Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Zuviel Gas für einen Ego-Pupser

∞  11 März 2009, 19:20

Ich fahre ein Hybridfahrzeug. Und ich bin nicht so alt, dass man mich als scheintot, senil oder sonst als Gefahr der Strasse bezeichnen müsste. Ich fahre eher 53 denn 50, wenn dies die Höchstgeschwindigkeit ist, ich muss es zugeben, und ich bin durchaus dafür, dass man sich zügig in den Verkehr einordnet und beim Wechseln der Spur nicht schleicht, als wäre man ganz erstaunt, dass man noch immer nichts von einem Aufprall hört und wolle noch darauf warten. Ich bin also, ganz sachlich festgestellt, im Besitz all meiner Sinne und setze diese durchaus auch hinter dem Steuer ein.

Und dennoch, ich stelle es einigermassen ernüchtert und immer wieder erstaunt fest, verkörpere ich im Durchschnitt so jeden dritten Tag die kaum zu bändigende Potenzierung des Aggressionspotentials eines geschätzten Verkehrsteilnehmers.
Dabei handelt es sich in der Regel um eher jugendliche, noch frustungewohnte Männer, oder ältere, definitiv frustrierte Exemplare der gleichen Spezies. So geschah es auch heute:

Wir krochen so den Berg hinunter, zweispurig, und in Erwartung der vorne lauernden, fest installierten Geschwindigkeitsradaranlage taten wir das alle sehr diszipliniert. Diese Disziplin allerdings hinter einem Fahrzeug aufzubringen, das eine Hybrid-Typenbezeichung hat, ist eine doppelte Zumutung, und so hatte der junge Mann hinter mir allen Grund, die Hände zu verwerfen. Erst meinte ich, er wolle mir sagen, mein Licht ginge nicht, dann dachte ich, er höre laute Musik, doch sein Kopfschütteln war zu wenig rhythmisch. Als ich mir Sorgen um seine Gemütsregung zu machen begann, nahm er sein Schicksal in die Hände, zwängte sich auf die linke Spur und kroch so im doppelten Tatzelwurm tatsächlich an mir fast vorbei – zumindest kam er auf gleiche Höhe. Dann ging erst mal nichts mehr, wir standen still und lächelten uns an. Also, ich lächelte uns an. Er grub wütend nach einer neuen CD. Dabei tauchte sein Kopf ab. Und weil er so nicht sehen konnte, dass sich die Kolonne wieder in Bewegung setzte und weil weiter vorne meine Spur aufgehoben wurde, wechselte ich in der Lücke vor ihm die Spur, während hinter ihm das Hupen begann. Jetzt sass er also wieder hinter mit, mit hochrotem Kopf, und seinem Fuchteln nach zu schliessen, hörte er nun Heavy Metal unter Ecstasy. Bis ich die Hauptstrasse zu seinem Glück und zum Wohl meiner Gesundheit wieder verliess, hatte ich den Mann in seinem zu kurzen Auto nun ständig wahlweise zwanzig Meter und dann wieder zwanzig Zentimeter hinter mir.

Auf der Heimfahrt gab es dann noch eine Kleinigkeit zusätzlich zu beobachten:
Wenn ich die Spur in gleichmässig fliessendem Verkehr wechseln will, dann passiert es mir viel häufiger als mit dem früheren Auto, dass der Mann hinten links plötzlich meint, den Abstand doch noch schliessen zu müssen, so dass ich gezwungen bin, selbst forscher in die Lücke zu lenken. Und das ist dann auch das einzige, was mich an den Beobachtungen und immer wiederkehrenden Episoden wirklich ärgert:
Ein Teil der durch alternative Antriebssysteme in Autos eingesparten Energien und Emissionen wird durch das dadurch offenbar provozierte Ego anderer Autofahrer wieder aufgehoben. Verstehen muss ich das nicht wirklich, oder?