Reflexionen

In Wort und Bild gesehen, gedacht und gefühlt
Zum Betrachten, Nachdenken, Mitdenken, Vordenken
Mit Lebenslust ein Leben lang, mindestens


Lebendige Ruhe, in Stein gemeisselt

∞  20 Mai 2008, 22:42

Kürzlich, an einem Freitag der Stille, im Rieterpark


Ich bin den Hügel hoch gestiegen, die Gedanken voraus, zerstreut, als mich der Schatten der Bäume umfing und mir Kühle schenkte. Also blieb ich stehen, mein Atem beruhigte sich und langsam richtete ich mich auf. Meine Gedanken gingen vergessen, als ich das Spiel der wirbelnden Blattpunkte bemerkte, die sich als Schatten auf dem Asphalt vor mir ganz wild gebärdeten, als wollten sie mich schwindlig tanzen. In diesem Moment war ich wieder wie ein Kind, das seine Aufmerksamkeit der Rassel zuwendet, die vor seinem Gesicht geschwenkt wird. Die Zeit spielte keine Rolle mehr, ich suchte mir nur einen Punkt, ein Blatt aus und versuchte, ohne Aussicht auf Erfolg natürlich, diesen einen Punkt nicht mehr aus meiner Beobachtung zu lassen. Die kühle Luft im Schatten der Bäume strich über meinen schweissnassen Rücken, und während ich fühlte, wie sich mein Hemd vom Rücken löste, war mir, als würde das Rauschen in den Ästen stärker. Der Wind, der mich wie ein allgegenwärtiger Hauch umfing, schien von überall zu kommen und doch war er mir einfach ein Wunder, das ich nicht ergründen, nur geniessen wollte. Ich richtete meinen Blick nach vorn, und dann sah ich ihn: Den Mann, der da seit Jahrzehnten sitzen mag, in steinerner Ruhe, die kein Gedanke mehr stört. Reglos erschien er mir, aber nicht leblos, denn es war mir, als betrachtete er Dinge, die ich noch nie erkannt hatte. Ich wollte nicht stören, und es kam mir keineswegs absurd vor, genau jetzt und genau vor dieser Figur so zu denken. Ich wollte nur da bei ihm sitzen, diesem zentralen Punkt der Ruhe.

Doch es war nicht möglich. Er sass genau da, wo man an diesem Ort sitzen musste. Links und rechts von ihm war kein Gleichgewicht zu finden. Ich begriff, dass ich meine eigene ewige Lebendigkeit finden musste, die keine Bewegung mehr brauchen würde, meinen eigenen Mittelpunkt. Und seither hoffe ich, etwas von dieser Ruhe, die ich dabei ahnte, einzufangen und in eine Form meisseln zu können, die bei mir bleiben wird, wann immer ich den Schatten erkenne, der mir gespendet wird. Es gibt sie, die Momente, in denen wir ruhen können und dabei wissen, dass es keinen anderen Ort gibt, den wir erreichen müssten, als unsere eigene Mitte, die ohne Gedanken auskommt.

:::

[Bildquelle: : © Thinkabout, Bild anklicken für grössere Ansicht ]

:::

Abgelegt in den Themen Zeit und Leere und Vom Bild zum Wort