Reflexionen

In Wort und Bild gesehen, gedacht und gefühlt
Zum Betrachten, Nachdenken, Mitdenken, Vordenken
Mit Lebenslust ein Leben lang, mindestens


Australien 2007 - Tag 29

∞  8 Januar 2009, 23:30

Erlebt am 21. November 2007 – Eco Park CP (Valley Of The Giants)

Der totale Frust und seine Überwindung



Wir schlafen sehr, sehr gut, auch wenn wir schon um halb sieben wach sind. Aber das ist im Zelt normal. Es ist taghell unter der Kuppel. Ein kurzer Augenschein – und wir wissen, die Sonne wird uns den ganzen Tag über anstrahlen. Also bleiben wir definitiv hier – und feiern das mit nochmals 90 Minuten Tiefschlaf.
Dann hält uns nichts mehr im Zelt und wir krabbeln blinzelnd in die Welt hinaus, nachdem ich meinem einzigen und besten Kameraden ausgiebig den Rücken mit der neuen Salbe eingerieben habe. Die Schwellungen beginnen sich teilweise schuppenartig zu schälen – als hätte sie eine schwere Form von Psoriasis.
Dann geht meine Frau “ins Bad”, und ich bereite das Frühstück vor – heute bei Windstille endlich mal wider an unserem romantischen Klapptisch, der so gemütlich vor sich hin wackelt, wenn man ihn ein wenig berührt. Ich agiere in Zeitlupe, aber wir haben ja so schön Zeit. Die fröhliche Stimme von Thinkabouts Wife, mit der sie mich auf den wundervollen Morgen aufmerksam macht, berührt ganz weich meine Seele. Ich blinzle in die Sonne und lächle die Welt an. Dann amüsieren wir uns einmal mehr über die australischen Brote, die äusserst Campingtauglich sind: Grosse platte Scheiben, die man wunderbar in ein Tupperware falten kann oder eben in der Hand krümmen, ohne dass sie brechen. Und dann hören wir es: Es bricht etwas ganz Anderes: Zwei Mal ist es kurz nacheinander zu hören, das hässliche Knacken, das von einem finalen kurzen trockenen Knall verschluckt wird. Wir wissen: Nun sind gleich beide Zeltstangen gebrochen…
Nun, wir haben ja noch Ersatzmaterial – vorerst legen wir einen ledernen Arbeitsschutzhandschuh unter die Membran des Oberzelts, damit die Fiberglas-Splitter die Oberhaut nicht ganz aufreissen – und dann setzen wir uns wieder hin und frühstücken weiter.
Erstaunlicherweise lassen wir uns nicht aus der Ruhe bringen, auch wenn wir natürlich schon sehr bald die Möglichkeiten diskutieren, die uns noch bleiben, um das Zelt zu flicken. Wir sind durchaus guter Dinge, denn wir haben ja noch Ersatzmaterial. Nur: Besser im Schuss ist das wohl auch nicht. Wie kann man nur einen solchen Schrott produzieren? Und: Nie mehr ein Zelt mit Fiberglas-Stangen! Es geht nix über Aluminium, das sage ich Ihnen!
Ach ja, ein Waschtag ist der heutige Tag ja auch. Leider ist der Dryer defekt. Der alte Mann bringt uns also unsere zwei AUSD wieder zurück – und lässt uns eine rostige Blechdose mit Wäscheklammern da. Eine Wäscheleine gibt es hinter dem Waschraum. Also alles paletti. Am Ruhetag, an dem wir ausspannen wollen. Immerhin muss ich nun nicht überlegen, ob wir ins Dorf fahren wollen – und in welches.
Während wir also die Wäsche in einer dieser urigen “amerikanischen” Trommel-Waschmaschinen sich selbst überlassen, machen wir uns an die Reparaturarbeiten.
Wir ziehen total drei Versuche durch. Erst ersetzen wir die kaputten Teile und Abschnitte schlicht durch “neue” aus dem ersten Zelt. Der Versuch scheint erfolgreich, und ganz enthusiastisch meint meine Liebste, jetzt wo wir den Dreh raus hätten, könnten wir ja auf Vorrat gleich noch eine Stange basteln – genau fünfundvierzig Minuten nach dem ersten Neubau weiss ich: Wir werden sie sofort brauchen können. Ich HASSE dieses Geräusch!
Wenn das Einsetzen eines Ersatzabschnitts schon nicht funktioniert, dann eben mit sieben statt acht Elementen pro gekreuzter Dachstange. Aber im Resultat hängt das Innenzelt so traurig darnieder, dass aus dem 3-Personen-Zelt ein 1-Kind-Zelt geworden ist.
Dann setzen wir aus der Vorzeltstange des ersten Zelts zwei Teile ein, die beide ein bisschen kürzer sind – so gibt es weniger Zug aufs Zelt – dennoch bricht erneut ein Teil.
Total haben wir bestimmt dreieinhalb Stunden mit diesen Episoden zugebracht. Und wenn wir uns mal wieder setzten, schwammen bestimmt schon die Fliegen im Vanilla-Chai-Kaltgetränk. Grund war also genug, zwischendurch die Wäsche aufzuhängen. Der Mensch braucht ja hin und wieder ein Erfolgserlebnis:
Die Wäsche war ja auch so was von fertig. Mit dick auftragenden Waschpulverstockflecken, weil die Wäsche in der Trommel gar nicht genügend bewegt wird, um sich genügend und locker zu durchmischen. Immerhin: Trocken wurde die Wäsche an diesem Tag, und auch wenn wir sie nicht unbedingt anziehen wollen, die üblen Gerüche sind auf jeden Fall weg…
Mir bleiben von diesem Tag die Bilder, die wir zwischendurch in unserem Frust für jeden, der uns betrachtete, abgegeben hätten: Wir hingen in den Klappstühlen, schlicht am Ende mit unserer Moral und damit hadernd, dass, kaum wollten wir uns Ruhe gönnen, eine Havarie geschehen musste, um uns genau daran zu hindern.
Die Fliegen waren deshalb nicht weniger aggressiv und meine Frau juckte das alles herzlich wenig, weil es sie eben juckte. Verflixt und zugenäht, was für ein Tag!
Und dennoch: Wir bewiesen am Ende doch moralische Stärke, flickten das Zelt so zusammen, dass wir es stehen lassen konnten oder einfach wollten, auch wenn es nun eine sehr markante gotische Spitze hatte, und machten uns auf Entdeckungsreise durch die umliegende Landschaft.




Besonders auffallend war dieser Baum, von dem man das Gefühl bekam, als würde er völlig von grossen Blüten bedeckt sein. Doch wenn Sie näher treten, können Sie bemerken, dass die eigentlichen Blüten eigentlich ganz klein sind:




Bald würde das Licht wieder weicher werden, und uns erwarteten ein paar milde Abendstunden mit schönen Begegnungen.
Wir machen uns dabei schnell klar, dass das, was uns so nervt und müde macht, in nichts wirklich ein Problem ist oder diesen Namen verdiente, zumindest das Zelt nicht, und dass wir allen Grund haben, diesen Ort zu geniessen. Und so jage ich dann also über viele hundert Meter einem immer wieder vor mir her hüpfenden Fairy Wren nach, bis ich ihn und seine Frau tatsächlich fotografieren kann. Und, Mensch, er ist wirklich ein “Splendid Fairy Wren”. Ich habe noch nie ein leuchtenderes Blau in einem Federkleid gesehen. Ist dieser kleine Kerl äusserst quirlig und kaum auf Film zu bannen, so ist der Western Rosella, dem wir begegnen, äusserst geduldig und gelassen, während eine grosse Mutter Känguru ihr Kleines nicht so richtig zeigen will, während wir alle von einem Kragensittich, der in einem von weissen Blüten verschneiten Busch thront, beobachtet werden.




Und dann kehren wir zu der Reihe von Gebüschen mit den grossen, markanten roten Blüten, die wie grosse Flaschen-Bürsten wirken, zurück. Und tatsächlich: In der Dämmerung sind sie wieder da, die emsigen, nervösen und ruhelosen kleinen Vorturner, drei, vier Zentimer grosse Honey Possums, die mit ihrer langen Zunge nach dem Nektar forschen und dabei mit ihrem Kopf tief in den roten Blütenständen versinken.




Danach zieht die Dämmerung rasch auf, und es wird empfindlich kühl – und sehr feucht. Diese Feuchtigkeit wird sich auch schnell auf die Aussenhaut des Zeltes legen – hoffentlich nur auf sie… Es ist auf jeden Fall Zeit für den Schlafsack. Gemütlichere Orte gibt es im Moment hier nicht.


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Der Text wird in ein paar Tagen in die Sektion GEREIST verschoben.