zu sagen haben als sie selbst?
Nun, auch und gerade wir brauchen die Chance zur wirklichen Begegnung, um auch ein bisschen was von uns selbst preisgeben und menschlich werden zu können. So sind wir für das Servicepersonal im Restaurant längst eine schöne Abwechslung, und niemand stört sich, dass wir immer am längsten hocken bleiben, so dass nicht abgeräumt werden kann. Der Blickaustausch wird wacher, das Nicken mit dem Kopf stärker, und schliesslich steckt das Lachen gegenseitig an, und wir können zeigen, wie sehr wir den Service schätzen. Es ist toll, das Gefühl zu haben, beim Essen auf der Terrasse des Schiffes geradezu ungeduldig erwartet zu werden.
Auf dem Ochsenkarren sind solche Begegnungsbrücken zu den Passanten und Anwohnern eher schwer herzustellen. Davon zeugen die Gesichtsausdrücke, die ich ausmachen kann und die zwischen Freude, Amusement, Verwunderung, Unverständnis bis Ärger in allen Schattierungen schwanken. Da hält man sich am besten an die Kinder. Für die ist unser Umzug schlicht Abwechslung und Gaudi. Und daran hält man sich dann gern, und so lässt sich so manches Touristenherz begeistert auf die Idee ein, in den Verkaufsständen an der Strasse auf dem Rückweg Süssigkeiten zu kaufen und diese unter den Kindern zu verteilen, lieber etwas mehr als weniger.
Am Landungssteg unserer Barke fotografiere ich einen Schuljungen, und dann ist der Teufel los, als ich ihm das Bild auf dem Display zeige. Nun wollen alle vor die Kamera, oder fast alle. Darauf verbringe ich eine halbe Stunde mit den Kids, in denen Blicke allein genügen, um uns zu verständigen. Und ich bekomme einen faszinierenden Einblick in eine Gruppe Kinder, die hier wie überall auch schon nach Regeln funktioniert, und so mache ich darin die lauten und die starken, aber auch die stillen und nachdenklichen Typen aus. Und gehe danach aufs Schiff, wo ich mich erst einmal in den Bug setze und eine Viertelstunde voller Dankbarkeit verweile. In Gedanken wünsche ich jedem einzelnen dieser jungen Menschen ein Füllhorn voller Glück.



Duschen. Im Bademantel in der klimatisierten Kabine auf dem Bett liegen. Rausgucken. Mango essen. Es geht mir so gut.
Beim Nachtessen haben wir es mit unseren neuen Freunden wieder richtig lustig, sehr zur Freude des Servierpersonals. Für sie sind wir „die, die immer lachen“. Nun ja, ich habe zB. Peter vor zwei Tagen gefragt, was denn „schwimmendes Dorf“ auf Französisch heissen würde, doch nicht etwa „village nagé“? Dieses „flottant“ kam mir einfach nicht in den Sinn (wie vieles andere auch nicht). Seither neckt mich Catherine immer mal wieder damit. Jetzt fragt sie uns, ob wir morgen den Ausflug mitmachen würden? Der gehe auf einen stark gesteigerten Berg und dann 500 Stufen wieder runter. Wir einigen uns darauf, dass mein „geschwommenes Dorf“ durch Christines „gesteigerten Berg“ neutralisiert wurde. Und lachen natürlich. Und wie.
Aber wir können uns auch ganz ernsthaft unterhalten. Ja.
Den Ausflug morgen machen wir wohl nicht mit.


[Alle Bilder des Tages finden Sie hier ]


Der Beitrag wird wie alle Reiseberichte nach einigen Tagen in die entsprechende Sektion verschoben.