Reflexionen

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Australien 2007 - Tag 4

∞  26 Februar 2008, 19:08

Erlebt am 27. Oktober 2007 – Vom Wilsons Promontory National Park nach Traralgon

Nicht nur auf Irrwegen



Heute heisst es zum ersten Mal Aufbruch. Südöstlich von Melbourne beginnt jetzt praktisch erst die Reise: Die Ost-West-Passage Australiens entlang seiner Südküste von Melbourne nach Perth.

Wenn man so viel vor hat, steht man in der Regel zeitig auf. Dennoch stelle ich verblüfft fest, dass unsere Nachbarn schon weg sind. Still und heimlich, ohne dass wir auch nur das Geringste mitbekommen hätten, sind sie schon auf langer Fahrt. Das Heer der Caravan-Reisenden ist gerne frühzeitig am nächsten Bestimmungsort, damit der Tag nicht nur aus Reisen besteht.

Wir wollen allerdings unsere Reisestrecken immer wieder durch kurze Ausflüge unterbrechen und werden heute erstmals erfahren, wie gut sich das umsetzen lässt. Erst aber heisst es, nach Frühstück und Zeltabbau, noch Wasser zu fassen. Der Buschcamper hat einen 40-Liter-Wassertank, mit dem die eingebaute Spüle betrieben werden kann. Bisher haben wir jeweils am öffentlichen Spültisch abgewaschen. Immer wird das nicht gehen oder ratsam sein… Ich bringe also meinen Arli21, wie wir unser Auto in Anlehnung an seine Autonummer nennen (wenn meine Frau einem Auto einen Kosenamen gibt, kann fast nix mehr schief gehen), am Wasserhahn in Stellung. Ergebnis: Der Tank war – im Gegensatz zu Peters Bedauern, die ganze Zeit voll… Ich hole mir dafür nasse Arme und danach die Erkenntnis, dass auch in Australien (Wasser-)Tankverschlüsse einen Schliessmechanismus haben, dessen Funktionsprinzip sich mir einfach nicht erschliessen (sic!) will…

Irgendwann sitzt der Deckel dann doch fest und die Reise kann losgehen. Wenigstens spielt es keine grosse Rolle, ob Dich jemand beobachtet. Du bist eh einer der letzten, die aufbrechen und doch irgendwie auf der Flucht. Wen und was Du zurück lässt, siehst Du wahrscheinlich nie wieder.

Unsere Fahrt beginnt mit einer traumhaften Route durchs Tarra-Valley: Eine schmale, asphaltierte Strasse die sich parallel zum Fluss durch ein enges kleines Tal windet, mitten durch ausladend üppige Farnwälder.

Die Tarra-Falls sind zwar nicht sehr spektakulär, aber vielleicht liegt es ja am tiefen Wasserstand? Spazieren kann man hier allerdings nicht, und so kehren wir schnell zu unserem Auto zurück, wo wir uns nicht halb so verloren vorkommen wie eine versprengte Gesellschaft in sehr festlichen Kleidern, wobei sich nicht alle wirklich zu kennen scheinen… Ganz offensichtlich soll hier eine Hochzeit gefeiert werden. Ein älterer Herr mit einigermassen lichtem Mittelscheitel und einem festlich verzierten Gilet tigert nervös den Parkplatz rauf und runter, dabei immer eine blasse junge Frau im Schlepptau, die kaum weiss, wo sie sich hindenken soll.

Wir legen unsere Rucksäcke ins Auto und machen uns so schnell wie möglich davon, fühlen wir uns doch genau so deplatziert mit unserer hier bizarr wirkenden Wanderausrüstung.

Der Tarra-Bulga National Park ist ja weniger wegen diesem Rinnsal eines Wasserfalls eine Reise wert, sondern wegen des wunderschönen Rundgangs, nur einen km weiter, durch einen dichten Farnwald, dessen einzelne Exemplare unglaubliche Dimensionen erreichen. Vor uns türmt sich an einem Berghang mitten im Wald eine beeindruckende, alles zu verschlucken scheinende Wand aus Riesenfarnen auf.


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Der Cyanthea-Wasserfall ist dann eher wieder mehr eine schöne Idee der Natur als wirklich ein beeindruckendes Wasserspiel. Die Exotik der Fauna aber ist einmalig.
Auf dem Rückweg platzen wir mitten in – die Hochzeitsgesellschaft. Und da finde ich denn auch meinen unruhigen älteren Herrn wieder – es ist der Pfarrer, der also auch her gefunden hat, und er schickt sich eben an, mitten auf einem schmalen Steglein des Wanderwegs dem Brautpaar die magischen Worte zu entlocken. Wir zwängen uns, die besten Wünsche flüsternd, an der ganzen Aufregung vorbei und ziehen uns zurück.


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So rechtzeitig werde ich wohl keinem Brautpaar mehr in meinem Leben alles Gute wünschen – nicht mal als Brautführer. Ein ziemliches Kunststück, wenn man bedenkt, dass wir nicht mal eingeladen waren…

Wir fahren weiter nach Balook. Von dessen Visitorcenter aus kann man auf verschiedenen Rundwanderungen die Vegetation bestaunen. Die Farne sind hier nicht so zahlreich – aber die Höhe der Bäume und der dadurch entstehende mächtige Eindruck der Wälder ist einfach beeindruckend. Durch die Höhe und Lichte des Blätterwaldes ist es nicht dunkel, aber stets schattig. Trotzdem ist es dem Star dieser Gegend eindeutig zu hell, zu heiss oder einfach zu laut, um sich zu zeigen: Einen Leiervogel (Lyrebird) sehen wir nicht.



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Am besten gefällt mir der Rundgang zur Hängebrücke. Er führt tief in eine kleine Schlucht und bietet einen exzellenten Schnupper-Eintritt in eine urwaldähnliche Landschaft – ohne Angst vor dem gar zu fremden (kleinen) Getier… Für Dschungel-Frischlinge ein idealer erster Kontakt mit dieser Welt.


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Unser Tagesziel heisst Traralgon. Für uns ist das in erster Linie der Ort unseres Caravan Parks und eine Einkaufsgelegenheit, bevor es morgen dann durch Melbourne Richtung Westen gehen soll. Traralgon scheint sich für unsere Missachtung rächen zu wollen. Auf jeden Fall können wir den Caravan Park auf Anhieb – direkt am Highway, nicht finden. Das Tempo des dichten Verkehrs ist so hoch und die Hinweistafeln sind so klein, dass wir zu weit fahren. Und dass hier eine Abzweigung links ODER rechts, also den Gegenverkehr kreuzend, wegführen kann, macht es nicht gerade leichter. Als wir endlich ankommen, sind wir auf jeden Fall ziemlich genervt. Das kümmert den Besitzer nicht gross. Dafür sind wir eine zu flüchtige Episode in seinem stoischen Leben. Immerhin sind wir Grund genug, dass er sich ausführlich den Kopf kratzen muss, als er erfährt, dass wir vor neun wieder aufbrechen wollen, weil der Campingplatz erst um neun “aufmacht”. Die Lösung präsentiert er, als wäre sie ihm erstmals eingefallen, aber er zeigt mir dann durchaus gutmütig, wo ich den Schlüssel am Morgen deponieren kann, und schon können wir uns mit dem Zeltaufbau beschäftigen.

Danach ist es höchste Zeit zum Einkaufen. Da landen wir erst in einem Subway, statt im Safeway. Da wir aber nicht so gefrustet sind (wieso auch?), dass wir uns heute ausschliesslich flüssig ernähren wollen, zockeln wir also noch ein paar Strassen weiter. Die Leute sind nett, aber irgendwie kürzer angebunden als in den 90er-Jahren an der Westküste. Und in den Läden, das ist uns schon gleich zu Beginn aufgefallen, trifft man nicht zu selten auf ziemlich verwahrlost wirkende Menschen. Eine Frau in speckig verfleckter und löchriger Trainerhose, die auf den kalten Fliesen barfuss war, habe ich noch heute vor mir, als stünde sie tatsächlich hier. Viele Menschen haben auch Übergewicht, und die Lebensmittel sind denn auch teuer – zumindest Gemüse und Früchte… Die Lebenshaltungskosten für den täglichen Bedarf dürften – gemessen am Einkommen – sehr viel höher sein als in der Schweiz und sicher auch als in Deutschland.

111.11 Liter Diesel für 151 AUSD. Eine Schnapszahl, die einfach Glück bringen muss. Und ein spezielles Gefühl, mit so grossen Tanks unterwegs zu sein.

Die Schatten werden schon länger, als wir endlich alles im Auto verstauen und ans Kochen denken können. Es ist windig, weshalb wir es vorziehen, in der Gemeinschaftsanlage zu kochen, 50 m von Auto und Zeltplatz entfernt.
Die Kochstellen und vor allem die Tische sind allerdings nicht sehr sauber, wegen fehlender Gewürze oder anderer Utensilien laufen wir x-mal hin und her – es ist eindeutig:

Hier müssen wir gar nicht erst versuchen, anzukommen. Wir haben eingekauft, das Zelt wartet und morgen sind wir weg. Dort, wo die Gedanken schon sind. Auf der Fahrt quer durch Melbourne.