Reflexionen

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Mit Lebenslust ein Leben lang, mindestens


Australien 2007 - Tag 9

∞  31 März 2008, 20:59

Erlebt am 01. November 2007 –
vom Mt. Eccles NP nach Mt. Gambier

Dem Regen seinen Willen lassen



Wir sind so ne Art gestrandet. Ich schreibe diese ersten Tagesnotizen in mein schwarzes Büchlein, während der Regen an die Scheibe klopft. Viel mehr als diesen gesichtslosen Parkplatz, der eben einfach ein Parkplatz ist, werde ich von Cape Bridgewater nicht mehr sehen. Es reicht mir auch. Ich bin noch immer ein bisschen durchgefeuchtet…

Wir haben am Morgen zeitig geschaut, dass wir Land gewinnen, wie man so schön sagt. Keine Sonne zwischen den Baumwipfeln, die Koalas irgendwo im Tagesschlaf, ein grauer Himmel, der keinen Aufschluss über sein Schleusenmanagement geben will… Also räume ich das Zelt zusammen und schaffe es auch diesmal, bevor die ersten Tropfen fallen. Zum Frühstück bittet die beste Camping-Frau von allen für einmal ins gemütliche Motorhome, das zwar nicht viel mehr tatsächlichen Charme hat als eine ausgekleidete Blechkiste, aber das kann man nun wirklich nur bei schlechtem Wetter so ungerecht formulieren. Wir beobachten über die Müesli-Schalenränder schweigend und andächtig, wie draussen der Picknicktisch die Regentropfen aufsaugt, als wäre er ein Schwamm.

100 Kilometer Fahrt sind es bis zum jetztigen Standort, wo wir vor ein paar Stunden uns hingestellt haben. Aber wir wollen nicht klagen. Die Treppe runter, an den nahen Strand, und da dreihundert Meter zum Eingang des Dörfchens, und da steht es: Das Restaurant mit der Holzbolenwand und den knarrenden Dielen, den verregneten Stuhltürmen, die völlig grotesk auf die Sonne warten – und dem Wichtigsten: einer Tür mit dem Schild: WE ARE OPEN.

Es sind die besten, wenn auch vegetarisch unkorrekten Scones, die ich je in Australien gegessen habe. Schön butterig, mit Speckknötchen drin, wunderbar heiss und luftig gebacken, und dazu gibt es einen Capuccino, in einer Tasse, so gross der Durchmesser wie bei uns die Unterteller. Und dann brechen wir doch auf, tauschen die Plätze mit der Motorradkolonie, die ihre nassen Lederkombis über die Stühle hängt und den Raum mit schwarzer Rockerkluft verdunkelt, während ein fröhliches Lachen durchs Lokal schwingt. Draussen ist es noch grauer geworden, und ich kann beim besten Willen nicht erkennen, was mich jetzt in ein Schlauchboot steigen liesse, das da eben eine Touristengruppe mit Ölzeug-Klamotten aufzunehmen versucht und dabei immer wieder über die Wellenkreten der Brandung in die Luft sticht, bis sie endlich alle darin sitzen, umgeben von der Gischt der Schaumkronen und dem Nebeldampf des Nieselregens. Da laufen wir doch lieber. Der Küste entlang zur Pelzrobbenkolonie, die hier ganzjährig anzutreffen sei. Und tatsächlich, da liegen sie dann auch, tief unten auf ein paar Felsvorsprüngen, stoisch, im bizarren Gegensatz zur auch hier heftigen Brandung, die schon den ganzen Weg über uns immer an der Küste begleitet. Die See ist rauh im Süden Australiens…

Zum Glück ist der Weg kürzer, als die angegebenen 2.5 Stunden (one way), aber wir haben auch so nicht viel Lust zum langen Verweilen, und so machen wir uns auf den Rückweg. Der Fotoapparat bleibt in der Tasche. Hundewetter für Hundefotos, die dann irgendwo gemacht worden sein könnten von irgendwas.
Nach dem Frühstück haben wir nun auch das Picknick im Auto veranstaltet. Das Wetter lässt uns die Weiterfahrt direkt nach Mt. Gambier planen, was bedeutet, dass wir die Früchte alle vertilgen müssen. Zudem werden die Tomaten zu einer Sauce gekocht, alles im Auto natürlich. Wir werden die Fruchtfliegengrenze überqueren, und da ist der Transport von Früchten sowie von Gemüse streng verboten. Es hagelt sehr saftige Strafen, haben wir gehört, wenn bei einer Kontrolle eine einzige Frucht gefunden wird.

Das eintönige Wetter würde es erlauben, den Blick nach innen zu richten und für einmal mit den Gedanken zurück zu schweifen zu den vielen Höhepunkten, die schon hinter uns liegen und sich doch noch nicht gesetzt haben. Befriedigt dürfen wir bilanzieren, dass wir alle bisherigen Herausforderungen auch als reine Hobbyindianer aus der Grossstadt durchaus heldenhaft gemeistert haben. Aber die Weiterfahrt strengt mich an. Der Regen auf der Scheibe scheint fast zu kleben, die Scheibenwischer sind entweder zu schnell oder zu langsam.

Erst als uns Emus auf einer Wiese am Wald auffallen und wir einen Halt machen, beschert mir die willkommene Abwechslung einen wieder wacheren Verstand.

Mt. Gambier ist eine grosse Stadt – und das bedeutet in Australien vor allem, dass sie sich in der Fläche ausdehnt. Die Strassen sind breit und ganze Strassenzüge sind gesäumt von Gebäuden, die den Charme unserer Gewerbequartiere haben, mit Foodstores in viereckigen Längsbauten und einem ziemlich üppigen Verkehr, der sich allerdings nicht allzu hektisch über die Kreuzungen schiebt. Unser Caravan-Park liegt mehr oder weniger mittendrin und doch irgendwie völlig daneben, an der Krummel Street, um genau zu sein, und krumm sind denn auch so manche Gestalten, die hier unvermittelt in ziemlich sinistren und verlotterten Caravans verschwinden, die ihre Fahrbarkeit nur noch als Idee behalten haben.
Das Tanken und Einkaufen im Woolworth geht flott. Wir sind schon richtig routiniert und es bewährt sich die Strategie, wenn möglich immer in der gleichen Kette einzukaufen: So finden wir uns schneller zurecht und brauchen dafür deutlich weniger Nerven.
Die Verwaltung des Caravanparks in der Person einer älteren Frau mit schlohweissem Haar und ansehnlich massiger Statur kommt mit bemerkenswert knappen Kommunikationsmitteln aus. Auf meine Frage, ob ich mit Kreditkarte bezahlen könne, deutet sie auf das Visa-Schild und den Vermerk darunter (ab 30 AUSD). Meine Frage nach der Uhrzeit lässt sie über meinen Kopf hinweg starren, so dass ich dem gleichen Zeigefinger folge, der mich den Hals verdrehen lässt, um hinter mir über der Tür die Uhrzeit ablesen zu können. Und natürlich hat sie auch für die Öffnungszeiten ein Schild, zu dem ihr Zeigefinger passt. Beim Verlassen der „Reception“ weiss ich, warum die Kommunikation knapp gehalten werden muss. Die Tür provoziert bei jedem Öffnen einen hohen lauten Pfeifton, der auf dem ganzen Gelände zu hören ist. Bei jedem Ein- und Ausgehen der Gäste. Und es ist etwas los an diesem Abend… Ich würde schlicht verrückt werden, müsste ich das in diesem Kabuff über mich ergehen lassen.

Wir haben zum ersten Mal „powered site“ gebucht, also mit Stromversorgung, wir schlafen zum ersten Mal im Auto –hier stellt kein Mensch ein Zelt auf – und wir kochen zum ersten Mal Stocki (Kartoffelstock / Kartoffelbrei), den wir mit exakt jener Tomatensauce aufpeppen, die wir vor der Fruchtfliegengrenze erfunden haben. Thinkabouts Wife hat wohl etwas zuviel davon genossen, und so liegt sie mit durchaus respektablen Schlafgeräuschen schon über mir im Schlafgemach, während ich um neun Uhr abends die Uhren eine halbe Stunde zurück stelle. Wir sind in Süd-Australien angekommen.

Meine letzte Verrichtung dieses Tages ist der Versuch, die Nähte meiner Geldbörse mit Klebeband zu dichten. Die Strapazen der Mongoleireise und Südaustralien haben ihr den Rest gegeben.
Wie früh doch auf Reisen die Nacht ihr Recht bekommt…

Das war kein Tag für Photos. Obwohl auch Mt. Gambier seinen Reiz hat, wenn man abends noch vor die Tür geht und den Kopf hebt, oder wenn man im Waschsalon nicht die Wäsche sortieren muss…