Reflexionen

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Mit Lebenslust ein Leben lang, mindestens


Australien 2007 - Tag 27

∞  31 Dezember 2008, 21:01

Erlebt am 19. November 2007 – Von Mt. Barker nach Albany (Caravan Park)

Weggespülte Nerven



Nicht selten sind wir von Krähen geweckt worden. Das ist hier anders. Hier sorgt der lachende Hans für nachhaltig wirksame Aufwachhilfe. Irgendwie scheint ihm das noch mehr Spass zu machen als alles andere – oder kommt es mir in meiner Schlaftrunkenheit nur so vor, dass sein Lachen heute Morgen besonders hämisch klingt? Auf jeden Fall ziehe ich die unglaubliche Vielfältigkeit seiner Geräuschpalette dem montonen und nervenden Krächzen von Krähen eindeutig vor und gönne ihm seinen Spass.

Das Frühstück im Auto ist nicht so lauschig, aber draussen ist es noch viel weniger idyllisch: Es bläst ein harscher Wind… Dass er nur ein Vorbote von noch garstigerem Wetter ist, ahnen wir noch nicht…

Ich kontrolliere das Motorenöl. Alles o.k. Aber unter dem Auto hat sich über Nacht eine kleine,verräterische dunkle Marke gebildet. Wahrscheinlich verliert die Gearbox wieder Öl.

Auch im Porongurup National Park kann man einen so genannten Scenic Drive befahren. Hier aber beeindrucken uns vor allem die Eindrücke, die wir zu Fuss gewinnen: Gefällte oder noch mit dem Boden verwachsene schwarz verkohlte Baumstämme, die einen atemberaubenden Kontrast mit einer uns völlig fremden Moosart bilden, die den Boden satt rot-orange überwuchert. Eine für unsere Augen sehr fremde Szenerie herrscht in diesen Wäldern…




Dann beginnt es zu nieseln, und wir machen, dass wir weiter kommen. Denn dieser Park hat ein paar besondere Sehenswürdigkeiten:
Ein mächtig hoher Baum wächst direkt aus einem Felsen.




Bei der Besichtigung sticht gleich hinter mit ein Kookaburra zu Boden und hüpft danach mit einem fetten Insekt im kräftigen Schnabel ins höhere Gras. Ich hab’s wirklich mit diesem Vogel auf dieser Reise!

Nun beginnt es zu regnen, dann scheint die Sonne wieder, dann haben wir beides zur gleichen Zeit… Der Platz ist von vielen Metern orangem Signalband umgeben und die Wanderwege sind abgesperrt: Das kürzliche Buschfeuer hat die Bäume so angegriffen, dass es wegen möglicherweise runter fallender Äste zu gefährlich wäre, zu wandern. Also ziehen wir uns ins Auto zurück. Gerade, als wir uns entschlossen haben, schon mal weiter zu fahren, setzt sich vor uns ein kleiner schwarzer Vogel mit feuerroter Brust auf einen Zaunpfosten. Ich habe durch die Windschutzscheibe und danach im Schutz des Informationsstandes genügend Zeit, dem Kerlchen und seiner Frau nachzustellen, auch wenn es nicht gerade hell ist – es sei denn, die Sonne scheint wieder mal unvermittelt durch Wolken- und Blätterdecke.




Dann ist es aber Zeit, tatsächlich weiter zu fahren. Wir suchen den Balanced Rock, einen stark erodierten Felsen, der auf einer Bergwanderung zu besichtigen sein müsste und ziemlich abenteuerlich aussehen soll, als käme er einem nächstens entgegen… Wir können allerdings den Weg da hin nicht finden, aber ein wenig zu wandern, wäre wirklich schön, und so machen wir uns auf den Weg. Nach etwa fünfhundert Metern (und zum Glück nicht erst nach fünf Kilometern) beginnt es plötzlich wie aus Kübeln zu giessen und wir hasten inmitten einer Schar Jugendlicher, die ihren Reisebus ansteuern, zurück zum Parkplatz. So schüttet es bei uns nur mit Blitz und Donner bei einem Gewitter – hier ist das eine Art Landregen, scheint es…

Wir legen beim Unterstand eine Verschnaufpause ein und spurten danach nasstriefend zum Auto. Das war’s dann mit dem Park und wir machen uns auf den Weg nach Albany. Es sind nur 45 Kilometer, aber wir waren schon gelassener beim Autofahren. Irgendwie ist das ein ziemlich trüber Tag.

Albany ist eine recht grosse Küstenstadt und der Verkehr auf der Einfallstrasse ziemlich beeindruckend. Dennoch finden wir für unser dickes Auto recht einfach einen Parkplatz mit Parkerlaubnis für zwei Stunden. Das Zentrum Albanys ist dann auch nicht so gross und recht übersichtlich.




Das passt: Wir möchten nämlich heute erstmals (!) ganz bewusst auswärts essen und das Kochen dann abends sein lassen. Das ist allerdings für Vegetarier und europäische Vorstellungen eines gediegenen und doch unkomplizierten Mittagsschmauses gar nicht so einfach. Aber wir finden sogar einen Italiener! Leider hat der nur abends geöffnet. Dann sind da noch ein paar Restaurants, für die wir in Camperkluft kaum zur angesagten Klientel gehören, und so hängen wir irgendwie auf der Hauptstrasse fest und fühlen uns ein wenig wie Pinguine jenseits aller Fischgründe…

Die Erlösung ist ein Schild in einem Fenster: 15-AUSD-Menus inklusive Getränk – und es gibt sogar zwei vegetarische Vorschläge im Angebot. Der Laden ist so was von busy und wuselig, dass wir da gut reinpassen als Farbtupfer, und ausserdem haben wir vorgelagert in einer Art Wintergarten ohne Garten eh unsere Ruhe. Gerade leicht ist das Futter allerdings nicht, und es liegt dann Thinkabouts Wife auch sogleich eher schwer auf dem Magen…

Dennoch bleiben wir hart im Nehmen und erfolgreich: Ich erstehe einen Hammer! Nach bald vier Wochen bin ich damit für das Campieren mit Zelt ausreichend ausgerüstet.

Wenn wir schon dabei sind, muss endlich auch etwas her, das meiner Frau gegen die Ausschläge und Stiche und das damit verbundene Jucken hilft. Der Apotheker vermutet Sandfliegen, sein Gesichtsausdruck lässt aber nicht unbedingt vermuten, dass er so was schon mal gesehen hat… Ich kann mir auch vorstellen, dass die niedlichen Possums, die Thinkabouts Wife doch ziemlich nahe kamen, ein Andenken abgeladen haben. Was weiss ich… Wir ziehen auf jeden Fall mit einem uns unbekannten Heilmittel namens “Amcal Fexo 180” (eine Tablette pro Tag), oder so ähnlich, und einer Salbe bewaffnet und mit neuer Hoffnung weiter.

Einkaufen bei Woolworth geht mittlerweile äusserst geschmiert, und genau so rasant spurten wir dann zum Auto: Es regnet wieder mal gehörig. Über Albany gibt es einen Lookout, einen schönen Aussichtspunkt, zu dem auch ein Rundgang gehört. Als wir ihn erreichen, klart es auf, und wir können spazieren.




Bis es uns auf der runden Felskuppe fast wegbläst, so schnell und kräftig frischt der Wind auf – und dann sind wir schon wieder am Rennen, halb blind und aufs Geratewohl in ungefährer Richtung, wo wir unser Auto vermuten. Wir vermuten richtig, aber langsam stinkt mir das mit dem Wetter gehörig!

Also ab zum Carpark. Und der ist sehr schön. Ich liebe seine alten, riesigen Bäume. Nur das nach wie vor ständig wechselnde Wetter macht uns richtig fertig. Zelt aufstellen oder im Auto schlafen? Zelt aufstellen.
In einer Regenpause entschliesse ich mich dazu. In einer nächsten Schonphase richte ich das Innenleben ein. Dann klärt der Himmel auf und Sonnenlicht malt alles mit Farbe an. Und dann hagelt es!
Im Nu legen sich Wasserrinnsale um die einzelnen “Concrets”, wie die Standplätze genannt werden, und rund um jeden Zelthäring büscheln sich Hagelkörner, die vom Zelt purzeln…

Im Zelt ist es feucht, aber nicht nass. Und von was? Ich sehe keine undichte Stelle. Thinkabout’s Wife wollte übrigens unmittelbar vor dem Hagel eh zu Bett gehen. Und einfach mal schlafen… Und jetzt? Wenn das so weiter geht und wir mitten in der Nacht mehr oder weniger davon schwimmen? Wir entscheiden uns trotzdem, es zu wagen.

Nun, eine Stunde später, liegt meine Frau im Zelt. Einmal hat es in dieser Zeit wieder sehr stark zu regnen begonnen. Im Moment hält der Himmel still…

“O Gott, Vater im Himmel”, beginne ich zu beten, “und der einzige Beschützer, den ich habe: Schenke meiner Liebsten gründliche Linderung ihres Juckreizes. Sie leidet so sehr. Und uns Beiden eine gute, stille und trockene Nacht. Lass mich auf der weiteren Reise die Entscheidungen treffen, die uns das Leben in den letzten zwei Wochen erleichtern, nicht erschweren. Amen.”

Ich stehe ganz still vor dem Auto. Still ist auch meine Frau im Zelt, still ist es auf dem ganzen Areal, dabei ist praktisch jeder Platz belegt. Ich atme tief durch. Ja, es ist wahr: Ich fühle mich in diesem Moment wirklich sehr weit weg von jedem Zuhause.
Mein Blick dringt durch die Blätter über mir. Kein Stern steht in der Dunkelheit. Die Wolkendecke ist zu, bleibt selbst unsichtbar. Ein schwarzes Loch über uns.

Nie galt es deutlicher:
Mein Zuhause kann nur in mir sein. Dass ich bete, ist kein Zufall. Ich blicke auf das lächerliche Häufchen Stoff vor mir, in dem meine Frau liegt. Darüber das Blattgewölbe. Und hoch darüber das Wolkengeflecht, das unsichtbare Firmament der Sterne. Ein bisschen Wasserdampf reicht also aus, mich ins Schlottern zu bringen. Ich lächle vor mich hin. Wie heilsam diese kleine feine Übung dieses Tages für mich doch ist, wie schön, zu wissen, dass nichts wirklich Bestand hat, was nicht bei und in mir bleibt, dass Ängste und Sorgen gehen und kommen wie Wolken, aber auch wie Wasser in der Sonne verdampfen, wenn es Zeit dafür ist.

Jetzt ist es Zeit, schlafen zu gehen. Ich ziehe die klitschnasse Zeltbahn der Überhaut zur Seite und zwänge mich hindurch. Mein Schlafsack wartet auf mich. Ich lausche auf den Atem von Thinkabout’s Wife. Er geht langsam, ist tief und ruhig. Es wird alles gut.

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PS:
Auch hier funktioniert höchstens SMS. Ein bisschen, nein sehr ersehne ich die Verhältnisse zu Beginn der Reise, als ich mobil problemlos mailen konnte. Nun, ich habe hier ja auch sonst genug zu tun, um einigermassen “anständig” über die Runden zu kommen und die Wunder zu würdigen, die Gott uns jeden Tag in seiner Schöpfung sehen lässt.

PPS:
Thinkabout’s Wife hat am Abend noch Bruno angerufen. Der Autovermieter meint, der Ölverlust für die Gearbox wäre kein Problem. Glück auf also. Es sind nur noch etwas 1500 km.


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Und irgendwie finde ich, dieser Reisetag passt ganz gut zum heutigen Datum, darum wollte ich diesen Tag jetzt auch unbedingt noch zu Ende berichten:
Ein frohes Neues Jahr wünsche ich Ihnen, in dem Sie geborgen sind, alle Tage, an genau jenem Platz, an dem Sie leben.

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