Reflexionen

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Australien 2007 - Tag 20

∞  13 Oktober 2008, 16:53

Erlebt am 12. November 2007 – Von Eucla nach Balladonia (Roadhouse / Caravan Park)

Panne zum Dritten in der “geradesten Mitte”



Beim Zubettgehen galt meine Sorge in erster Linie dem nahen Hühnerstall, aus dem mich in der Abenddämmerung schon ein Hahn so herausfordernd gemustert hatte, dass ich mir lebhaft vorstellen konnte, dass sein Krähen ganz bestimmt so kraftvoll sein würde, wie es sein stolzer Kamm vermuten liess… Und ich nahm an, dass australische Gockel bestimmt so früh zum Tagwerk schreiten wie schweizerische…

Nun, geweckt werde ich heute Morgen denn auch von einem Krähen. Allerdings handelt es sich dabei tatsächlich um eine Krähe, die im Gebüsch gleich hinter dem Zelt eine Art Selbstgespräch führt, was sich für mich so anfühlt, als würde sie direkt neben meinem Kopfkissen hocken… Aber in der Nacht haben wir sehr gut geschlafen. Mag sein, dass ich gerade deshalb dann etwas schlapp durch den Vormittag schleiche: Wie wenn der Körper ein erstes Mal wünschte, er könnte mal etwas länger richtig “durchhängen”.

Das Mundrabilla Motel ist eines jener Orte, die in Australien eine Sehenswürdigkeit darstellen, weil es sie überhaupt gibt, zumal in einer Umgebung, in der es sonst gar nichts gibt. Immerhin sind auf einer Tür die Distanzen zu den nächsten grösseren Fluchtpunkten angeschrieben. Dennoch wäre es ungerecht, bei diesem Roadhouse nicht explizit auf dessen besonders ausgefallene Bar hinzuweisen, die allerdings tagsüber nicht geöffnet scheint… Von Hunden bzw. deren Bedürfnissen scheint man wenig zu halten, weshalb auf der zweiten Tür ein bestechendes Argument dafür geliefert wird, mit dem Hund woanders Gassi zu gehen. Wir haben keinen Hund, dafür eigene Bedürfnisse und erstehen hier einen Liter Milch für knapp unter 3 australische Dollars. Hauptsache, der Vorrat ist aufgestockt.




Auf der Weiterfahrt pendeln sich meine Gedanken langsam ein und ich fühle mich wohl in meinem Körper, während wir die Strassenkilometer fressen, wobei wir auf den unterschiedlichsten Gegenverkehr treffen, dazwischen aber jeweils viel Zeit haben, uns wieder in die Einsamkeit hinein zu finden. Die Strasse ist schon hier immer fast ständig gerade, so weit das Auge reicht, so dass sie auch als Lande- und Startpiste für den Medical-Service der Australier dient. Hier wäre eine Ambulanz viel zu lange unterwegs; deshalb wird nicht nur dieses Gebiet, sondern ganz Australien vom R.F.D.S. versorgt (Royal Flying Doctor Service). Und so fahre ich also so manchen Kilometer auf Flugzeuglande- und Startbahnen und ertappe mich dabei, dass ich immer mal wieder einen Blick in den blauen Himmel richte.

Die Vegetation wird kurz vor dem Madura-Pass immer eintöniger, die Stille breitet sich auch im Auto aus.




Der Pass ist eine Anhöhe von vielleicht zweihundert Höhenmetern – dennoch denke ich mit Hochachtung an die Radfahrer, die wir gestern gesehen haben – sie müssen in der beträchtlichen Hitze diesen Pass hochgefahren sein: Mit Gepäck beladen eine Ochsentour. Während ich daran denke, studiere ich die aufgeklappte Menu-Karte der “Madura Oasis”, die mir nochmals verdeutlicht, wie sehr wir uns hier im Nowhere befinden: Sie informiert über die “nächsten” Emergency Phones der umliegenden “Ortschaften”, und ich lese: East of Cocklebiddy (nächster Bestimmungsort) 42km. Ich nehme also zur Kenntnis, dass es in dieser Gegend so alle 50 Kilometer Gelegenheit gibt, von seinem bald zu erwartenden Ableben zu berichten… Nun, selbst ein Quadband-Handy funktioniert hier tatsächlich nicht, auf jeden Fall meins nicht. Aber nach zwanzig Tagen Fahrt und mit der Erfahrung unserer Westküstentour vor einigen Jahren wissen wir eh, dass die wirklich wichtige Hilfe bei einem Notfall erst einmal vom nächsten Fahrzeug kommen würde, das unseren Weg kreuzt. Machst Du nämlich deutlich, dass Du Hilfe brauchst, hält einfach jede(r ) an.

Der Milchshake existiert heute leider nur auf der Karte. Meine Frau genehmigt sich dafür einen Bananendrink, und ich lecke mir die Seele an einem Magnum der Variante Schoko-“Haselnut” selig… Ich kann Ihnen sagen, so was schmeckt einfach göttlich, wenn Sie dabei vor einer Ebene stehen, die sich hier unterhalb des “Passes” ausbreitet. Die Anhöhe bietet einen wunderbaren Ausblick. Das ist nun wirklich Nullarbor-Land!




Na, heute folgen sich die Tankgelegenheiten für Mensch und Auto ja Schlag auf Schlag. Die Orte haben aber auch lauschige Namen: Cocklebiddy zum Beispiel, und etwas weniger urchig: Caiduna, der letzte Halt vor einer Besonderheit dieser Reise. Dem längsten schnurgeraden Strassenstück in ganz Australien (oder der Welt?).




Und dann ist der Punkt erreicht: Der Beginn des längsten schnurgeraden Strassenstücks Australiens, 90 endlos scheinende Meilen lang, 146.6 km geradeaus. Ohne eine einzige Richtungsänderung. Doch auch hier gilt: Wir haben keine Probleme damit. In der heimatlichen Enge allzu oft gefangen, ist es einfach faszinierend, diese Weite so körperlich zu erfahren.
Nach etwa 80km säumt für einmal ein Buschgürtel die Strasse – die ideale Gelegenheit zu einer Pause, für die hier auch ein Parkplatz mit Picnic-Plätzen zur Verfügung steht. Wir steigen aus und hören das scharfe Sirren fast gleichzeitig. Wie wenn wir einen Dampfkochtopf mit hätten, der beginnt Druck abzulassen… Das Geräusch kommt, wir haben es geahnt, von einem Reifen unseres Autos. Hinten rechts entweicht ganz offensichtlich Luft. Dem Reifen ist zwar nichts anzusehen. Ich steige wieder ein und drehe ein Runde auf dem Parkplatz. Das Sirren geht in ein ruckartiges, abbrechendes und wieder startendes Zischen über. Es ist heiss. Ich will einfach glauben, dass es sich nur um eine Art Überdruck der hohen Temperatur wegen handelt, was natürlich lächerlich ist. Trotzdem winken wir einem sich nähernden Auto, und ein freundlicher Herr schaut sich die Bescherung denn auch an. Natürlich sagt er mir, was ich schon weiss: Wir werden einen platten Reifen kriegen.

Was wir dann allerdings auch noch feststellen, als wir zusammen unter dem Auto liegen (warum es überhaupt dazu kam, weiss ich gar nicht mehr): Der Getriebeblock verliert Öl. Er rät mir, das in einer Garage checken zu lassen. Nun, ich werde noch ganz anderes da checken lassen und z.B. den Rest der Schläuche austauschen… Erst einmal ist Reifenwechsel angesagt, jetzt zum ersten Mal hinten und zum dritten Mal innert 50 Stunden. Wirklich ein besonderes Highlight dieser Reise…
Die 110 km, die uns danach noch bis nach Balladonia fehlen, verlaufen ohne Schwierigkeiten. Wir verbringen die Zeit mit dem Erstellen der Checkliste, was wir am Ziel alles vorkehren müssen und wollen, um die Weiterfahrt sicher zu stellen. In Balladonia, hiess es, würde es auf jeden Fall einen Reifenservice geben. Es ist auf einer Strecke von rund 300km der einzige Anlaufpunkt für den Berufsverkehr.

Richtig Bammel will bei mir allerdings nie aufkommen. Es ist mehr Ärger über die vielen kleinen Unzulänglichkeiten und Stressfaktoren, die uns immer wieder heimsuchen. Geplatzte Reifen, defekte Zeltstangen – ich hätte es gerne ein wenig Unaufgeregter, was Reisen und Campieren betrifft.
Nun, den Kalamitäten zum Trotz möchte ich Ihnen gerade an dieser Stelle des Berichtes zeigen, was selbst in dieser Wüstenlandschaft an Zeugen eines unbezwingbar scheinenden Lebensdrangs zu finden ist. Thinkabouts Wife ist nämlich beständig mit dem Makro unterwegs gewesen und hat auch in diesen Landstrichen so allerlei zusammengetragen.




Wir kommen in Balladonia schlussendlich wohlbehalten an. Was es an diesem Ort gibt, dessen Roadhouse einfach ein bisschen grösser ist als die übrigen, die wir heute gesehen haben, ist eine Telefonkabine. Wir rufen also Bruno an, unseren Vermieter, und schildern ihm das Malheur. Bruno ist Schweizer, lebt seit vielen Jahren in Australien, und seine Firma hat – eigentlich – einen guten Ruf. Uns ist auch nicht nach Stunk zumute, aber nach klaren Lösungen und Absprachen.

Da es in Balladonia wider Erwarten keinen Reifenservice gibt, müssen wir rund 200 Kilometer weiter nach Norseman fahren, wo er uns selbst in einer Werkstatt anmelden wird. Wir kommen überein, dass wir die Fahrt trotz angeschlagener Gearbox (?) und fehlendem Ersatzreifen wagen.

Die Alternative wäre, den Reifen in Norseman zu bestellen und her bringen zu lassen. Da ist mir die Lösung schon lieber, dass wir uns, sollte uns der vierte Plattfuss ereilen, auf Brunos Kosten von der Strecke auflesen lassen sollen. Das Getriebe könne eigentlich kein Problem sein, meint er, und auch mir macht das nicht so viele Sorgen. So weit so gut.

Also widmen wir uns der persönlichen Erholung. Meine Frau trifft dabei im Lavabo des Waschraums auf eine Redback-Spinne – eines der giftigsten Exemplare, die es überhaupt gibt… Anscheinend nimmt sie das aber so gelassen wie die anwesenden einheimischen Camper, und so bringt sie stolz ein Foto mit zum Zelt.

Ich schlendere am späteren Abend noch ein wenig allein über das Gelände. Es ist Zeit, mich etwas dem inneren Gleichgewicht zu widmen: Dabei wird mein Ärger über die Kalamitäten in der Ausrüstung bald einmal von der Freude über die Erlebnisse und der Dankbarkeit dafür, dass uns nichts wirklich Schlimmes widerfahren ist, mehr als wettgemacht. Natürlich werden uns die Umstände des Reisens durch die immer wiederkehrenden Anforderungen nach Ersatzausrüstung erschwert, aber es ist auch ein Glück, dass immer sogleich Hilfe zu finden ist – oder sich die Partner, wie Bruno, immerhin verständig zeigen. Das Auto hat er für unsere Reise frisch übernommen. Wie die grossen Vermieter, so ist es auch bei ihm so, dass die Wagen in der Regel aus Regierungsbeständen gekauft werden, so mit 70’000 km auf dem Tacho, und dann das wirklich sehr praktische Innenleben verpasst kriegen. Offensichtlich haben wir ein Fahrzeug erwischt, dessen Benutzer defekte Schläuche mehrmals haben reparieren lassen. Wohl kein Käufer wird das bei Übergabe überprüfen… Und dass der Innenausbau komplett neu ist, das konnten wir leicht feststellen.

Wie neu glänzen auch die Ungetüme, auf die ich vor der Tankstelle stosse: Ein Auto- und ein Tanklastzug stehen in der Abendsonne, und ihre Chromteile blitzen wie neu: Die Fahrer sind äusserst stolz auf Ihre Karossen und pflegen sie mit grösstem Einsatz. Und nicht nur am frühen Morgen, wie diese Bilder beweisen!




Mit einem sehr freundlichen Ehepaar spaziere ich noch ein wenig die Strasse entlang. Es ist immer wieder schön zu sehen, wie die Australier selbst ihr Land entdecken, oft auf einer langen Reise, die ganz fest zu ihrer Lebensplanung gehört und selbst auch als Erfüllung eines lang gehegten Wunsches und als Abenteuer empfunden wird. Und sie freuen sich echt, wenn man erzählt, von wie weit her man selber kommt – und dass wir nicht das erste Mal hier sind, sondern als “Wiederholungstäter”.

Im Zelt ersorgen wir dann doch noch ein wenig den nächsten Tag, wischen die Gedanken aber beiseite. Wir können nur eines tun: Schlafen, den Moment geniessen und den Morgen so annehmen, wie er kommt.