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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Zwei Karrieren - zwei Wege

∞  22 Dezember 2012, 15:54


istockphoto.com/AdrianHillman: “Business goal”




Spitzensportler durchleben eine Karriere im Schnelldurchlauf: Wir, das Publikum, blicken gewissermassen wie durch ein Brennglas in ein öffentlich gemachtes Leben, das uns im Zeitraffer Gleichnisse en masse für Fügung und Geschick bei der Ausübung und Einbringung eigener Talente liefert, und es wird deutlich, wie schwierig die richtige Planung sein kann, und wie sehr der jeweils nächste Schritt immer eine Herausforderung bleibt.

Zwei junge Schweizer Fussballer haben dieses Jahr den Schritt in die Bundesliga gewagt, beide sind hoch talentiert, beide haben einen ähnlichem Migrantenhintergrund, beide sind jung und unbekümmert und selbstbewusst – und beide haben nach Meinung der meisten Fachleute auch das Zeug dazu, sich in der Bundesliga zu Leistungsträgern zu entwickeln: Xherdan Shaqiri beim FC Bayern München, Granit Xhaka bei Borussia Mönchengladbach. Und so unterschiedlich ist es ihnen bis jetzt ergangen:

Xherdan Shaqiri, FC Bayern München

Der nicht ganz 1m70 grosse Schweizer will genau das nicht sein: Der kleine Schweizer. Er sagt es jedem, der es wissen will, aber gleichzeitig kokettiert er ein bisschen damit und dabei funkeln seine Augen. Er trägt die Spiellust als Schalk im Gesicht spazieren und gibt auf dem Platz immer Vollgas, ist pfeilschnell und hat eine sehr gute Technik und einen guten Schuss. Nur: Kann das gut gehen?

Ausgerechnet zu Bayern München hat er gewechselt, in eine Truppe voller Stars, hat Angebote aus der Türkei, England und Russland ausgeschlagen – und soll sich nun gegen Stars wie Ribéry, Robben und Thomas Müller durchsetzen? Doch Shaqiri spielt eine klasse Vorbereitung, nützt die Zeit, als die Stars noch in der Regeneration sind, um auf sich aufmerksam zu machen – und sitzt danach doch meist auf der Bank. Einen Stammplatz findet er nicht, aber er bekommt regelmässig seine Einsatzzeiten und ist ein Teil der Mannschaft als Ganzes, und genau so begreift er sich auch. Die Verantwortlichen haben den ganzen Kader im Blick, und es ist augenscheinlich: Die starke Ersatzbank der Bayern macht die ganze Mannschaft stärker, und es ist nicht zuletzt Shaqiri, welcher die Arrivierten noch besser macht. Nicht selten geht ein Ruck durch die Mannschaft, wenn er eingewechselt wird, die Kommentatoren haben mehr als nur ein Auge auf ihn gerichtet, und er kommt bei den Fans sehr gut an. Der Junge verkörpert das auf dem Platz, was die Fans auf den Rängen auf dem Bolzplatz selbst ausgelebt haben: Spielfreude. Und Shaqiri hat einen väterlichen Trainer, der ihn ganz offensichtlich über seinen Wert nicht im Zweifel lässt. Shaqiri hat Geduld, ist mit seiner Stellung in der Mannschaft zufrieden und hat genug Anreize, ständig an sich zu arbeiten und noch besser zu werden.

Bis zur Winterpause kommt Shaqiri doch auf fast zwanzig Einsätze, Tore in Pokal, Meisterschaft und Champions League, und er ist homogener Teil eines echten Teams. Sie mögen ihn und sie rechnen mit ihm bei den Bayern.

Granit Xhaka, Borussia Mönchengladbach

Den Schritt ins Ausland haben bei uns alle verstanden. Xhaka ist ein grosses Talent, mit viel Ruhe am Ball, einer sehr guten Übersicht und grossen Stärken in der Balleroberung und -Behauptung. Auch er ist noch sehr jung, aber auch schon erfahren, und das betont er bei jeder Gelegenheit, als er Fuss zu fassen versucht in Mönchengladbach.

Er kommt in eine Mannschaft im Umbruch, die in allen Mannschaftsteilen Führungsspieler verloren hat, und einer dieser neuen Hauptfiguren soll er werden. Das sieht er selbst und vor allem er selbst auch so und zwar sofort. Es gibt fast nur Interviews, in denen er betont, wie viel Erfahrung er trotz junger Jahre schon hat, inklusive Praxis in der Champions League. Doch die Qualifikation für diesen Wettbewerb geht schief, der neue Stürmer De Jong fasst keinen Tritt, die Verteidigung hat keinen wirklichen Kopf und Mittelfeld-Stratege Xhaka fällt häufig auch nicht auf. Das Selbstverständnis des Vereins ist für einen Bundesligisten angesichts der kommenden Aufgaben eher unterdurchschnittlich, ein Gegner wie Dynamo Kiew wird übermächtig geredet. Da fällt ein selbstbewusster Jungspund wie Xhaka erst recht auf.

Doch Anspruch und Realität klaffen auseinander, die Ruhe am Ball wirkt manchmal spielverschleppend, der Einfluss aufs Spiel ist nicht dominant. Xhaka ist häufig einer von Vielen. Und findet sich plötzlich auf der Bank wieder. Da sitzt einer, dessen eigene Ansprüche nicht mit der Sicht seines Umfelds überein stimmen – und ein Fussballer, der sein Selbstvertrauen nicht wirklich findet, keine Bindung zum Spiel mit seinen Kollegen aufbauen kann, und zwangsläufig schuldig bleibt, was er versprochen hat. Xhaka spielt kaum mehr, wenn, dann für die letzten fünfzehn Minuten oder einen Teil davon. Eine völlig neue Situation für ihn, der bei Basel schon viele Jahre Stammspieler war. Er ist unzufrieden, und lässt schon bald verlauten, dass man ihn bei Lazio Rom mit Handkuss nehmen würde. Er, für den der Verein im Sommer 8 Mio Euro hingeblättert hat, gehört doch nicht auf die Ersatzbank.

Die Bemerkungen bleiben in der Luft hängen. Xhaka nimmt sich zurück, muss sich zurück nehmen, wird eingegrenzt. Es wird still um ihn im Spätherbst. Jetzt, vor und in der Winterpause darf wieder gehofft werden: Laut Xhaka selbst will er sich durchbeissen, hat er mit Favre einen Trainer, der mit ihm arbeitet, viel mit ihm spricht, ihn besser machen will, klare Vorstellungen hat. Xhaka fühlt sich nicht fallen gelassen, sage er, es wird ihm eine Tür gezeigt, ein Weg. Geht er ihn und beisst er sich durch, so wird er sich – auch gegen einzelne Widerstände im Verein selbst – doch noch durchsetzen können.

Aber Fussballer ist kein Beruf, bei dem individuelle Fähigkeiten technischer Art allein genügen, um in einem Team eine Rolle zu spielen. Ein Fussballer braucht ein Team, das Team braucht ihn, aber beide müssen für einander bereit sein. Im Gegensatz zu Bayern wird bei Mönchengladbach, auf der Suche nach Stabilität, wenig rotiert. Der Weg zurück kann ein steiniger sein. Aber Xhaka hat zweifellos Fähigkeiten, welche seine Mannschaft braucht. Er muss es nur im Training durch seine Arbeit schaffen, davon seine Kollegen und vor allem seinen Trainer zu überzeugen. Dann wird aus Xhaka ein Bundesligaspieler mit Klarsicht – auf und neben dem Platz.

Beide mit Chancen und Risiken

Die beiden jungen Schweizer haben tolle Verträge unterschreiben können. Materiell ist der Druck fürs Erste weg. Damit nicht zufrieden zu sein – den Anspruch haben beide. Vor der Zukunft muss ihnen nicht bange sein. Aber gesichert ist gar nichts.

Beide Spieler sind gerade charakterlich weiter gefordert: Wie gehen sie mit Zurücksetzungen um, wie meistern sie es, zweite Wahl zu sein? Shaqiri hat es mit Blick auf seine Mitspieler leichter, Demut zu zeigen. Und daher vielleicht generell leichter, in der Spur zu bleiben. Er misst sich mit Grössen des europäischen Fussballs, spielt beim FC Bayern München in der am besten funktionierenden Organisationsstruktur im Clubfussball überhaupt. Xhaka könnte das weiterhin schwerer fallen: Sein Hauptkonkurrent um einen Stammplatz heisst Thorben Marx – einer, der selbst glaubte, bestenfalls ein Ergänzungsspieler zu sein. Aber er hat Xhaka eines voraus: Das Stahlbad, Saison für Saison erst einmal selbst an sich zu glauben – auch ohne öffentliche Bestätigung. Bringt Xhaka den Willen zur Geduld und die Einsicht mit, noch viel besser werden zu können und zu müssen, so könnte er genau da, wo er jetzt ist, und in seiner aktuellen Situation ganz Entscheidendes für seine Karriere lernen.

Beide Halbjahre zeigen: Man kann noch so viel Talent haben, einen Leistungsausweis mitbringen – eine neue Umgebung muss erst erspürt werden, man muss hinein passen, sich hinein finden. Das erleben wir alle so, wenn wir eine neue Stelle in einem Team antreten, und wenn wir ein Solitär bleiben oder gar bleiben wollen, dann laufen wir gegen eine Wand. Fehler zu machen, sie ausbügeln zu müssen, zu zahlen dafür – wir kennen das alle.

Wünschen wir uns, dass wir Wege finden, in unsere Umgebung zu passen. Sind wir dankbar für die Wertschätzung, die wir bekommen, und achten wir sie hoch. Sie ist niemals selbstverständlich.
Verbiegen aber sollen wir uns nicht – was uns an Stärken ausmacht, muss auch gefragt sein. Fehlt die Selbstüberschätzung, ist aber Selbstachtung vorhanden, so werden wir immer erkennen, ob wir eine ehrliche Chance haben. Wenn nicht, dann ist es Zeit, sich vor der Tür umzusehen. Ob wir zu schnell oder eher zu spät dazu bereit sind, hat viel mit unserem Charakter zu tun – und das wiederum ist sicher mit ein Grund dafür, wie wir in der Firma behandelt werden.