Reflexionen

In Wort und Bild gesehen, gedacht und gefühlt
Zum Betrachten, Nachdenken, Mitdenken, Vordenken
Mit Lebenslust ein Leben lang, mindestens


Die Liebe jenseits aller Grenzen

∞  10 März 2007, 16:56

Erzählung von Beobachtungen auf meiner inneren Reise

Fühlen Sie manchmal auch eine “Leere in sich aufsteigen”?

Die Leere, die Sie, die mich leiden lässt, bedrohlich wirkt, vermieden werden soll, hat im Grunde nichts Stilles. Im Grunde brüllt sie. Ich will ihr entfliehen oder sie verscheuchen.

Ich spiele Musik ab, ich schreibe sie nieder. Doch was in dieser Leere schreit, ist mein blossgelegter innerer Lärm, in dem ich gefangen bin, weil ich mir dahinter keinen tragfähigen Boden vorstellen kann. Wenn dieser mein Lärm zu hallen beginnt, die Leere also spürbar wird, dann ist es ganz normal, dass wir es erst einmal mit der Angst zu tun bekommen.

Ich vermutete lange hinter meinen eigenen Umtrieben ein gefährliches Loch. Ich ging dagegen an – nicht zuletzt, in dem ich mir Leistungsziele setzte. Wahrscheinlich „half“ mir meine Erziehung dabei sogar in fataler Weise: Mein Pflichtgefühl hielt mich auf Trab, auch wenn ich ohne inneren Antrieb war. Ich definierte mir selbst meine Leistungen, ja schrieb sie mir vor, um dann darauf zu warten, dass ich mir selbst meine Bedeutung bestätigen könnte – im Urteil der anderen. Ich wollte ein nützlicher, erfolgreicher, wertvoller Mensch sein.

Heute definiere ich erfolgreiches Menschsein ganz anders. Menschlich zu sein, bedeutet eine Art Versöhnung mit dem Ursprung meiner Unruhe – denn nichts anderes trieb mich ja an.

Die meisten Menschen, die ein wirklich intensives und bewusstes Leben führen, in dem nicht der materielle Erfolg oder eine messbare Leistung im Vordergrund steht, haben eine bewusste Auseinandersetzung mit dem Tod immer wieder vor Augen. Und damit mit einer Stille, die schon immer da war. Ich glaube nicht, dass sie bedrohlich sein muss. Sein will. Sie steht vielmehr an unserem Ursprung und kann in einer ausgehaltenen Leere sogar Heimat sein:
Ich fühle, dass unsere Seele dazu einen Zugang hat. Es ist eine Leere, die dazu animiert, das Denken aufzugeben…

In der Meditation heißt eine immer wiederkehrende Übung:

Die Gedanken kommen und gehen lassen. Ihnen nicht „nachhängen“. Sie loslassen. Und „da“ bleiben. Ich stelle mir diese Gedanken wie Schwingungen vor, oder Wellen, die wie Düfte kommen, wahr genommen werden von mir, und wieder gehen.

Sie beeinflussen meine Wahrnehmung, ich weiss, aber sie sind im Grunde flüchtig. Sie können mich nicht gefangen nehmen, wenn ich es nicht zulasse. Das, was ich gemeinhin an und in mir selbst am Deutlichsten wahrnehme, ist von seinem Wesen her sehr flüchtig… Da ist es doch nur gut, sie nicht einfangen, zurückhalten zu wollen, nicht wahr?

Wie wäre es doch manchmal schön, gewisse Gedanken nicht immer wieder wälzen zu müssen! Wie, wenn ich einen solchen quälenden Gedanken nicht „auflösen“, bewältigen müsste, sondern ihn einfach „sein lassen“ könnte, ziehen lassen. Er muss mich nicht umtreiben. Es ist nur ein Gedanke, flüchtig wie ein Duft.

Ich glaube, dass wir in unseren meisten Aktionen auf unsere innere Unruhe re-agieren, statt dass wir uns nach unserem tieferen Ursprung verhalten und danach handeln. Ich fühle, dass der wirkliche Halt für alles, was wir von uns und der Welt sehen, das Sitzen in dieser Leere ist, die von uns nichts fordert als… ein freies Atmen.

Aber unser Geist ist widerspenstig. Er will sich nicht so leicht befrieden lassen. Wir können in ihm gefangen sein. Ihn zu beherrschen, ist so schwierig, wie den Wind einzufangen.

Hier setzt die Meditation an, und darin liegt ihre Faszination: Sie hilft uns, unsere Gedanken zu ordnen, ruhen zu lassen, und sie kann helfen, uns unserer Bestimmung zu öffnen und mit dem gleichen Geist nach unserem Ursprung, nach unserem Warum zu fragen. Nach Gott.

Die geahnte und geübte Leere ist eine Stille, die ich begrüße und suche, weil ich erkenne, wie schön es ist, in ihr meine Gedanken ruhen lassen zu können. Sie ist wirklich leise – aber in einer befreienden, entspannenden Weise. Es ist eine Leere, die jede Langeweile überwunden hat, die keinen zwanghaften Umtrieb kennt, kein Gestaltenmüssen.

Ein Nichts, das sich neu füllt und doch seine Weite behält, durchlässig wie eine Lunge, mit jedem Atemzug. Ganz natürlich und ohne mein weiteres Zutun. Ohne daraus eine neue Aufregung zu machen. Ich bin einfach und erlebe das Geschenk meines Seins so, wie der Körper den von mir eingeatmeten Sauerstoff begrüsst und ganz selbstverständlich nützt.

Mit meinem Schaffen ist es ähnlich: Gelingt mir einmal ein Text wirklich, so sitze ich staunend davor und frage mich, wo er herkommt? Tatsächlich aus mir? Ich begegne selbst dem von mir Geschriebenen. Es ist aus mir heraus getreten. Mich begleitet die Ahnung, dass das neu Gesehene, Vorliegende, schon da war, sich nur neu zeigt. Es schlummerte in mir, ruhte, versteckte sich vielleicht. Und öffnet mir jetzt ein Fenster zu einem IST, das weder alt noch jung ist. Zeitlos wahr, formuliert oder gestaltet gemäss meiner momentanen Fähigkeit zur Wahrnehmungstiefe.

Meine innerste Energie, das Tanken von Kraft und innerer Gewissheit ist eine Art sich ausbreitende heitere Gelassenheit, die so begehrenswert wird, dass ich verweilen kann in der Stille.

Nicht jedem Menschen ist diese leere Stille nah. Manche müssen von sehr weit her kommen, und die dunklen Löcher, die sie fühlen, liegen wie bodenlose Endlosigkeiten über diesem allertiefsten Grund.

Ich glaube aber, dass hinter allen Schmerzen und Sehnsüchten nach Ruhe und Einkehr und hinter dem lautesten Schrei danach diese tragende Leere erreichbar bleibt – weil sie dem Menschen, dem fühlenden Wesen, nicht ausgetrieben werden kann. Sie ist der Kern seiner Erinnerung, seines Wesens, der immer da ist.

Alles andere, darüber liegende, wirkt vielleicht verdeckend, bedrohlich, fortreissend oder zwanghaft niederziehend.

Unter den alles tragenden Grund aber vermag nichts mich zu reissen und genau so kann mich nichts endgültig von der wieder herstellbaren Haftung in meinem Selbst fern halten.

Ich kann von meinem Ursprung, von meinem tiefsten Sinn durch nichts wirklich getrennt werden. Ich kann vielmehr immer heimkehren. Es kann mir sehr schwer gemacht werden, mich meiner zu erinnern. Aber es kann mir nie für alle Zeiten unmöglich sein.

Meine beste Zeugin und Botschafterin ist die Liebe. Sie ist nie auszurotten. Sie kann austrocknen. Enttäuscht werden. Sich zurück ziehen. Nie aber ist sie zu töten, für immer weg zu denken. Da versteckt sich für jedes Leben eine Kraft, die unverhofft berühren und wachsen kann. Kein Mensch vermag auf alle Zeit voraus zu sagen, dass ihm diese Liebe nicht widerfahren könnte. Sie springt an, unverhofft oder ersehnt. Sie giesst sich aus über uns oder verheisst sich unserem Sehnen. Immer wieder zündet sie selbst dem Trostlosen die brennende Verheissung an, dass da ein Leben wäre, das gefeiert werden sollte, bejaht und verschenkt, angenommen und gestaltet.

Und wie vielfältig sie sich zeigen kann, diese Liebe. Wie jung und schwärmerisch sie sein kann, wie verschwenderisch, poetisch, masslos, uferlos. Und wie abgeklärt und gütig sie werden kann, in ihrer Fähigkeit zur Sanftmut und Dankbarkeit, in ihrer Sicherheit, das Gute zu wollen und zu fördern, in ihrem Willen, der Wärme Lebenskraft sein zu wollen.

Wenn sich die Liebe zur Güte wandelt, sie keinen Vertrag einfordert sondern gibt, weil sie liebenden Herzens ist, wenn sie getragen wird vom Gespür für die tragende Kraft der eigenen Schöpfung, und wenn sie so in mir wohnt, dann sende ich sie aus als schönste Waffe, die mir menschlichem, erschaffenem und fühlendem Wesen geschenkt worden ist.

Wenn Liebe geahnte Schöpfung ist, tiefste, innerste Wahrheit, dann fürchte ich kein Dunkel, kein Nichts, keine Leere. Dann brauche ich gar die Stille, um mich immer wieder neu von dieser Kraft durchdringen zu lassen, die mein Leben wollte und meinen Tod begleiten wird.

Meine Vorstellung von dieser Zeit, in der ich mein Leben lebe, ist dabei genau so begrenzt wie die Tiefe meiner Erinnerungen und meiner Wahrnehmung, meines Bewusstseins.

Die Erfahrung von Leere, von einem Zustand, in dem die Gedanken zu nichts mehr zwingen, keine Unruhe mehr erzeugen, kann mein Zeitempfinden weiten. Ich kann mich mit der Zeit versöhnen, mich aus meinem gewohnten Bild begrenzten Raumes lösen. Ruhen. Und daraus heraus leben. Wirklicher als zuvor.

Wo mögen die Grenzen jenseits meiner Vorstellung liegen?

Iguazu-Wasserfälle, hautnah

Die Liebe die ich beschreibe, hat mich in den letzten Stunden keine Schmerzen fühlen lassen… Mehr „Beweis“ brauche ich nicht dafür, dass ich mich trösten lassen kann, dass mein Dasein, mein Kommen und Gehen von einem Plan bestimmt ist, der nicht durch mich selbst gestaltet wird. Denn es ist gut, diese Last nicht tragen zu müssen und sie durch die neugierige Frage zu ersetzen: Wer darf ich sein?