Reflexionen

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Mit Lebenslust ein Leben lang, mindestens


Australien 2007 - Tag 24

∞  7 Dezember 2008, 17:24

Erlebt am 16. November 2007 – Von Hyden (Wave Rock)nach Fitzgerald River National Park (Campsite am Hammersley River Inlet)

Über einen hohen Gipfel zu stillen Wassern



Um halb sieben schälen wir uns schon aus den Schlafsäcken. Denn wir wollen nach der Morgentoilette rund ums gemütliche Frühstück Gelegenheit haben, bei verschiedenem Morgenlicht im Waverock zu fotografieren, was sich mit Gegenlicht und Schattenwürfen zwar reizvoll, aber auch schwierig anlässt. Aber die Perspektive, die diese erstarrte Welle bietet, und die Wucht ihrer Grösse, ist einfach atemberaubend.



Wir wollen heute in den Fitzgerald River National Park an den Hammersley River, oder den Hamersley River (es finden sich beide Schreibweisen), aber der Hammer erwischt uns schon bevor wir überhaupt starten – beim Zeltabbau. Da bemerke ich nämlich, dass wir erneut zwei gebrochene Zeltstangen haben. Die eine ist entzwei, wie wir es schon kennen – direkt an der Stelle, an der die Ummantelung des Fiberglas’ mit der Metallhülse des Endstücks beginnt. Die andere aber ist zerspittert. Wir merken es erst jetzt, weil die Stange den äusseren Bogen noch beschreibt und die zersplitterten Fiberenden sich nach unten abspreizen… Dennoch hat das Oberzelt ein neues, in seiner Art altbekanntes Loch bekommen…
Wie wenn das nicht reichen würde, hat mein Schatz immer mehr mit ihrem juckenden (Sandfliegen-?-)Ausschlag am ganzen Oberkörper zu kämpfen. Sie ist wirklich nicht zu beneiden und ich bewundere sie für den noch immer erstaunlichen Gleichmut, mit dem sie alles zu ertragen versucht. Dennoch sind wir die ersten hundert Kilometer beide recht still. Wir kämpfen neben einander mit unseren Nerven und wollen uns den blanken Ärger nicht gegenseitig um die Ohren schlagen. Wir finden einfach, es dürfte doch auch mal etwas normal laufen, einfach so mal, quasi zur Abwechslung; die Reise ist doch auch so schon lang und voller Strapazen. Aber nach dem inneren Durchatmen sprechen wir uns gegenseitig darauf an, können den Frust teilen und ihn damit halbieren.
Die phantastische Landschaft mit salzhaltigen Böden und riesigen Weizenfeldern trägt das Ihre zu grossartigen Ablenkungen bei.




Wir möchten auf einem der wenigen Picknickplätze gerne den neu gefundenen Frieden vertiefen und was essen. Doch es ist uns nicht vergönnt. Ausgerechnet jetzt und hier sticht, wenigstens noch bevor wir ausgestiegen sind, ein Pitbull aus den Büschen hervor und kläfft uns an. Der Kampfhund scheint Lust auf eine Sparringrunde zu haben, aber er ist damit alleine. Wir halten Ausschau nach dem Besitzer, sehen ein Auto zwischen den Bäumen stehen, sicher hundert Meter entfernt, aber kein Herrchen weit und breit. Entnervt verzichten wir auf die Rast und fahren weiter. Es passt heute wirklich alles zusammen…
In Ravensthorpe wollen wir den Besucherpass für den Fitzgerald NP erstehen, doch das Tourismusbüro hat seit halb zehn geschlossen…
Also weiter nach Hopetoun (das schreibt man wirklich so), und Hopetoun, liebe LeserInnen, ist wunderbar. Das Städtchen hat uns die Freude am Tag zurück gegeben. Vor allem das Paar, welches das Restaurant The Desk betreibt. Die Beiden beraten uns mit Kompetenz und Herzlichkeit, haben auch Parkpässe für uns im Angebot, und schaffen es, dass wir uns wieder nach vorn ausrichten und uns auf den weiteren Tag richtig freuen:
Schon kurz nach dem Eintritt in den Fitzgerald fahren wir am Culham Inlet vorbei. Diese Inlets in Südaustralien sind vom Meer abgetrennte Seen, gespiesen meist aus einem Fluss, aber so nah am Meer, dass das Wasser mangrovenartige Vegetation begünstigt, weil es oft doch etwas salzig ist.
Und der Park ist ein Blumenmeer! Thinkabouts Wife kann hier nach Lust und Laune der versprochenen Vielfalt an Blumen nachspüren, und deren Formen und Strategien zur Vermehrung sind tatsächlich äusserst exotisch. Nur schon die Banksien, deren Samenbehälter unter äusserster Hitze im Feuer aufspringen und erst dann ihre Samen ausstossen… Und es gibt davon die unterschiedlichsten Varianten!




Die Wanderung auf den East Mt. Barren verspricht ein echtes Highlight zu werden! Allerdings ist der Weg nach einer ersten kurzen Strecke auf einem Holzsteg, der über ein Feuchtgebiet gelegt ist, sogleich sehr rauh, steinig und steil. Die scharfkantigen Steine erschweren den Tritt. Da ich meiner Liebsten nicht versprechen kann, dass hinter der jeweils neuen nächsten Hügelkante, ausser der nichts weiter zu sehen ist, ganz bestimmt der Gipfel erreicht ist, schickt sie mich schliesslich selbst alleine weiter und will an einem schönen Aussichtspunkt auf mich warten.




Ich stürme los, denn ich weiss ja nicht, wie weit es tatsächlich ist und will Thinkabouts Wife nicht zu lange allein lassen, zumal auch etwas Wind aufkommt. Gleichzeitig muss ich mich dazu anhalten, Vorsicht walten zu lassen. Das Gelände ist wirklich ein wenig tückisch und der Weg nicht immer sogleich auszumachen. Nichts auszudenken, wenn ich mir hier oben allein das Bein breche oder auch nur schon stark den Fuss übertete…
Bis zum Gipfel muss ich denn auch tatsächlich zwei weitere Kreten überqueren, und doch stehe ich nach vierzig Minuten auf dem Gipfel. Dieser Weg wäre etwas für meinen Bergkameraden und besten Freund, mit dem ich jährlich mindestens eine Tour unternehme. Ich habe während des ganzen Aufstiegs ganz intensiv an ihn gedacht, und auch jetzt, während ich den Rundumblick geniesse, ertappe ich mich dabei, wie ich ihm in Gedanken zeige, was ich sehe. Für so was gibt es Fotoapparate! Denn die Aussicht ist phantastisch. Sie erlaubt einen Panoramablick über die ganze Küste, mit dem Culham-Inlet dahinter und einem weit ausladenden hügeligen Hinterland.
Und immer wieder vermag auch hier oben eine blühende Pflanze sich zwischen den Steinen zu behaupten, ja diese gar zu sprengen…




Dann stürme ich wieder talwärts, wo meine Frau in leichter Sorge auf mich wartet. Wieder vereint machen wir uns, nun ganz langsam und ohne Eile, an den Abstieg, uns immer wieder haltend.
Der Weg ist nicht so schwierig, wie es hier tönt, aber er ist auch nicht zu unterschätzen. Und für uns an diesem Tag in dieser Verfassung war er ein kleiner Lehrmeister für das vertiefte Erleben einer Gemeinschaft, die uns so unheimlich wertvoll ist – und er war uns auch Vermittler einer Schönheit, die, muss man sie sich verdienen, noch einmal ein grösseres Geschenk darstellt, und damit endlich auch mit einem wirklichen Staunen vom Herzen aufgenommen wird.
Der nächste Halt, nicht weit entfernt, bringt uns an nach West Beach, und ich erlebe innert kürzester Zeit die Extreme von Berg und Meer in einer ausserordentlichen Intensität. Hier soll es Delphine geben, die wir aber nicht sehen. Das Meer schlägt aber auch mit einer Macht gegen die Felsen, und die klirrend scharf scheinenden Klippen zerschneiden das Wasser, dass man sich diese Superschwimmer nicht einmal in den vorgelagerten Gewässern richtig vorstellen kann. Der Quarz unter den Sohlen aber tönt sehr vertraut…




Campieren können wir am Hammersley Inlet. Der hintere der beiden Campingplätze ist leer, der See nahe, und doch kann ich mich lange nicht entscheiden, wo wir uns hinstellen wollen. Habe die fixe Idee, ich müsste direkt am Wasser “liegen” können, nach diesem Tag, aber der möglicherweise aufziehende Wind könnte auch zum Problem werden… So eine Krux aber auch, wenn man die freie Wahl hat… Schliesslich gebe ich mich mit unserem rückwärtigen Platz zufrieden, und wir erkunden das Ufer zu Fuss. Die ganze Campsite ist leer, und wir sehen bis zum Morgen auch keinen Park-Ranger. Eine Letter- oder Geld-Box gibt es nicht. Wir übernachten also gratis und mutterseelenallein. Am Ufer scheint es allerdings nur eine Stelle zu geben, an der man sich aufhalten kann, ein Weg oder Pfad am See entlang scheint nicht zu existieren, und die Mangrovenbäume stehen meist so dicht zusammen über dem Unterholz, das sich überall zum Wasser hin verdichtet, dass wir lange glauben, es gäbe keine Möglichkeit, das Ufer abzuschreiten. Doch dann findet meine Frau einen ganz schmalen Zugang, und plötzlich öffnet sich ein Trampelpfad, der es uns erlaubt, ein paar hundert Meter entlang des Inlets vorzustossen. Das kann man sehr wohl so nennen, denn die Mangroven wuchern überall, und selten öffnet sich wirklich so was wie ein Weg. Aber die Entdeckungsreise entlang dem Ufer, von der Abendsonne in goldenes Licht getauft, lohnt die kleine Anstrenung sehr!




Das Zelt bleibt unangetastet… Wir bereiten wieder mal ein vegetarisches Chili zu, und verzehren dazu Tacos. Himmlisch ist das Leben doch! Vor allem, nachdem wir angesichts eines sehr stimmungsvollen Sonnenuntergangs sehr still geworden sind. Wir haben diese Augenblicke mit einem grossen Schwarm schwarzer Schwäne geteilt…




Es ist 21h42 – und wir sind wieder einmal bis tief in die Knochen hinein müde.
Der quälende Juckreiz und der Drang, sich zu kratzen, dem meine Liebste immer weniger widerstehen kann, macht mir Sorgen… Und von diesem Springen in meinen Gedanken zwischen Sorge und Staunen erlöst mich schliesslich der Schlaf, den die Müdigkeit gerufen hat und den ich selbst an diesem Abend noch längst nicht gefunden hätte…

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