Reflexionen

In Wort und Bild gesehen, gedacht und gefühlt
Zum Betrachten, Nachdenken, Mitdenken, Vordenken
Mit Lebenslust ein Leben lang, mindestens


Australien 2007 - Tag 14

∞  10 Juli 2008, 14:54

Erlebt am 06. November 2007 – von Mannum nach Willmington

Von Bergen und Tälern, physisch und emotional




Unsere Option, ausschlafen zu können, wird schon um halb acht hinfällig: Der Sonnenschein weckt alle Lebensgeister. Der Feier dieses Tages angemessen, an dem wir eine ausgiebige Wanderung geplant haben, ist das kräftige Frühstück inklusive Müsli und Nutella- samt Marmelade-Brötchen.

Und schon geht Thinkabouts Wife wieder auf Fotojagd nach dem Adelaide-Rosella. Jetzt wissen wir auch, wie das prächtig gefiederte Kerlchen heisst!

Es könnte heute ziemlich warm werden, weshalb wir beschliessen, den Weg auf den Mt. Remarkable lieber früher als später in der Mittagshitze in Angriff zu nehmen. Fünfeinhalb Stunden sind es laut Internet für den Gang auf den Gipfel und zurück. Und da meine Frau mittlerweile mächtig an Kondition zugelegt hat, können wir uns ziemlich nach solchen Angaben orientieren. Die Sonne steht hoch am tief blauen Himmel, doch der Weg führt meist unter schattigen Bäumen entlang, es sei denn, wir müssen Schotterhalden überqueren. Immer wieder mal nehmen wir flüchtende Schatten auf und zwischen den Steinen wahr – kleine Echsen, die wir im Schotter aufschrecken.



Der Gipfel des Berges ist bewaldet, also ist die Aussicht von ganz oben nicht so toll. Wir werden sie auf dem Rückweg um so mehr geniessen. Dafür ist es für unsere Rast schön schattig und damit kühl.

Wir schauen uns noch etwas um, suchen Blumen und drehen ein paar Steine um. Prompt fördert Thinkabouts Wife so einen Skorpion ans Tageslicht.

Auf dem Rückweg zum Ausgangspuntk in Melrose haben wir genügend Zeit, uns die Echsen näher anzuschauen. Und da die Steine nun so warm sind, dass sich die Tiere auf ihnen sonnen und aufwärmen, sind die Fluchtdistanzen auch viel kürzer, und wir haben ein paar besondere und beeindruckende Begegnungen.


Ein paar Mal geben Schotterfelder die Aussicht auf die imponierende, riesige, sich unter uns ausbreitende Ebene frei.

Auf einem dieser Halden liegt etwa hundert Meter unterhalb des Weges das Wrack eines kleinen Flugzeugs. Wie viele Jahre mag es schon da liegen, dieses lächerlich kleine und doch grotesk wirkende Zeugnis einer Tragödie, deren Geschichte ich nie erfahren werde? Seltsam klar und unversehrt blinkt eine Reihe von drei, vier Fenstern im Sonnenlicht. Auf diesem Wegstück scheint es ein bisschen stiller zu sein als zuvor…
Zwei, drei Wegbiegungen weiter gibt der einzige Berg im weiten Land den Blick erneut frei, und wir können uns kaum satt sehen am Patchwork der Felder des Kulturlandes und an der Idylle, die wir mit einem “lachenden Hans”, einem Kookaberra auf einem nahen Ast teilen. Mitteilsam allerdings ist er nicht.



Um vier Uhr Nachmittags sind wir nicht nur zurück im Camp sondern auch bereit für die kurze Etappe von rund 25 km nach Willmington. Wir bringen es dann allerdings fertig, uns auf der Strecke nicht weniger als zwei Mal zu verfahren…
Dabei erwartet uns ein traumhaft schöner Caravan Park und Zeltplatz, dessen grüne Wiesenstreifen ganz offensichtlich regelmässig in Kontakt mit Wasser kommen.

Wir suchen uns also ein Plätzchen – und haben auch hier die freie Auswahl. Der Grund liegt darin, dass die Alligator Gorge, ein nahes Ausflugsziel, nicht erreichbar ist. Die Zufahrtsstrasse zur Schlucht wird erneuert. Darum ist dieser Platz für Wochenend-Ausflüge uninteressant geworden und daher in der jetzt herrschenden Nebensaison praktisch verwaist.

Wir haben davon gewusst, aber wir sind aus einem anderen Grund hier. Erst müssen wir allerdings einen Platz finden, von dem wir meinen, dass er uns beste Chancen verspricht:
Der Caravan Park “Beautiful Valley” von Willmington wird regelmässig von Possums besucht, da es die Betreiberin verstanden hat, mit Geduld und Geschick die kleinen Kerlchen anzufüttern, so dass sie es mittlerweile gewohnt sind, dass sie auch von dankbaren Touristen nicht ihr Fett weg-, sondern so manche Frucht abkriegen.

Das lässt sich alles im Office des Platzes in Erfahrung bringen, und zahlreiche Bilder zeigen die Tiere. Es gibt sie also wirklich hier. Sie sind nachtaktiv und daher für manchen Australienfahrer bis zum Ende der Reise nicht zu sehen – es sei denn in Zoos, in denen es zum Teil Terrarien gibt, die eine Nachtaktivität am Tage in besonderen Räumen simulieren.

Die launische bis mürrisch-verstockte Brummeligkeit, mit der uns die Herrin dieses Refugiums unsere Fragen beantwortet, macht uns allerdings nicht gerade froh. Ganz offensichtlich ist das Ehepaar mehr als frustriert ob der Situation, wobei wir den Eindruck nicht los werden, dass dies nicht allein an der gesperrten Zufahrtsstrasse liegt, sondern an der allgemeinen Trägheit, mit der man dem Leben in der steten Erwartung zu begegnen scheint, dass es einem bestimmt nichts Gutes bescheren mag, schon gar nicht in der Person von Touristen. Es sei denn, sie zahlen gerade oder verlassen das Camp… Die Anlage wäre so schön, doch sie verlottert ziemlich – ausser, ja ausser eben diesen besagten grünen Flächen vor dem Zaun, an dem die Nummern mit den Standplätzen kleben. Der Kies auf dem Zufahrtsweg ist geharkt, auf der satten Wiese sind auch leise Spuren von früher geparkten Autos zu sehen, aber da prangt ein Schild:

DO NOT STAY WITH VEHICLES ON THE GRASS

Ich tapse also zurück ins Office und frage nach. Das heisst, ich versuche es. Ich finde die Betreiber schliesslich doch noch. Mann und Frau haben mittlerweile zusammen gefunden und sich von der Schwerkraft von zwei Bierbüchsen in tiefe Lehnstühle im Garten fallen lassen und scheinen unmöglich daraus je wieder aufstehen zu können. Was sie mir zur Antwort geben, verstehe ich nicht richtig, und ich kann nur ahnen, dass es englisch ist, was sie da reden. Also zurück zum Auto. Wir diskutieren. In unserem verfluchten anerzogenen Zwang zu korrektem Betragen brauchen wir noch eine ganze Weile, bis wir schliesslich doch entscheiden, uns auf die Wiese zu stellen, wenn auch so schonend wie möglich, indem wir den Rasen nach jenen Stellen absuchen, die schon öfters Reifendruck ertragen mussten.
Das führt dazu, dass das Stromkabel zur nächsten Steckdose zu kurz ist. Ein Problem, das aber bekannt zu sein scheint, denn der Herr Chef hat für mich sofort ein Verlängerungskabel, für das er sich sogar aus seinem Sessel hochstemmt, um es zu holen. Er kann sich bei der Übergabe allerdings nicht verkneifen, mich zu ermahnen, das Kabel vor der Abreise wieder zurück zu bringen. Dabei taxiert er mich von Kopf bis Fuss, als stünde ich in Lumpen vor ihm und wäre dringend darauf angewiesen, seine 10m Kabel zu versilbern.
“Na gut”, sage ich, “dann werden wir das ausnahmsweise auch machen”, und lasse ihn mit langem Gesicht stehen. Ich glaube allerdings, bedankt habe ich mich trotzdem…

Hinter dem Campingplatz fliesst der Stoney Creek, und bildet hier eine schöne Flusslandschaft, auch wenn das Flussbett bei unserem Besuch an vielen Stellen ausgetrocknet war. Morgen wird mehr Zeit sein, um hier zu spazieren.
Wir kochen, essen und werden still. Die Sonne ist untergegangen und die langen Schatten lösen sich auf, gehen in körnig-diffuse grau-blaue Löcher ohne Ränder über. Es ist die Zeit, in der die Vögel des Tages zur Ruhe kommen und die Geräusche der Nacht noch fehlen. Genau in diese Stille hinein fällt das zweimalige, hässliche Knacken von Fiberglas: Wir blicken direkt auf unser Zelt und sehen, wie sich die geknickte Firnstange in spitzem Winkel von unten in das Überzelt bohrt. Es sieht einfach grotesk aus, absolut lächerlich und ist zum Heulen. Aber dafür ist keine Zeit. Wir haben keine Lust und nur wenig Talent (zumal im Dunkeln), Zeltstangen zu flicken und beschliessen in aller Eile, das Zelt abzubauen. Das setzen wir sofort in die Tat um: Unter “Flutlicht”. Die Neonlaterne, die zur Autoausrüstung gehört, leistet beste Dienste. Wir rumoren und hantieren, was das Zeug hält, so lange wir noch die Hand vor Augen sehen. Eine Viertelstunde später haben wir keinen Schlafplatz mehr, aber zwei Stühle, auf die wir uns setzen. Wir machen die Lampe aus und fluchen still in die Nacht. Jetzt wissen wir auch schon, was wir morgen, an unserem freien Tag, machen werden…

Lange schweigen wir uns allerdings nicht an. Denn hinter uns beginnt das dicke Blech der Begrenzungswand des Platzes zu klacken. Wir hören tapsende Schritte, und der Baum, unter dem wir sitzen, beginnt zu rascheln. Ganz offensichtlich sind ein paar Kobolde im Begriff, ihn zu entern und sich darauf einzurichten. Wir zünden die Taschenlampen an, und schauen direkt in die neugierigen und berechnend süssen Augen eines Possums. Wir zücken die Bananenschalen, die wir aufgehoben haben, und verfolgen mit Genuss das vergnügliche Geschlabber der Tiere, die sich an den Fruchtresten gütlich tun und die Schalen dabei zwischen den Vorderpfoten halten, so dass wir erkennen könnne, dass diese ganz feingliedrige Knochen haben und unseren menschlichen Fingern doch sehr ähnlich sind. Das grösste Kerlchen sollte allerdings gelegentlich einen Optiker aufsuchen…



Danach sind wir geschafft. Eine emotionale Achterbahnfahrt war das heute Abend! Mein Schatz ist todmüde. Wir haben plötzlich genügend Aufgaben für morgen…
Willmington ist nicht gerade eine Grossstadt, das Funkloch ist dafür um so beeindruckender, aber wir werden schon irgendwie zurecht kommen. Auf jeden Fall richten wir uns für die Nacht im Auto ein und beschliessen die Nacht nach elf Uhr mit den Notizen, die diesen Eintrag nun erst möglich gemacht haben.