Reflexionen

In Wort und Bild gesehen, gedacht und gefühlt
Zum Betrachten, Nachdenken, Mitdenken, Vordenken
Mit Lebenslust ein Leben lang, mindestens


Mein Name?

∞  19 März 2007, 21:33

Sie haben es aufgegeben – vorerst. Der Polizist vom Dienst hat seine Sache eigentlich ganz gut gemacht. Er ist bewundernswert freundlich geblieben, wenn man bedenkt, dass meine Antworten so gar nicht zu den Formularen gepasst haben, die er doch ausfüllen musste.

Jetzt bin ich da, in einer Zelle von vier auf zweieinhalb Meter. Ich habe sie ausgemessen, so genau es möglich war.

Beton umgibt mich. Kahle Wände. Ein langer Quader an der einen Längswand, hinbetoniert für die Ewigkeit. Ich sitze drauf. Mein Hintern fühlt durch die dünne Schaumgummimatratze die Härte des Zements. Schlimmer aber ist der Chromstahl. Das Waschbecken, und vor allem das Klo glänzen, wie wenn sie mit Stahlwatte jeden Tag nachpoliert würden. Stahlwatte würde hier hinpassen, unbedingt.

Das Klo hat keinen Deckel. Stelle ich mir deshalb vor, mit dem Wasser hinweg gespült zu werden, egal wohin, egal womit? Ich bin aber entschlossen zu bleiben. Und die Wahrheit zu sagen: Dass ich nicht weiß, wer ich bin. Ich habe mir lange genug etwas vorgemacht.

Was sagt das schon aus, einen Namen zu haben, einen Job, eine Frau, eine Familie? Bin ich, was ich scheine? Was ich darstelle? Was ich heiße? Ich habe mir meinen Namen nicht gegeben. Ich fühle mich ihm nicht länger verpflichtet. Also sage ich, dass ich nicht weiß, wie ich wirklich heiße.

Der Polizist nannte mich renitent! Nein, ich war und bin nur ehrlich. Ich versuchte, es ihm zu erklären. Ich staune immer noch, wie ruhig ich dabei blieb, obwohl er mich nur verständnislos über seine halb blinden Brillengläser anstarrte, die Hände über der Tastatur gekrümmt, bereit, jeden Namen einzutragen, den ich ihm noch so gleichgültig genannt hätte.

Ich fühle mich leer und deswegen auch hier nicht unbedingt am falschen Platz, in dieser Zelle, in die sie mich gebracht haben, damit ich zur Besinnung kommen möge. Was sagt man dazu?

Auf jeden Fall sagt mir jeder Quadratzentimeter dieses Bunkers, dass er gegen und nicht für mich gebaut worden ist. Ich sitze auf der Matratze, spüre meinen Hintern kalt werden und warte, dass mich die Dunkelheit und Leere anspringt, wie ein schwarzer Panther, der sich auf seine Beute stürzt. Ich will mich endlich spüren, mich erleben, etwas fühlen.

Kahle Wände, glatt und abweisend wie Teflon. Hierher verirrt sich kein Gefühl. Ich schaue in den Spiegel aus bruchsicherem Glas und sehe mich nicht. Ich könnte auch die Wand neben dem Spiegel anstarren, so unbeteiligt lässt mich das Bild an der Wand.

Endlich drücke die Spülung der Toilette und sehe zu, wie das Wasser mit gurgelndem Geräusch in einem Strudel in die Tiefe gezogen wird. Ich stelle mir vor, dass gleich Nachbars Katze an die Oberfläche gespült wird, mit tropfnassem Fell und verwaschenen, bernsteinfarbenen wissenden Augen, die Unergründliches denken.

Ich könnte hingehen, zum Nachbarn, und ihm sagen, wer seine Katze ersäuft hat. Er würde mir so wenig glauben wie der Polizist im Büro vor meiner Zelle. Und so sitze ich hier wegen meiner Ehrlichkeit, die die Ordnung stört, und nicht wegen meiner Tat, die mir niemand glauben würde – jetzt erst recht nicht mehr.

Ich warte also auf meine Frau, die kopfschüttelnd meinen Pass vorlegen und mich rausholen wird. Sie wird sich für uns beide schämen und sich beim Ordnungshüter entschuldigen und alles daran setzen, dass meine peinliche und lächerliche Eskapade bei genau diesem Nachbarn nicht bekannt wird.

Aber sie wird nicht tun, was nahe liegend wäre: Sie wird mich nicht fragen, was ich mir dabei gedacht habe? Sie hat eigentlich nie Fragen, aber immer schnelle Antworten, die für sie lebbar sind. Was auch immer sie darunter verstehen mag.

Und für die Kinder ist es wichtig, dass der Papa heimkommt und sich einkriegt. Darum geht es vor allem und unter allen Umständen.

Ich weiß nicht, ob ich dafür bin, dass unsere Nachbarn sich wieder eine Katze anschaffen. Es sind irgendwie unergründliche Tiere. Vielleicht haben sie plötzlich einen Hund. Hunde sind treuherzig, gefühlsbetont und haben echtes Vertrauen. Bei einem Hund hätte ich größere Schwierigkeiten. Ich verstehe zwar nicht, wie man sich so treuherzig auf Menschen verlassen kann, aber irgendwie verdient so viel Naivität meinen Respekt und weckt eine Art Wehmut in mir. Wenn sie einen Hund anschaffen, so nehme ich mir vor, mache ich weiter wie bisher und was bisher: Nichts.


© Thinkabout (vom Mai 2000, leichte Überarbeitung März 2007)