Reflexionen

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Australien 2007 - Tag 16

∞  23 August 2008, 17:36

Erlebt am 08. November 2007 – Wilmington – Mt. Remarkable NP (Mambray Creek Camping Ground)

Was für ein Frieden in allem




Wir futtern unser Zmorge-Müsli genüsslich unter “unserem” Possum-Baum und machen uns danach auf den Weg. Nachdem wir unsere Postkarten aufgegeben haben und Öl und Luftdruck kontrolliert sind. Das Tagesziel ist allerdings nur fünfzig Kilometer entfernt. Aber solche Dinge prüfe ich “entnaturalisierter Städter” besser dann, wenn sie mir einfallen. Aber wir sollten schon kurz vor Mittag unser Tagesziel erreichen.


Kurz hinter Wilmington lohnt sich ein kurzer Abstecher zum Hancock-Lookout: Land und Wasser liegen breit, weit, mit verschwimmenden Konturen vor uns. Nichts in der gedehnten Welt vor uns scheint sich fassen zu lassen. Und doch ist da nie nur Einsamkeit, ist der Mensch längst in alle Winkel vorgedrungen und das letzte Abenteuer ist meist schon erlebt worden… Gerade hier, wo sich am Horizont militärisches Sperrgebiet ausdehnt…


Als wir uns just in diese Ebene aufmachen, begegnen wir einem grossen Waran, und wir können in aller Ruhe beobachten, was für ein guter Kletterer er ist, als er sich an seinen kräftigen, in den Baumstamm gekrallten Vorderbeinen in die Höhe zieht.




Der Mt. Remarkable National Park ist allerdings eine Oase der Natur, vom Menschen aufbereitet, ja, abgesteckt und erobert, aber mit sehr viel Verstand und Sorgfalt gepflegt.




Und die Pinienwälder! Und sattgrüne Sträucher auf brandroter Erde, dazwischen Karst-Abbrüche, die im Licht leuchten.
Eine Riesenechse prägt auch unser Erlebnis vom Nachmittag. Auf einem kurzen Rundgang durch die Hügel ums Camp-Gelände scheuchen wir sie auf, worauf sie sich unmittelbar vor uns auf dem breiten Weg in Bewegung setzt. Das Tier ist – ohne Schwanz – mindestens eineinhalb Meter lang. Immer wieder pendelt sein Kopf hin und her, um uns im Auge zu behalten. Alle Drei scheinen wir uns zu fragen, warum nicht der andere endlich vom Weg abzweigen mag? Mindestens fünf Minuten geht es so bergauf, und wir stehen schliesslich fast still, weil unschwer zu erkennen ist, dass der arme Kerl komplett ausser Puste geraten ist. Das letzte, was wir wollen, ist einen Waran in den Herzinfarkt zu treiben… Endlich schlägt er sich bergwärts ins Unterholz und zieht sich am nächsten Baum hoch. Leider geht das gar nicht mehr, auf jeden Fall nur mit langen Pausen. Der arme Kerl ist fix und fertig und inspiziert uns auf Augenhöhe… Keine Sorge, unser Speisezettel sieht anderes vor, denke ich. Nein! Auch nicht Känguru-Fleisch, obwohl das ausgezeichnet schmeckt, schliesslich sind wir seit der letzten grossen Australienreise Vegetarier geworden.




Unser Camp ist – ohne Zelt – schnell eingerichtet. Immerhin kann ich nicht ganz ohne Zeltfeeling sein, und so benütze ich die Gelegenheit, mal das Vordach am Wagen anzubringen. Die Vorrichtung ist so logisch konzipiert, dass sogar ich sie verstehe und – mit Hilfe von Thinkabouts Wife – sogar montieren kann.
Wir bekommen Besuch. Kookaburras, die uns listig aber stumm (o Wunder!) beobachten, während ein Emu nicht am Auto vorbeispazieren kann, ohne durchs Seitenfenster einen prüfenden Blick auf Thinkabouts Wife zu werfen, die mit dem Kochen begonnen hat. Adelaide Rosellas kann ich auch ausmachen, und ich muss an einen Vogel mit feuerroter Brust unter schwarzem Gefieder denken, der auf dem Spaziergang eben nicht vor die Linse zu kriegen war… Und Galas, ach Galas, fehlen wohl fast nie.




Dann sitze ich auf meinem wackeligen Camping-Stuhl, und prüfe meine E-mail-Nachrichten. Ich erzähle meinem besten Kunden mal rasch, was ich gerade so mache und kann die kleine atemlose Ungläubigkeit zwischen den Zeilen lesen. Sie sollte auch niemals verfliegen: Die Möglichkeiten, sich mitzuteilen, bleiben ein Wunder. Eine technische Sensation, die wir nützen müssen.
Auf jeden Fall fühle ich gerade hier und jetzt die Verbundenheit mit einem Menschen, mit dem ich seit Jahren wunderbar zusammen arbeite – und leiere gleich noch eine nächste schöne Idee mit ihm zusammen an. Doch dann lacht mich der Kookaburra aus, und es ist Zeit, mich dem wirklich Wichtigen zu widmen. Dem Hilfsküchendienst, nur so zum Beispiel.


Schon die Anlage des Campingplatzes zeigt, dass hier Planer sich in die Natur betten wollten, und nicht auf sie drauf. An einem Fluss gelegen, inmitten eines Pinien- und Eukalyptus-Waldes, glaubt man sich schon auf kurzen Spaziergängen in einem Feenwald einer Erzählung von Michael Ende, und man würde sich nicht wundern, begänne der wunderliche Wurzelstock neben einem plötzlich zu sprechen und ein Gesicht zu bekommen, während in der Ferne ein weisses Einhorn zwischen den Stämmen erscheint…

Na, und einen Abendspaziergang dieser Sorte, darf mir immer wieder geschenkt werden! Die warmen Lichtflecken, die vom Rauschen der Blätter begleitet wirbelnd über den Boden tanzen, das gelb-orange Licht, das den Boden mit leuchtender Okkerfarbe überzieht, feuerrot brennende, in Bäume geschlagene Wunden, die das Leiden zeigen, aber nicht das Sterben. Hier lebt alles seinen Kreislauf, und hält die Zeit für Dich an, damit Du einen Moment spürst, wie es wäre, der Schönheit der Welt längere Momente mit Atemlosigkeit zu begegnen…




Auf dem Weg zurück zum Lager hat die Abendsonne die Landschaft total verändert. Alles verliert seine scharfen Kanten und die Mühsal des Tages flieht einen Ort, der die Stille will, sie herbei mahnt wie der gute Onkel, der in der Kirche sich zum Kind neigt mit dem Finger auf den Lippen. Nur rasch noch hinsehen, sich noch einmal drehen und die Bäume bewundern, die doch gerade jetzt aus dem Boden geschossen sein müssen, denn so habe ich sie doch noch nicht gesehen, nicht heute, nie. Es ist einmalig und wiederholt sich hier doch fast jeden Tag. Kann man angesichts anhaltenden Glücks stumpf werden in seinen Wahrnehmungen? Hier ist kein Gedanke daran, denn die Sonne fällt vom Himmel, in Zeitlupe und doch viel zu schnell, und man möchte jeden Farbton speichern können, für immer, dem Gemüt zugänglich zum Trost in grauen Momenten.




Und dann? Dann sitzen wir in stockdunkler Nacht am Klapptisch.
Im Hemd. Mit zwei flackernden Windlichtern vor uns, die nicht viel mehr Leuchtkraft besitzen als zwei Glühwürmchen. Es ist windstill. Den nächsten Nachbarn wissen wir 150 Meter entfernt.
Nie war mir Stille mehr Grund zur Ehrfurcht.
Es ist neun Uhr Abends. Der Tag zieht an uns vorbei. Wie ein vertrautes schönes Märchen, das man sich zum Ende des Tages erzählen mag, lassen wir die Bilder unserer Begegnungen nochmals an uns vorüber ziehen.
Das Paradies aber kann auch eine Hölle sein: Im Hochsommer würden wir hier wohl verglühen.
Ich denke an die ersten Tage mit sehr viel Wind und auch ein bisschen Regen, an meinen schlotternden Zeltabbau im Morgengrauen – und atme nochmals tief in die Stille hinein, bis ich sie in mir drin fühle. Es ist Zeit zu Bett zu gehen. Wir blicken uns an, ohne unsere Gesichter sehen zu können, aber wir haben unsere Gedanken und Gefühle beide am Tisch, mit uns vereint im Trauen und Freuen auf das Jetzt und das Morgen.




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Jeder Wurzelstock ein Bergführer zum eigenen Frieden...