Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Zwei Damen (oder eigentlich drei)

∞  9 Februar 2010, 18:07

Bevor ich mein Auto aus dem Parkplatz zwängen kann, muss ich warten. Auf der engen Quartierstrasse hinter dem Jelmoli kommt mir eine alte Frau entgegen. Sie schiebt ihre Gehhilfe vor sich her, den Oberkörper flach wie ein Brett über die Griffholmen des Wägelchens gestreckt.

Sie linst auf die Strasse vor ihr, wofür sie den Kopf in den Nacken werfen muss. Unsere Blicke treffen sich durch die Frontscheibe meines Wagens. Sie schenkt mir ein weiches und ruhiges Lächeln, das mich tief berührt, denn es will in seiner Gelassenheit überhaupt nicht zur Situation passen: Die alte Frau ist mitten in der pulsierenden Stadt, auf der Nebenstrasse statt auf dem Gehsteig, ein Hindernis, und sie wird es ganz bestimmt auch so empfinden. Aber sie kann es nun mal nicht ändern, und auch sie will von A nach B, wie ich, nur in die Gegenrichtung und mit einem unvergleichbar grösseren persönlichen Energiebedarf als ich. Ich stelle fest, dass meine Hand ganz ruhig auf dem Steuer liegt und ich einfach warte, während die Frau die Nase meines Wagens passiert. Danach ordne ich mich in den Verkehr ein, und noch immer ist da eine Ruhe in mir, und ich vermute mal, ich habe auch nicht gerade den Griesgram gegeben am nächsten Fussgängerstreifen.

Fünf Minuten später: Ich stehe in einer Kolonne an der Ampel. Mir fällt eine Fussgängerin auf. Die Frau ist vielleicht 35 Jahre alt, heller Teint, schlanke Gestalt, figurbetont geschnittener Wintermantel, Jeans, bis unters Knie reichende Stiefel. Die über der Schulter hängende Tasche aus Leder ist perfekt auf den erdigen Rotton des Mantels abgestimmt, die kurzen Haare sind jugendlich, aber nicht burschikos geschnitten, und unter den Stirnfransen richten sich ihre Augen weit nach vorn. Dies alles aber sehe ich nur, weil mir zuvor ihr Gang aufgefallen ist: Die Dame hat einen selbstbewussten, eleganten Schritt und ist in ihrer ganzen unaufgesetzten, natürlichen Eleganz die Ansammlung aller Argumente, weshalb nicht nur Mann findet, dass Frauen und Absätze einfach zusammen gehören. An mir zieht das blühende Leben in Gestalt einer Frau vorbei, der ganz offensichtlich die Welt gehört, die dabei nichts mehr erobern muss und doch weiss, dass sie ihren Platz hat. Sie fühlt sich wohl in ihrer Haut und wohl in ihren Kleidern. Ich lächle meine Frau neben mir an. Glauben Sie mir: Ich weiss, wovon ich schreibe.


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Link: Sehen Sie eine alte oder eine junge Frau?
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